Russland:Der Kreml wappnet sich

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Truppen der russischen Nationalgarde auf dem Roten Platz, sie sollen Proteste verhindern. (Foto: Pavel Golovkin/dpa)

Truppen marschieren in Moskau auf, um Proteste nach dem Urteil gegen Nawalny zu verhindern. Wladimir Putins betonte Gelassenheit wirkt auffällig. Und dem Oppositionellen droht weiteres Ungemach.

Von Silke Bigalke, Moskau

Kurz vor dem Urteilsspruch sperrten sie die Innenstadt ab. Sondereinsatzkräfte in Heeresstärke stellten sich vor dem Kreml auf. Polizei, Nationalgarde und Omon-Spezialkräfte wappneten sich für den Protest, denn Alexej Nawalny muss nach seiner Verurteilung zu dreieinhalb Jahren Haft für mehr als zweieinhalb Jahre im Gefängnis bleiben - zehn Monate einer früheren Strafe werden ihm angerechnet.

Die Bilder, die folgten, wirkten dystopisch. Einsatzkräfte strömen in mehrreihigen Kolonnen durch Unterführungen und Fußgängerzonen. Videos im Internet zeigen diese große Masse schwarz uniformierter Männer mit schweren Helmen und Masken unter der Weihnachtsbeleuchtung des Moskauer Zentrums.

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Der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny wird für zwei Jahre und acht Monate ins Straflager geschickt. Vordergründig ging es bei dem Prozess um Verstöße gegen Bewährungsauflagen. Doch in Wahrheit ging es um Putin.

Von Silke Bigalke

Dabei fielen die Proteste deutlich kleiner aus als am Sonntag, es kamen ein paar Tausend Menschen. Sie schienen besonders entschlossen zu sein, liefen über die Straße, liefen vor der Polizei davon, blockierten den Verkehr und riefen "Moskau, komm raus" und "Russland ohne Putin". Autos hupten dazu im Rhythmus.

Die Einsatzkräfte hatten anfangs Schwierigkeiten, hinterherzukommen. Später kesselten sie kleine Gruppen Protestierender ein, nahmen allein in Moskau knapp 1200 Menschen fest, in Sankt Petersburg etwa 250. Eines der eindrücklichsten Bilder des Abends: Eine Menschengruppe steht an eine Hauswand gedrückt, die Hände erhoben. "Wir haben keine Waffen", rufen manche. Einige Einsatzkräfte schlagen dennoch zu.

Der Präsident gibt keinen Kommentar ab

Der Kreml hat es längst aufgegeben, behutsam vorzugehen, wenn es um den Oppositionellen Alexej Nawalny geht. Putin riskiert die Eskalation. Seine betonte Gelassenheit wirkt dabei eher auffällig als überzeugend: "Nein, Wladimir Putin verfolgt den Verlauf dieses Prozesses nicht", sagte Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow am Dienstag. Nein, der Präsident kommentiere das Urteil nicht, sagte er am Mittwoch. Und Nawalnys Rede habe Putin auch nicht verfolgt.

Nawalny hatte vor Gericht gesagt, egal wie sehr sich Putin "als großer Geopolitiker, als großer Weltanführer" darstelle, er werde doch als "Unterhosengiftmörder" in die Geschichte eingehen. Der Oppositionelle beschuldigt den Präsidenten, hinter dem Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok zu stehen, den Nawalny im August überlebte. Der Präsident habe genug zu tun, viele Probleme zu lösen, sagte Peskow nun. "Verstehen Sie, es wäre wahrscheinlich dumm, wenn er stattdessen irgendwelche Reden von Verurteilten anhörte. Oder über einen Platz in der Geschichte nachdächte."

Sicher wird der Kreml über die Folgen dieses Urteils nachdenken. Kremlsprecher und Außenministerium hatten schon vorsorglich eine ganze Kaskade an Warnungen und Gegenanschuldigen Richtung Westen geschickt, bevor die Gerichtsentscheidung fiel. Er hoffe, dass die Beziehungen zwischen EU und Russland nicht "von diesem Häftling" abhingen, sagte Peskow am Dienstag, "das wäre dumm". Am Donnerstag wird der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell in Moskau erwartet, er möchte das Urteil gegen Alexej Nawalny ansprechen.

Die ausländischen Diplomaten, die dem Prozess beiwohnten, hatte Peskow davor gewarnt, Druck auf das Gericht ausüben. Es seien etwa 20 Vertreter aus Botschaften "solcher Weststaaten wie USA, Britannien, Bulgarien, Polen, Lettland, Österreich", schrieb auch die Sprecherin des Außenministeriums auf Twitter. Ihre Anwesenheit sei nicht nur eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Russlands. Sie zeige auch "die gesetzwidrige Rolle des kollektiven Westens bei seinen Versuchen, Russland einzuschränken".

Außenminister Sergej Lawrow sagte erneut, es gäbe "allen Grund zu dem Verdacht", dass die Vergiftung Nawalnys "inszeniert" war. Er begründete das damit, dass Moskau immer noch keine Ermittlungsergebnisse aus Deutschland erhalten habe, die die Anschuldigungen gegen die russische Regierung rechtfertigten. Vier Rechtshilfeersuche Russlands haben die deutschen Behörden allerdings bereits beantwortet.

Nawalnys Verteidiger haben angekündigt, in Berufung zu gehen. Ihren Mandanten erwarten mindestens drei weitere Gerichtsprozesse, den ersten bereits Freitag: Nawalny soll angeblich einen Weltkriegsveteranen beleidigt haben. Der Mann hatte in einem TV-Spot für Putins Verfassungsreform geworben, Nawalny nannte ihn "käuflich". Außerdem klagt der Geschäftsmann und Putin-Vertraute Jewgenij Prigoschin wegen Rufschädigung gegen Nawalny, der Prozess wird Mitte Februar erwartet. Drittens haben die russischen Behörden Ende Dezember ein weiteres Verfahren wegen Betrugs gegen Nawalny eingeleitet.

Am Mittwoch bedankte sich dessen Frau Julia über Instagram bei allen Unterstützern. "Ich bin nicht stark, ich bin gewöhnlich", schrieb sie. Ihr Mann habe ihr einen Brief geschickt, ihre Mutter Kohlrouladen, ihre Tochter habe sich bei Tiktok angemeldet, "und ich bin bestraft worden, weil ich durch meine Heimatstadt gelaufen bin. Alles wie bei allen anderen."

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