Neue Enthüllungen durch Whistleblower Snowden:USA am Pranger im Cyber-War

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Unterstützung für Whistleblower Edward Snowden (Mitte) und Bradley Manning (rechts): Die Spionageaktivitäten der Obama-Regierung sorgen weltweit für Empörung. (Foto: AFP)

Die Abhörpraktiken des US-Geheimdienstes NSA setzen Präsident Obama erneut unter Rechtfertigungsdruck. Internet-Aktivisten sind empört über die Sammlung der Daten von US-Bürgern. Nun ist auch noch bekannt geworden, dass der Dienst sogar Server in China gehackt hat. Mit Terrorismusbekämpfung lässt sich das alles kaum begründen.

Von Christian Wernicke, Washington

Die Affäre um die weltweiten Abhörpraktiken des US-Geheimdienstes NSA zwingt die Obama-Regierung zunehmend in die Defensive. Zwar droht dem Präsidenten in Washington kaum Unbill, da Kongresspolitiker beider Parteien das massenhafte Abfangen von Telefondaten und die millionenfache Abschöpfung von Mails und Internet-Chats bislang zumeist als Akt der Selbstverteidigung gegen den Terrorismus billigen. Aber ansonsten hagelt es Kritik, von außen und von unten.

Chinas Staatsmedien etwa zeihen die USA nun als "größten Schurken unserer Zeit", und Obamas linke politische Basis revoltiert. Bei einem Treffen von 3000 Internet-Aktivisten beim im kalifornischen San Jose wurde die demokratische Regierung ausgebuht. Ein früherer Obama-Anhänger schrieb seine Enttäuschung über das einstige Idol der US-Linken auf ein Plakat: "Obama hatte uns gesagt, er wolle uns zuhören - wir wussten nicht, dass er das wörtlich meinte. Er sollte sich schämen!"

Pekings heißer Zorn wurde von neuen Enthüllungen von Edward Snowden geschürt. Der flüchtige Ex-Spion, der als früherer Angestellter der National Security Agency (NSA) zahllose Geheimdokumente kopiert hatte, offenbarte der South China Morning Post in Hongkong weitere Details, wie tief die USA ins Netz in China eindringen können.

So sei es den NSA-Lauschern gelungen, per Hackerangriff wiederholt in Rechner der Tsinghua-Universität vorzustoßen. Bei einer Attacke im Januar dieses Jahres habe der Geheimdienst mindestens 63 Computer und Server der Elite-Uni gehackt. Die Universität sowie das Netzwerk Cernet ihres Forschungszentrum gelten in China gleichsam als erste Internet-Zentrale: Auf dem Campus in Peking ist eines von mittlerweile sechs Großnetzen beheimatet, über das Millionen Chinesen miteinander kommunizieren.

Millionen chinesische SMS abgefangen

Damit nicht genug. Snowden gab zudem preis, dass die NSA die Handybenutzer Chinas im Visier hat: Der amerikanische Geheimdienst fange alltäglich Millionen von Kurzmitteilungen (SMS) ab, nachdem es deren High-Tech-Experten gelungen sei, per Hackerangriff in die Zentralrechner mehrerer Telefongesellschaften vorzustoßen. SMS-Botschaften sind unter Chinesen (und auch unter Regierungsbeamten) sehr beliebt, im Jahr 2012 sollen um die 900 Milliarden SMS verschickt worden sein.

Die Machthaber in Peking scheinen sich des Problems bewusst zu sein: Seit Jahren bemüht sich das Regime, die Abhängigkeit von aus dem Ausland gelieferter Kommunikationstechnologie zu verringern. Chinesische Telefongesellschaften sind angehalten, aus dem Westen gelieferte Komponenten zunehmend durch High-Tech "Made in China" zu ersetzen.

Für Washington sind die Enthüllungen überaus peinlich. Bisher hatte stets die US-Regierung auf China mit dem Finger gezeigt - und Peking und dessen militärischem Geheimdienst vorgeworfen, mit massiven Hackerattacken auf amerikanische Regierungsrechner wie auch auf die Computer großer US-Konzerne zu zielen.

Nun stehen die Vereinigten Staaten im Cyber-Krieg selbst am Pranger - und die NSA-Machenschaften in Fernost lassen sich kaum als Anti-Terror-Aktionen rechtfertigen. Chinas amtliche Nachrichtenagentur Xinhua warf Amerika "Scheinheiligkeit und Arroganz" vor; dank Snowden sei "das falsche Image der USA von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten in sich zusammengefallen".

Einen ebensolchen Imageschaden erleidet Obama auch daheim. Bürgerrechtsgruppen werfen der Regierung mittlerweile vor, sie habe die Öffentlichkeit über das Ausmaß ihrer Datensammelwut getäuscht. Noch im März hatte Obamas Geheimdienstkoordinator James Clapper vor dem Kongress behauptet, die NSA horte keinerlei Daten von US-Bürgern.

Inzwischen hat sich herausgestellt, dass die NSA sehr wohl auch Daten ihrer Landsleute sammeln und fünf Jahre lang speichern darf - wenn dies etwa dem Kampf gegen den Terror oder der Verbrechensbekämpfung dient. Beim Treffen der Internet-Aktivisten in San Jose ging das bittere Wort um, Obamas zweite Amtszeit sei wohl eher "die vierte Amtszeit von George W. Bush".

Zunehmend in die Kritik gerät dabei auch der Umstand, dass die NSA nur extrem geringer gerichtlicher Kontrolle unterworfen ist. Der Kongress hatte 2008 die Regeln in einem Gesetz deutlich gelockert. Meist darf der Geheimdienst seine Rohdaten auf der Grundlage sehr weitgefasster Generalermächtigungen sammeln, die ein strikt geheim tagendes Sondergericht erlässt.

Dieser "Foreign Intelligence Surveillance Court" (FISC) überprüft zudem Überwachungen und Datenauswertungen, die gezielt einzelne Bürger ins Fadenkreuz nehmen. Nur plagen die insgesamt elf FISC-Richter dabei offenbar selten Skrupel: Im Jahr 2012 beantragten die Sicherheitsbehörden exakt 1789 Genehmigungen - 1788 segneten die Richter ab, einen Antrag zog die NSA zurück.

Obama will nun reagieren. Das Weiße Haus bedrängt inzwischen die FISC-Richter, wenigstens einige ihrer bislang streng geheimen Entscheidungen zu veröffentlichen. Das soll dem Volk begreiflich machen, wie Amerikas Rechtsschutz funktioniert - und welche Terrorgefahren lauerten, falls die NSA nicht weitermachen dürfte wie bisher

© SZ vom 24.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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