Israel:Netanjahu tritt die Flucht nach vorn an

Lesezeit: 3 min

Vor zwei Wochen hat Israels Premierminister Benjamin Netanjahu (M.) Verteidigungsminister Joav Gallant (r.) gefeuert. Nun will er alle "Unstimmigkeiten" hinter sich lassen. (Archivbild) (Foto: Abir Sultan/AFP)

Im Innern demonstrieren die Gegner, im Äußeren schließen sich die Feinde zusammen. In seiner Not versucht Israels Premier einen Befreiungsschlag - und wirkt dabei fast verzweifelt.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Israel ist in Bedrängnis, und in der größten Bedrängnis ist Israels Premierminister. Felsenfest steht im Innern die Protestfront gegen seine Pläne zum Umbau der Justiz. Im Äußeren ist die Sicherheitslage angespannt wie seit Langem nicht mehr.

In dieser Lage hat Benjamin Netanjahu nun die Flucht nach vorn angetreten und dabei als Erstes einen Schritt zurück gemacht: In einer eilig einberufenen Pressekonferenz am Montagabend hat er die Entlassung seines Verteidigungsministers Joav Gallant rückgängig gemacht. Für alles andere - die Terroranschläge und Raketen an vielen Fronten - machte er die Opposition verantwortlich. Dem versuchten Befreiungsschlag haftet damit gleich der Odem der Verzweiflung an.

Gallants Rauswurf vor zwei Wochen hatte sich für Netanjahu als schwerer Fehler erwiesen. Es hatte die Proteste bis hin zum Generalstreik angestachelt und den Regierungschef gezwungen, genau das umzusetzen, was vom gefeuerten Verteidigungsminister gefordert worden war: eine Pause bei der sogenannten Justizreform für den Dialog mit den Gegnern.

Hisbollah und Hamas demonstrieren öffentlich den Schulterschluss - und dahinter steckt Iran

Als Folge der Entlassung stand die Armee plötzlich kopflos da. Die erste Antwort darauf kam mit dem Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen, wobei dies als Reaktion auf Jerusalemer Unruhen rund um die Al-Aksa-Moschee nicht sonderlich ungewöhnlich erschien. Weit mehr Aufmerksamkeit aber erregte dann, dass Raketen zuerst aus Libanon auf Israels Norden abgefeuert wurden und schließlich am Samstag auch noch aus Syrien. Überdies führten noch zwei Anschläge mit insgesamt vier Toten im Jordantal und in Tel Aviv dem Staat seine Verletzlichkeit gegenüber palästinensischem Terror vor Augen.

Netanjahu musste also die Notbremse ziehen, nachdem er vorige Woche bereits die Entlassung von Gallant auf unbestimmte Zeit verschoben hatte. Nun verwies er darauf, dass die beiden in den vergangenen Tagen "rund um die Uhr an allen Fronten und allen Sicherheitsherausforderungen gegenüber zusammengestanden" hätten. Es sei also an der Zeit, die "Unstimmigkeiten" hinter sich zu lassen.

Netanjahu stand bei diesen Worten in der Kirja, dem Sitz des Verteidigungsministeriums und des Armeehauptquartiers in Tel Aviv - doch Gallant stand dabei auffälligerweise nicht an seiner Seite. Der alt-neue Minister beließ es dabei, über Twitter zu verkünden, dass er nun wieder gemeinsam mit Netanjahu "mit voller Kraft für das Wohl Israels" arbeiten werde.

Diese Kraft wird das Land brauchen, denn die Ereignisse der zurückliegenden Tage haben gewaltige Probleme am Horizont aufscheinen lassen. Zwar löste der aktuelle Raketenbeschuss an gleich drei Fronten keine weitere Eskalation aus, weil Israel vergleichsweise zurückhaltend reagierte. Die palästinensische Hamas wurde als alleinverantwortlich benannt. Bei Vergeltungsschlägen in Libanon und in Syrien wurde darauf geachtet, die von Iran gesteuerte schiitische Hisbollah außen vor zu lassen.

Doch Israels Feinde ließen es sich nicht nehmen, öffentlich den Schulterschluss zu demonstrieren: In Beirut empfing Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah am Sonntag die Führungsriege der im Gazastreifen herrschenden Hamas um Ismail Hanijah. Von "Kooperation" war dort die Rede und von einer "Achse des Widerstands" gegen Israel. Hinter dieser Allianz steht deutlich sichtbar das iranische Regime, das damit die Botschaft unterstrich, dass Israel nun von drei angrenzenden Ländern aus unter Beschuss genommen werden kann.

Größter Profiteur der Regierungskrise ist der frühere Verteidigungsminister Benny Gantz

Für diese bedrohliche Entwicklung machte Netanjahu nun ausgerechnet die israelische Opposition beziehungsweise die von ihr gestellte Vorgängerregierung verantwortlich. Sie habe Schwäche gezeigt, die nun von Israels Feinden ausgenutzt werde. Konkret sprach er das von den USA vermittelte Abkommen zur Seegrenze mit Libanon vom vorigen Oktober an und erklärte fälschlich, dies sei mit der Hisbollah geschlossen worden. "Die Vorgänger-Regierung hat den Feinden israelische Gebiete und Gasvorkommen überlassen, ohne etwas dafür zu bekommen", behauptete er.

Zugleich versprach er, wieder für die Sicherheit des Landes zu sorgen. "Ihr kennt mich", sagte er mit Blick auf die Wähler. "Wir werden die Abschreckung wiederherstellen und den Schaden, den wir geerbt haben, wieder reparieren."

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alles, was Sie heute wissen müssen: Die wichtigsten Nachrichten des Tages, zusammengefasst und eingeordnet von der SZ-Redaktion. Hier kostenlos anmelden.

Ob er mit solchen Schuldzuweisungen Erfolg hat, ist fraglich. Den jüngsten Umfragen zufolge haben viele Wähler das Vertrauen in seine Regierung verloren. Vor allem Netanjahus Likud-Partei befindet sich demnach fast im freien Fall. Wenn jetzt gewählt würde, bekäme sie nur noch 20 Sitze im 120-köpfigen Parlament. Bei der Wahl im vorigen November waren es noch 32. Auch die rechten und religiösen Partner verlieren an Zustimmung. Insgesamt käme die derzeit mit 64 Mandaten regierende Koalition nur noch auf magere 46 Sitze und würde die Mehrheit klar verfehlen.

Größter Profiteur der Regierungskrise ist der frühere Verteidigungsminister Benny Gantz, der mit seiner Liste namens Nationale Einheit in den Umfragen klar vorn liegt. Netanjahus Schuldzuweisungen kommentierte er kühl mit dem Satz: "Mit Jammern zeigt man keine Führungskraft."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMeinungNaher Osten
:Israels Feinde spüren seine Schwäche und nutzen sie aus

Raketen aus Gaza und aus dem Libanon, Unruhen auf dem Tempelberg und im Westjordanland - dem jüdischen Staat droht ein Krieg. Diesmal an mehreren Fronten.

Kommentar von Peter Münch

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: