Die Nato will beim an diesem Mittwoch beginnenden Treffen der Verteidigungsminister beraten, wie sie auf den Bruch des INF-Abrüstungsvertrags durch Russland reagiert. "Wir werden jetzt diskutieren müssen, wie sich die Nato auf die neuen russischen Raketen einstellt", sagte die stellvertretende Generalsekretärin Rose Gottemoeller der Süddeutschen Zeitung. "Dabei haben wir nicht die Absicht, neue landgestützte nukleare Waffensysteme in Europa zu stationieren", fügte sie hinzu.
Das mögliche Ende des INF-Vertrages hat vor allem in Deutschland Sorge vor einem neuen nuklearen Wettrüsten ausgelöst. Die USA werfen Moskau vor, mit dem neuen Marschflugkörper 9M729, bei der Nato SSC-8 genannt, den Vertrag zum Verbot nuklearer Mittelstreckenwaffen aus dem Jahr 1987 zu brechen; die anderen Nato-Staaten haben sich dem angeschlossen. Nach Ablauf einer Frist von 60 Tagen hatten die USA Anfang Februar offiziell ihren Rückzug aus dem Abkommen bekanntgegeben, das zu den wichtigsten Pfeilern der Sicherheitsarchitektur in Europa zählt.
Kündigung des INF-Vertrags:Die neue Freiheit bei der Aufrüstung
Lässt sich der INF-Vertrag noch retten? Schwierig, die USA und Russland wollen nicht auf Mittelstreckenraketen verzichten, wenn Länder wie China und Pakistan sie besitzen.
Daraufhin kündigte auch Moskau den Vertrag, der den beiden Staaten jegliche landgestützten Raketen und Marschflugkörper mit Reichweiten von 500 bis 5500 Kilometern verbietet. Die Tür für Diplomatie, um den INF-Vertrag zu retten, stehe aber weiter offen, sagte Gottemoeller. Washington sei weiterhin bereit, die sechsmonatige Suspendierung zurückzuziehen, wenn Moskau das Abkommen wieder einhält, indem es die Raketen vom Typ 9M729 zerstört.
Bevor sie im Oktober 2016 als erste Frau Vizechefin der Nato wurde, war Gottemoeller unter US-Präsident Barack Obama als Unterstaatssekretärin für Rüstungskontrolle zuständig. Sie war die erste US-Diplomatin, die 2013 Moskau mit dem Vorwurf des Vertragsbruchs konfrontierte. Den Eindruck, die Obama-Regierung habe nicht lautstark genug informiert, weist sie zurück: "Von den mehr als 30 Treffen, bei denen der INF-Bruch mit Moskau besprochen wurde, fanden 25 unter Obama statt. Aber ich will ehrlich sein: Es hat mich frustriert, dass die Probleme in der Öffentlichkeit lange nicht wahrgenommen wurden."
Das etwa von Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) vorangetriebene Ziel, den INF-Vertrag durch eine Multilateralisierung unter Einbindung von China, Indien, Iran oder Pakistan zu retten, ist laut Gottemoeller nicht chancenlos: "Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Dafür gibt es einen simplen strategischen Grund: Diese Marschflugkörper sind sehr präzise und vom Radar kaum zu entdecken, sie fliegen extrem schnell in niedriger Höhe und lassen wenig Reaktionszeit." Der Kreml habe in den Achtzigern den INF akzeptiert, weil die Raketen sehr schnell die Kontrollzentren zerstört hätten, mit denen Moskau sein Militär und andere Waffensysteme steuert. Eine solche Bedrohung durch einen Vertrag abzuwenden, könnte auch im Interesse anderer Staaten in Eurasien sein, so Gottemoeller.
Bei ihrem zweitägigen Treffen werden die Nato-Verteidigungsminister auch über die Lastenteilung innerhalb des Bündnisses sowie die nationalen Investitionen in Verteidigung sprechen. In Bezug auf ein neues Nato-Hauptquartier für militärische Mobilität, das in Ulm entsteht, sagte Gottemoeller: "Wir sind Deutschland sehr dankbar für diese Unterstützung, aber Berlin muss trotz vieler Fortschritte mehr Geld investieren." Gerade die Europäer und Kanada hätten die Verteidigungsausgaben "über viele Jahre gekürzt", weshalb Gottemoeller und ihr Chef Jens Stoltenberg weitere Anstrengungen fordern: "Jetzt müssen wir wieder mehr in unsere Sicherheit investieren, da die Welt unsicherer wird."
Der heftigen Kritik von US-Präsident Donald Trump an der Nato, deren Nutzen er öffentlich in Frage gestellt hat, kann Gottemoeller etwas Positives abgewinnen. Durch Trumps "starke Worte" habe die Debatte über "faire Lastenteilung" mehr Aufmerksamkeit erhält. Erst Anfang Februar hatte Trump in der "Rede zur Lage der Nation" betont, dass die Bündnispartner bis zum Jahr 2020 insgesamt 100 Milliarden Dollar mehr in ihre Armeen investieren werden. Das Miteinander von Amerika und seinen europäischen Partnern bezeichnet Gottemoeller im SZ-Gespräch als "positive symbiotische Beziehung".