Neue Regierungschefin in NRW:Kraft und die Hitze des Landtags

Lesezeit: 3 min

Hannelore Kraft ist Regierungschefin von 17 Millionen Menschen. Ihre Wahl war ein schweißtreibender Tag in Düsseldorf. Doch das Dauerschwitzen für die rot-grüne Minderheitsregierung beginnt erst noch. Ab morgen schon.

Lars Langenau

Das Thermometer zeigt heute Mittag um zwölf Uhr in Düsseldorf 31 Grad. Es ist heiß, sehr heiß. Und Hannelore Kraft will heute Ministerpräsidentin von 17 Millionen Menschen werden. Mehr Menschen als Island, Uruguay, Liechtenstein, Luxemburg und Burundi zusammen. Also alle Kraft voraus. Alle Kraft voraus?

NRW: Kraft ist Ministerpräsidentin
:Und wieder fehlt eine Stimme

Zum ersten Mal steht eine Frau an der Spitze des bevölkerungsreichsten Bundeslandes: Hannelore Kraft wurde im zweiten Wahlgang zur Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen gewählt. Der Wahltag in Bildern.

Wenig später ist Nordrhein-Westfalens SPD-Chefin neue Ministerpräsidentin des bevölkerungsreichsten Bundeslandes. Sie ist gewählt mit 90 Stimmen. Das ist genau die Anzahl von SPD- und Grünen-Abgeordneten. Auf die Fraktionen scheint Verlass. Immerhin.

Doch bei jeder Entscheidung ist sie auf wechselnde Mehrheiten angewiesen. Das wird schweißtreibend, noch schweißtreibender als die heutige Wahl in der Bruthitze des Düsseldorfer Landtages. In ihrer ersten Rede, unmittelbar nach ihrer Wahl, rief sie alle Fraktionen im Landtag zur Zusammenarbeit auf.

Das Wohl des Landes dürfe nicht hinter parteipolitischen Interessen zurücktreten, sagte sie frohen Mutes. Kraft gab sich überzeugt, dass dieser Prozess "unsere Demokratie stärken" werde - "wenn alle Fraktionen ihre Verantwortung ernst nehmen". Sie fügte hinzu: "Bei allen politischen Unterschieden eint uns ein Ziel: ein lebenswertes und starkes NRW."

Den Erwartungen gerecht werden

Die unsicheren Mehrheitsverhältnisse böten auch die Chance, "gute Kompromisse zu suchen und zu finden", sagte sie voller Optimismus und versprach, alles zu tun, um den Erwartungen gerecht zu werden. Gleichzeitig weiß sie doch, dass das mehr als schwierig werden wird.

Ihre erste Avance in Richtung der Konservativen verband sie mit dem demonstrativen Dank an ihren Vorgänger Jürgen Rüttgers für seine "engagierte Arbeit" in den vergangenen fünf Jahren. Aber Rüttgers will sich nach der schweren Niederlage seiner CDU bei der Landtagswahl am 9. Mai aus der Landespolitik zurückziehen. Da stehen andere Leute bereit.

Eine Andeutung von dem, was auf Kraft für eine Gegenkraft wirken wird, zeigt die gemeinsame "Protestnote" der Generalsekretäre von CDU, CSU und FDP heute in Berlin. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe kritisierte da zusammen mit seinen Kollegen Alexander Dobrindt (CSU) und Christian Lindner (FDP) in äußerster Schärfe, dass sich Kraft von der Linken tolerieren lassen will. Noch vor der Landtagswahl habe Kraft genau das definitiv ausgeschlossen, sagte Gröhe. "Es gilt das gebrochene Wort."

Bei ihrer ersten gemeinsamen Pressekonferenz im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin präsentierten die Generäle ein Plakat mit der Aufschrift "So linkt Rot-Grün" mit sich angeblich widersprechenden Aussagen Krafts zur Tolerierung durch die Linke. Man fühlte sich angesichts der Plumpheit irgendwie an die Rote-Socken-Kampagne erinnert.

Doch der sonst so nachdenkliche Gröhe begründete die Kampagne mit der "Sorge um NRW". Dobrindt empfahl Kraft, sie müsse "bei dem Schindluder, den sie getrieben hat, heute bei der Vereidigung schamrot werden". Weit über das Ziel schoss er danach hinaus: "Vor 60 Jahren musste die SPD noch gezwungen werden, mit den Kommunisten zusammenzugehen. Jetzt tun sie das freiwillig." Generäle müssen zwar auch den Angriff befehlen können, aber gleich mit einer Strategie des atomaren Erstschlags?

In die gleiche Kerbe wollte eigentlich auch Karl-Josef Laumann hauen, der gerade zum Fraktionsvorsitzenden der NRW-CDU gewählt wurde. Doch er besann sich im letzten Moment noch eines Besseren. Er wird, so ist davon auszugehen, erst morgen richtig loswettern.

Hannelore Kraft
:Die Ja-aber-Frau

Ausgeschlossen, dass sie etwas ausschließt: Hannelore Kraft hat es zur Ministerpräsidentin der ersten Minderheitsregierung Deutschlands geschafft. Nun ist sie auch noch die erste Bundesratspräsidentin. Ein Porträt in Bildern.

Peer Steinbrück war auch anwesend in Düsseldorf. Er ist vor Jahren genau hier als Ministerpräsident gescheitert, wurde von Rüttgers abgelöst und hat dann noch eine stolze Karriere als (äußerst beliebter) Bundesfinanzminister gemacht. Steinbrück wirkte erleichtert, dass die schwarze Regierung nur eine Episode geblieben ist - und keine Ära begründet hat. Das hätte er wohl persönlich genommen.

Im zweiten Anlauf gewählt: Hannelore Kraft nimmt ihren Platz auf der Regierungsbank ein (Foto: ddp)

Aus Kiel meldet sich Heide Simonis zu Wort. Die erste Ministerpräsidentin in der Geschichte der Bundesrepublik wünscht Kraft vor allem viel Nervenkraft - und die kann sie wahrlich gebrauchen. Und Simonis fügte hinzu, sonst wäre sie nicht Simonis: Frauen hätten es in der Politik eh schwerer als Männer - allein schon deshalb, "weil wir so wenige sind und uns immer verlassen müssen auf Hilfe von anderen, die ihre eigenen Vorstellungen haben".

Simonis ist überzeugt, dass Kraft alles unternehmen wird, "um das Experiment zu einem positiven Abschluss zu bringen. Sie wissen natürlich nie, was Ihre Mitspieler und gleichen Sandkistenbewohner machen." Die Linke habe nicht immer erkennen lassen, zu wissen, um was es eigentlich geht: Einen Staat zu modernisieren, Bildungschancen zu garantieren, die soziale Frage so aufrechtzuerhalten, dass alle das Gefühl haben, es werden gleichermaßen Belastungen verteilt. Probleme seien nicht mit Schlagworten wie "Enteignet die Millionäre" zu lösen. "So viele Millionäre haben wir gar nicht, wie wir Geld brauchen."

Hannelore Kraft ist die Erste, die in ihrer Familie Abitur gemacht hat. Ihre Familie ist so stolz auf sie, dass ihr Ehemann Udo die Wahl auf Video festhielt. Sie sei "sehr glücklich", sagte Kraft nun im Anschluss in ihrem ersten TV-Interview als Ministerpräsidentin. Schließlich habe sie dafür lange gekämpft - auch nach der Wahl. Zwei Monate dauerten die Sondierungsgespräche. "Das ist ein großer Moment", fügt sie nun hinzu.

Sie sollte ihn genießen. Denn nach dieser Nacht dürfte die Freude über das Amt schon weitgehend verflogen sein. Dann beginnt die Arbeit. Morgen wird sie das Kabinett vorstellen, dann gibt es auch erste enttäuschte Gesichter in den Reihen von Rot-Grün. Und den ersten Aufschlag für die schwarz-gelbe Opposition, die sich an diesen Zustand erst noch gewöhnen, ihn aber so schnell als möglich auch wieder beenden möchte.

Für Donnerstag prophezeit die Wettervorhersage nur noch 24 Grad in Düsseldorf. Trotzdem wird es wieder heiß, sehr heiß.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Hannelore Kraft
:Bewerten Sie die neue Ministerpräsidentin!

Nun wird sie vermutlich Ministerpräsidentin mit einer Minderheitsregierung. Schafft sie das? Bewerten Sie Hannelore Kraft!

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: