Russland:Wie schlagkräftig kann Nawalny noch sein?

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Oppositionspolitiker Alexej Nawalny bei seinem Prozess in einem Moskauer Bezirksgericht. (Foto: dpa)

Von der Außenwelt abgeschnitten sitzt der populäre Oppositionspolitiker in Untersuchungshaft. Derweil nimmt die Kritik an ihm weiter zu - vom Kreml, aber auch von liberalen Politikern.

Von Silke Bigalke, Moskau

Seinen Humor hat Alexej Nawalny nicht verloren, so viel wollte er in seiner kurzen Nachricht aus einem Untersuchungsgefängnis zeigen. Dort sitzt er vorübergehend mit zwei Mithäftlingen in Quarantäne, sie haben Brot auf die Heizung gelegt. "Wir trocknen Cracker, und ich hätte nie gedacht, dass das so faszinierend sein könnte", schreibt Nawalny. Er wisse nicht, was draußen passiere, bekomme keine Briefe. Seine Botschaft haben vermutlich seine Anwälte auf Instagram veröffentlicht, zwischen den Zeilen soll sie wohl lauten: Alles in Ordnung, ich bin noch der Alte.

Dabei ist wenig in Ordnung für Russlands Oppositionsführer. Nawalny wird mindestens zweieinhalb Jahre eingesperrt bleiben - als politischer Gefangener, um dessen Leben unter anderem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fürchtet. Auch für die deutsche Bundesregierung und für die EU besteht kein Zweifel daran, dass Nawalny zu Unrecht verurteilt wurde und ihn seine Kremlkritik zur Zielscheibe machte. Doch während Nawalny in den Tiefen des russischen Strafsystems verschwindet, lenkt eine andere Frage immer öfter davon ab, dass er politisch verfolgt wird: der Zweifel an Nawalnys politischer Positionierung. Diese Diskussion währt schon länger, doch gerade jetzt schadet sie ihm besonders.

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Die russische Regierung versucht seit Jahren, Nawalny als Landesverräter zu diffamieren. Aber auch prominente russische Oppositionelle warnen vor seinem Populismus. Und es gibt harte nationalistische Ansichten aus früheren Jahren, von denen er sich nie vollständig distanziert hat. Zugleich unterstützen immer mehr Prominente Nawalny und schlagen ihn sogar für den Friedensnobelpreis vor - unter ihnen ein Preisträger aus Polen: Lech Walesa.

Zuerst zur Propaganda, bei der zuletzt ganz neue Varianten ausprobiert wurden. So diente die Verleumdungsklage eines Weltkriegsveteranen im Februar dazu, Nawalny als besonders niederträchtig und unpatriotisch darzustellen. Der Veteran hatte mit anderen Putin-Anhänger in einem TV-Spot für dessen Verfassungsreform geworben. Nawalny kritisierte pauschal alle Auftretenden als "Verräter", doch gerade Veteranen gelten in Russland als unangreifbare Helden. Nawalny verlor den Prozess. Der beabsichtigte Imageschaden wiegt wohl schwerer als die Geldstrafe von gut 9500 Euro.

Er nahm an Märschen von Rechtsextremen teil

Auch die Sache mit Amnesty International schadet seinem Image. Die Organisation hat Nawalny kürzlich den Status eines "Gewissensgefangenen", also eines gewaltlosen politischen Häftlings, entzogen. Mehrere russische Amnesty-Mitarbeiter sprachen danach in russischen Medien von einer gezielten Kampagne, offenbar hatte es zahlreiche Anfragen zu bestimmten Nawalny-Videos aus der Vergangenheit gegeben. Amnesty International kam zu dem Schluss, dass der Oppositionelle darin Hass propagierte. Genauer führte die Organisation das nicht aus.

Trotzdem will sie nicht auf Propaganda hereingefallen sein. Ihr russischer Sprecher Alexander Artemjew spricht zwar von "orchestrierter Kommunikation", die "Nawalnys frühere Kommentare hervorhob". Doch der Fehler läge bei Amnesty, diese Kommentare hätten schon früher berücksichtigt werden müssen. Man fordere weiterhin seine Freilassung und betrachte ihn als zu Unrecht verurteilt.

Die Videos, um die es offenbar geht, sind online leicht zu finden. Eines stammt von 2006, Nawalny plädiert darin für das Recht, Waffen zu tragen. Am Ende schießt er scheinbar auf einen kaukasischen Terroristen. In einem anderen Video von 2007 sagt er, man müsse "durch Deportationen loswerden", was stört. Dazu zeigt er Bilder von Zuwanderern am Flughafen. "Wir haben das Recht darauf, Russen in Russland zu sein", sagt Nawalny in dem Video. Die Aufnahmen stammen aus einer Zeit, in der Nawalny mit seiner Bewegung "Narod", Volk, um Nationalisten warb und gemeinsam mit Rechtsextremen an Märschen teilnahm. Die liberale Partei Jabloko, in der er seine politische Karriere begonnen hatten, schloss ihn daraufhin aus.

Die russische Journalistin und Politikwissenschaftlerin Jewgenija Albaz kennt Nawalny schon lange persönlich und versucht sein Vorgehen von damals unter der Überschrift "Wie Amnesty International Nawalny im Stich ließ" zu erklären: Nawalny habe in den Nullerjahren die wachsende Anzahl Nationalisten für seine demokratische Idee gewinnen wollen, anstatt sie dem Kreml zu überlassen. "Ich war eine Jüdin, die glaubte, dass Nawalny es versuchen und einen Weg finden sollte, zu diesen jungen russischen Nationalisten zu sprechen", schreibt Albaz.

Sein Programm: Putins Macht brechen

Nawalny selbst hat 2015 mit dem früheren Dissidenten Adam Michnik über Nationalismus diskutiert. Der "imperiale Nationalismus" - also Putins Nationalismus - sei der "schädlichste und gefährlichste" von allen. "Man muss gegen ihn kämpfen. Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass es kein Vakuum geben kann", sagte Nawalny. Er sprach dann von einem "zivilen Nationalismus", dem nicht das Gefühl nationaler Überlegenheit zugrunde liege, sondern ein gemeinsames Streben, das Schicksal des eigenen Landes zu bestimmen. Leider habe Putin den "imperialen Nationalismus" zum Mainstream gemacht.

Das verstörende Abschiebungsvideo von 2007 bereue Nawalny, sagte sein Mitstreiter Leonid Wolkow kürzlich dem New Yorker. Seine Einwanderungspolitik hat sich seither entschärft, vor allem fordert Nawalny eine Visapflicht für Zuwanderer aus Zentralasien, und damit auch einen besseren rechtlichen Schutz für diese Menschen. Insgesamt ist das Thema in den Hintergrund gerückt, Nawalnys Hauptanliegen ist jetzt der Kampf gegen Korruption - und gegen die Kremlpartei "Einiges Russland".

Ein wichtiger Grundsatz hat sich dabei nicht geändert: Nawalny sagt, er werde mit jedem kooperieren, der gegen den Kreml und gegen ein autoritäres Regime steht. Mit seinem Smart-Voting-Prinzip rät er russischen Wählern, für denjenigen Kandidaten mit den größten Chancen gegen den Kreml-Kandidaten zu stimmen. Egal ob dieser Kandidat ein Kommunist, ein Nationalist, ein Liberaler ist. Eine riskante Strategie?

"Nichts kann schlimmer sein, als wenn Einiges Russland alle gesetzgebenden Institutionen zu 100 Prozent besetzt", sagt der Soziologe Sergej Jerofejew von der Rutgers University in New Jersey, der Nawalny ebenfalls für den Friedensnobelpreis vorschlägt. Jerofejew sieht deswegen keine Gefahr darin, jeden zu unterstützen, der nichts mit Einiges Russland zu tun hat. "Es gibt praktisch keinen anderen Weg, das System zu erschüttern." Der Soziologe beschreibt ein Russland ohne linken, rechten, liberalen oder konservativen Flügel. Denn es fehle schlicht die demokratische Grundlage, auf der diese entstehen könnten. Nawalny wolle diese Plattform schaffen.

Selbst im Straflager polarisiert er

Dabei hat der Oppositionelle selbst 2017 ein politisches Programm formuliert, als er für das Präsidentenamt kandidieren wollte. Er fordert darin unter anderem ein gerechtes Justizsystem, einen höheren Mindestlohn, aber auch Steuererleichterungen für Unternehmen, eine stärkere Staatsduma. Soziologe Jerofejew nennt Nawalnys Programm demokratisch, liberal, mit starken Elementen einer linken Ideologie. "Manche würden es eklektisch nennen, aber in der heutigen Situation ist das vielleicht der einzige ehrliche und nutzbringende Weg, ein effizienter Politiker zu sein."

Andere russische Oppositionspolitiker würden sicher widersprechen. Der frühere Chef der liberalen Partei Jabloko, Grigorij Jawlinskij, veröffentliche kürzlich einen langen Artikel, in dem er Nawalny als populistisch, rücksichtslos und autoritär darstellt. Jawlinskij ist für seine Worte auch aus der eigenen Partei hart kritisiert worden, manche Mitglieder haben seinen Ausschluss gefordert.

So polarisiert Nawalny weiter. Doch wie schlagkräftig kann er als Politiker noch sein, wenn er isoliert im Straflager sitzt und vielen seiner Mitstreiter nun ebenfalls Strafverfahren drohen? "Das ist ein wichtiger Test für die Macht neuer Ideen", sagt Soziologe Jerofejew. Man werde sehen, ob Nawalny für ein ganzes Wertesystem stehe, das auch unter schwierigen Bedingungen Bestand habe. "Ich denke, es wird überleben."

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