Nicaragua:Vom Guerillero zum Diktator

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Im Zweifel für die Familie: Daniel Ortega besetzt wichtige Posten gerne mit Verwandten. (Foto: Alfredo Zuniga/dpa)

Früher mal war Daniel Ortega ein gefeierter linker Revolutionär. Heute haben er und seine Familie das zentralamerikanische Land eisern in ihrem Griff. Nichtregierungsorganisationen werden verboten, Kritiker eingesperrt.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Es war noch früher Vormittag, als am Dienstag ein Kommandotrupp vermummter und schwer bewaffneter Polizisten eine Wohnung in einem Mittelklasseviertel in Nicaraguas Hauptstadt Managua stürmte. Sie waren auf der Suche nach Oscar René Vargas, kein Drogenbaron und kein Schwerkrimineller, sondern ein Soziologe und Schriftsteller, 76 Jahre alt. "Mein Vater ist ein älterer Mensch in einer schlechten körperlichen Verfassung", sagt Vargas Sohn. Die Beamten aber hielt das nicht davon ab, ihn abzuführen, sein Aufenthaltsort ist seitdem unbekannt.

Oscar René Vargas ist eines der jüngsten Opfer der Repression in Nicaragua. Eine bittere Ironie des Schicksals, schließlich war es Vargas selbst, der dem Machthaber des Landes einst das Leben gerettet hatte. Damals, in den 60er Jahren, wurde die zentralamerikanische Nation noch vom Somoza-Clan beherrscht, mit eiserner Hand und mit Hilfe der USA. Kritiker wurden verhaftet, gefoltert und umgebracht. Eine linke Guerilla kämpfte gegen die Diktatur, Sandinisten nannten sie sich, sie verübten Anschläge, das Regime reagierte mit äußerster Härte.

Eines Tages hörte Vargas im Radio, dass ein Mord-Kommando auf dem Weg war zu einem Unterschlupf der Sandinisten, mit denen er sympathisierte. Zusammen mit seinem Bruder stiegen sie in ihr Auto, um die linken Guerilleros zu warnen, so erzählte er es später. In einem Fall kamen sie zu spät, am Ende aber schafften sie es, einige Revolutionäre zu retten, unter ihnen auch ein gewisser Daniel Ortega.

Schon 2006 gab es Betrugsvorwürfe

1979, nach dem Sturz des Somoza-Clans, wurde Ortega der Anführer einer Regierungsjunta und danach demokratisch gewählter Präsident. Doch in den Folgejahren zerfiel die sandinistische Bewegung, Ortega musste in die Opposition, erst 2006 schaffte er es abermals die Wahlen zu gewinnen, schon damals gab es Betrugsvorwürfe, vor allem aber hat der ehemalige linke Guerillero seitdem nicht mehr von der Macht gelassen.

Eigentlich hätte Ortega laut Verfassung schon 2011 nicht mehr zur Wahl antreten dürfen, ein umstrittenes Gerichtsurteil machte eine abermalige Kandidatur aber möglich. Ortega gewann, wieder berichteten Beobachter von Unregelmäßigkeiten, und von nun an nahm seine Regierung zunehmend autoritäre Züge an. Wichtige Posten wurden mit Familienmitgliedern besetzt. Ortegas Frau, Rosario Murillo, ist zum Beispiel heute Vizepräsidentin.

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Gleichzeitig ging die Regierung immer härter gegen Opposition und Kritiker vor. Als 2018 landesweite Proteste ausbrachen, ließ die Regierung diese blutig niedergeschlagen, mehrere Hundert Menschen starben. In der Folge wurden Gesetze und Bestimmungen verschärft, die Nichtregierungsorganisationen die Arbeit erschweren, viele sind heute ohnehin verboten.

Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im vergangenen Jahr ließ Ortega so gut wie alle aussichtsreichen Kandidaten der Opposition verhaften, darunter selbst ehemalige Kampfgefährten aus der sandinistischen Revolution. Ortega gewann, in einer Abstimmung, in der unabhängige Berichterstatter nicht zugelassen waren und die der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell offen als "Fake" bezeichnete. Seit den Lokalwahlen vor ein paar Wochen kontrolliert die sandinistische Partei nun auch alle 153 Gemeinden im Land.

Sogar kritische Priester der katholischen Kirche werden mittlerweile inhaftiert, viele Oppositionelle haben das Land verlassen, so auch Oscar René Vargas: Hatte er in den 80er Jahren der sandinistischen Regierung als Berater gedient, war er spätestens nach den Demonstrationen 2018 zu einem der schärfsten Kritiker Ortegas geworden. Nach Drohungen floh er nach Costa Rica, und laut Aussagen seiner Familie war er nur nach Managua zurückgekehrt, um seine kranke Schwester zu besuchen. Dafür könnte er nun teuer bezahlen: Menschenrechtsorganisationen haben in der Vergangenheit immer wieder die unmenschlichen Bedingungen in Nicaraguas Gefängnissen kritisiert. Bereits Anfang dieses Jahres starb ein politischer Gefangener in der Haft.

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