Japan:Die Rechten nähern sich der Alleinherrschaft

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Nobuyuki Baba, Parteichef der Nippon Ishin no Kai, bei einer Pressekonferenz. Zweidrittel der Parlamentssitze in Japan fallen auf Unterstützer rechtskonservativer Strömungen. (Foto: Masanori Genko/AP)

Die Oppositionspartei Nippon Ishin no Kai verkauft sich erfolgreich als dynamische Alternative zur regierenden nationalistischen LDP. Aber wo sind eigentlich die Unterschiede?

Von Thomas Hahn, Tokio, Osaka

Generalsekretär Fumitake Fujita erscheint zum Gespräch in Polohemd und Schlappen. Das ist ungewöhnlich für einen japanischen Abgeordneten, der an einem Werktag Besucher in seinem Parlamentsbüro im Tokioter Regierungsviertel Nagatacho empfängt, noch dazu für einen konservativen. Aber möglicherweise ist der legere Auftritt Teil eines imagebildenden Plans, denn Fujita will ja kein normaler Konservativer sein, kein steifer Anzugträger, wie man ihn in der Regierungspartei LDP oft findet.

Fujita gehört zum Führungsstab der rechten Oppositionspartei Nippon Ishin no Kai, die sich als bewegliche Alternative zur alten, ähnlich rechtskonservativen LDP anbietet und dabei immer mehr Zulauf bekommt. "Der japanischen Politik fehlt Dynamik", sagt er, "daran ist die LDP schuld." Ishin ist das japanische Wort für Erneuerung, Fujita ist erst 42. Seine Schlappen scheinen für die Lockerheit zu stehen, die Nippon Ishin no Kai dem politischen Establishment beibringen will.

Viele Japaner haben resigniert, weil die LDP politisch kaum mehr zu schlagen ist

Es ist dieser Tage wieder viel vom fortschreitenden Rechtsdrall der Demokratie die Rede. Radikale Nationalisten erzielen in Ländern wie Deutschland oder Finnland Wahlerfolge. In den USA werden die Republikaner den Geist des Amerika-First-Aktivisten Donald Trump nicht los. Und auch die Lage in Japan scheint zum Phänomen zu passen - wobei der Umstand, dass Ishin im Parlament mittlerweile die zweitstärkste Oppositionskraft hinter der zentristischen CDP ist, schon mehr bedeutet als ein Ausschlag nach rechts.

Die Dauerregierungspartei LDP mit ihrer migrationskritischen Japan-First-Politik steht Organisationen wie der überparteilichen Revisionistenversammlung Nippon Kaigi nahe. Koalitionspartner Komeito, politischer Arm der buddhistischen Glaubensgemeinschaft Soka Gakkai, ist zwar gemäßigter, aber steht letztlich eben doch zur LDP. Und Ishins Positionen sind denen der LDP teilweise sehr ähnlich. Fujita sagt: "Wir finden auch, dass bewahrt werden soll, was sehr lange gehalten hat. Die Kaiserfamilie zum Beispiel." Ishin ist für Kernenergie, Aufrüstung, die Änderung des pazifistischen Verfassungsartikels neun. Wie die LDP. Fujita gibt außerdem zu, dass er Mitglied der Parlamentariergruppe von Nippon Kaigi ist.

Mit Ishin liegen insgesamt zwei Drittel der Parlamentssitze bei den Unterstützern rechtskonservativer Strömungen. Die CDP wirkt blass. Die Sozialdemokraten der Kommunistischen Partei (JCP) sind nach neuen Niederlagen bei den Kommunalwahlen im April zunehmend isoliert. In Japan findet nicht mehr nur ein Rechtsruck oder Rechtsdrall statt. Die Rechte nähert sich der Alleinherrschaft.

Die niedrige Wahlbeteiligung begünstigt die Entwicklung. Viele haben resigniert, weil die LDP mit ihren Erbpolitikern und alten Verbindungen traditionell kaum zu schlagen ist. Eine starke Minderheit wiederum geht nur zur Wahl, um nicht für die LDP zu stimmen. Für solche Protestwählerinnen und -wähler ist Ishin sehr praktisch: nicht zu verkopft, nicht verstörend anders - aber eben gegen die alte LDP.

"Die Leute denken über Ishin: nicht gut, aber besser."

Nippon Ishin no Kai ist die nationale Version der Regionalpartei Osaka Ishin no Kai, die 2010 der damalige Osaka-Gouverneur Toru Hashimoto, ein bekannter Fernsehanwalt und Populist, gegründet hatte. Osaka Ishin regiert heute sowohl in der Präfektur Osaka als auch in deren gleichnamiger Hauptstadt und dient der nationalen Schwesterpartei als Beispiel für Ishins segensreiches Wirken.

"Ishin hat Osaka zum Besseren verändert", sagt Fumitake Fujita. Sie habe unnötige Subventionen gestrichen, die U-Bahn privatisiert und das alte Amakudari-System abgeschafft, nach dem leitende Beamte nach der Pensionierung in die Privatwirtschaft wechselten. Gesündere Finanzen und eine offenere Wirtschaft seien die Folge. Zum Beispiel versuche Ishin in Osaka, das Fahrten-Sharing mit privaten Autobesitzern über die App des US-Transportdienstes Uber zu etablieren. "Das ist in Japan nicht möglich, das Taxi-Gewerbe schützt sich", erklärt Fujita.

In Osaka müsste man also den Unterschied sehen können zwischen dem frischen Ishin-Japan und dem trägen LDP-Japan. Aber auf den ersten Blick sieht Osaka genauso zugebaut aus wie alle japanischen Metropolen. Auf der Fahrt vom Bahnhof Shin-Osaka sagt der Taxifahrer, er habe nichts gewusst von Ishins Uber-Plänen. Und im Regionalbüro der linken JCP sagt Vize-Generalsekretär Masao Nakamura: "Ishin posiert als LDP-Bekämpferin. Das machen sie gut, fast lobenswert." Er lächelt. Aufrichtig findet er den Kurs nicht.

Dass Masao Nakamura die Ishin no Kai kritisch sieht, liegt in der Natur seiner Partei. Aber er bemüht sich um eine faire Bewertung. Osakas LDP-Regierungen vor Ishin seien sehr schlecht gewesen, sagt Nakamura. "Die Leute denken über Ishin: nicht gut, aber besser." Ishin habe tatsächlich das Amakudari-System abgeschafft, "auch die Subventionspolitik der LDP". Aber hier beginnt schon die JCP-Kritik an den Regierenden der Ishin. "Sie haben auch Subventionen gekürzt, die man nicht so einfach kürzen sollte, etwa Krankenhaus-Subventionen." Die soziale Kluft wachse.

Wie die LDP hat auch Ishin Kontakte zur Sekte Vereinigungskirche

Ishins Herzensprojekt, die Zusammenlegung von Präfektur- und Stadtverwaltung nach dem Vorbild Tokios, ist bei zwei Volksabstimmungen gescheitert. Die Idee, einen umstrittenen Casino-Komplex ins Hafengebiet zu setzen, betreibt Ishin im Sinne der LDP. Die Weltausstellung 2025 holte Ishin gemeinsam mit der LDP nach Osaka. Auch sonst scheint Ishin Seilschaften zu nutzen.

Ishin-Abgeordnete haben zum Beispiel Kontakte zur Sekte Vereinigungskirche, deren Wahlkampfkooperationen mit LDP-Größen herauskamen, nachdem ein Gegner der Vereinigungskirche (VK) im Juli 2022 Ex-Premier Shinzo Abe erschossen hatte. Schon im August 2022 räumte Ishin ein, dass 13 ihrer Leute Umgang mit VK-Gruppen hatten, darunter Parteichef und Ex-LDP-Politiker Nobuyuki Baba sowie Generalsekretär Fujita. "Sollten LDP und Ishin eines Tages eine Koalition bilden, würde Ishin ihr wahres Gesicht zeigen", sagt Nakamura.

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"Wir wollen keine Koalition mit der LDP", sagt Fumitake Fujita in seinem Abgeordnetenbüro in Tokio. Aber die Schnittmengen sieht er, klar, "vor allem mit den konservativen Leuten der LDP". Also nicht mit dem gemäßigten Premierminister Fumio Kishida, der mit den Rechten seiner Partei im Streit liegt, weil er mit Steuererhöhungen seine teure neue Sicherheitsstrategie finanzieren will.

Ishin ist gegen Steuererhöhungen, und Kishida ist für Fujita kein richtiger Konservativer. "Er ist in der Mitte, fast unpolitisch." Fujita selbst will natürlich anders sein, entschlossen, agil, gegen alles, was Japan komplizierter oder irgendwie linker macht. Er will dabei auch nicht zu locker wirken. Beim Foto ist Fumitake Fujita wichtig, dass seine Schlappen nicht zu sehen sind.

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