Pieter Omtzigt hat sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Seit Monaten dokterte er daran herum, beriet sich nur mit ein paar Vertrauten, wollte sich keinesfalls unter Zugzwang setzen lassen, in den er durch das abrupte Aus der regierenden Koalition Anfang Juli aber doch geriet. Und dann war er erst mal in Urlaub gegangen, bevor er am Sonntagabend den bisher wichtigsten Schritt seiner Karriere verkündete: Er wird mit einer neu gegründeten Partei namens Nieuw Sociaal Contract - zu Deutsch in etwa: Neuer Gesellschaftsvertrag - an der vorgezogenen Parlamentswahl am 22. November teilnehmen.
"Unser Land hat große Probleme, das ruft nach einer neuen Art, Politik zu machen", sagte der frühere Christdemokrat in einem Video. Damit ändert sich das politische Spielfeld gewaltig. Denn Omtzigt ist der populärste niederländische Politiker; eine Umfrage sagte einer von ihm geführten Partei kürzlich knapp ein Drittel aller Parlamentsmandate voraus.
Regierungserfahrung hat Omtzigt nicht
Entsprechend ungeduldig war sein Beschluss in Den Haag erwartet worden. Die Frage stand im Raum, ob sich der 49-Jährige stark genug fühle für eine herausgehobene politische Rolle. Vor zwei Jahren hatte Omtzigt wegen eines Burn-outs sein Mandat ein halbes Jahr lang nicht ausüben können. Allergrößte Erwartungen dämpfte er nun selbst mit der Ankündigung, nicht Premierminister werden zu wollen, sondern nur Fraktionschef. Omtzigt definiert sich vor allem als Volksvertreter, über Regierungserfahrung verfügt er nicht. Aber er ist seit 2003 im Parlament und zählt zu den erfahrensten Abgeordneten.
Politisch ist Omtzigt nicht leicht einzuordnen. Vom Stimmverhalten her lag er in jüngster Zeit am nächsten bei der wertekonservativen calvinistischen Kleinpartei SGP. Seine Positionen entsprechen in Teilen jenen der Christlichen Soziallehre in Deutschland. Sein Ziel ist es, die Belange der Bürger, und vor allem der sozial schwächeren, stärker zu berücksichtigen. Er fordert eine langfristige Strategie, um Wohnen, Bildung, Energie, Pflege und Rente für alle zu ermöglichen und bezahlbar zu machen. Familien mit Kindern gerieten oft in soziale Not, sagt er, 400 000 Menschen in den Niederlanden fehle Geld zum Essen.
Die Migration will Omtzigt beschränken, insofern das im Rahmen der europäischen Verpflichtungen möglich ist. Senken will er auch die Anzahl ausländischer Studenten, unter anderem, indem Niederländisch wieder häufiger Unterrichtssprache werden soll. Die EU hält er für nötig, kritisiert aber einzelne Beschlüsse hart, insbesondere in der Währungspolitik.
Den Haag regiere auf Kosten der Bürger, sagt er
Sein zweites wichtiges Anliegen ist eine Erneuerung der politischen Kultur und des Parlamentarismus. In Den Haag würden zunehmend schlechte Entscheidungen getroffen, sagt er, auf Kosten der Bürger. Gesetze seien mangels Erfahrung und Fleiß der Abgeordneten fehlerhaft formuliert, die Exekutive werde nicht ausreichend kontrolliert und übertrete systematisch Gesetze. Whistleblower, die Fehlentwicklungen aufdeckten, müssten daher besser geschützt werden. Ein Verfassungsgericht solle Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit dem grondwet - dem Grundgesetz - überprüfen. Außerdem will Omtzigt, der aus der Region Twente an der deutschen Grenze stammt, die lokale Verankerung der Politiker stärken. Abgeordnete sollen überwiegend in Wahlkreisen gewählt werden statt wie bisher auf der Basis nationaler Listen.
Den christdemokratischen CDA verließ der gelernte Volkswirt Omtzigt 2021 nach wiederholten Reibereien und parteiinternen Diffamierungen, seither macht er Politik auf eigene Faust. In der Bevölkerung hat er sich einen Ruf als solider und redlicher Politiker erarbeitet, vor allem durch hartnäckige Wühlarbeit als Abgeordneter, etwa bei der Aufdeckung staatlicher Fehlgriffe in der "Kinderzuschlagaffäre". Damit hebt er sich ab vom verbreiteten Image der Politiker in Den Haag, die sich nach Ansicht vieler Bürger vor allem Posten zuschieben und an der Macht als solcher interessiert sind. Das schlägt sich auch in der außergewöhnlich hohen Zahl an "Vorzugsstimmen" nieder, die Omtzigt bei Wahlen einsammelt.
Omtzigt und seine Partei werden das politische Feld durcheinanderwirbeln
Die niederländische Politik hat sich damit in kurzer Zeit stark verändert. Zunächst durch den Aufstieg der Bauern-Bürger-Bewegung (BBB), die bei den Provinzwahlen im Frühjahr triumphierte und vor allem die Umweltpolitik der Regierung ablehnt. Dann durch den Fall der Koalition des seit 2010 regierenden rechtsliberalen Ministerpräsidenten Mark Rutte, der anschließend überraschend aus der Politik ausstieg. Und schließlich durch die neue Kooperation von Grünen und Sozialdemokraten, die mit EU-Kommissionsvize Frans Timmermans als Spitzenkandidaten antreten und wieder mitreden wollen in der Regierungspolitik.
Omtzigt und seine Partei werden dieses Feld durcheinanderwirbeln, was den Mitte-Parteien, die zuletzt viele Stimmen an Nationalpopulisten verloren haben, eine neue Dynamik verleihen könnte. Eine Zusammenarbeit mit den Rechtsaußen Geert Wilders (Partei für die Freiheit) und Thierry Baudet (Forum für Demokratie) lehnt Omtzigt ab, zeigt sich für alle anderen Parteien aber offen. Sein Verhältnis zu BBB-Chefin Caroline van der Plas gilt als gut. In welche künftige Koalition dies alles münden könnte, lässt sich nicht absehen.