Japan:Sieg im Schatten des Vorgängers

Japan: Japans Premierminister Fumio Kishida geht gestärkt aus den Nachwahlen hervor.

Japans Premierminister Fumio Kishida geht gestärkt aus den Nachwahlen hervor.

(Foto: Eugene Hoshiko/AP)

Premierminister Fumio Kishida blickt auf ein erfolgreiches Wahlwochenende zurück. Seine Macht erscheint gefestigter denn je. Dabei profitiert er von einem Geist, den er seiner Partei eigentlich austreiben müsste.

Von Thomas Hahn, Shimonoseki

Die Hoffnung war, dass die Niederlage diesmal wenigstens nicht sofort feststeht. Aber daraus ist nichts geworden, das muss Yoshifu Arita von Japans zentristischer Oppositionspartei CDP einräumen. Es ist halb neun am Sonntagabend, die Wahllokale bei der Nachwahl zum Unterhaus im Wahlkreis Yamaguchi vier sind erst seit einer halben Stunde zu. Und schon ist klar, dass nicht er, Arita, 71, Journalist und Rassismus-Bekämpfer, gewonnen hat. Sondern der unerfahrene Kandidat Shinji Yoshida, 38, der für die konservative Regierungspartei LDP den Wahlkreis des ermordeten Ex-Premiers und Rechtspopulisten Shinzo Abe übernommen hat.

Arita steht auf einem kleinen Podest vor Journalisten und Anhängern im CDP-Büro am Hafen von Shimonoseki. Er wirkt gefasst. Er ahnte wohl schon, dass selbst bescheidene Ziele zu groß sein könnten. Diese Gegend der Präfektur Yamaguchi ist Shinzo-Abe-Land. Abe war hier immer unangefochten. Yoshida musste für seinen Erfolg nicht viel mehr sagen, als dass er Abes Politik fortsetzen werde. Viele kamen ohnehin nicht zur Abstimmung. Nur 42 Prozent Wahlbeteiligung. "Es gab wohl Leute, die dachten, weil Abe nicht da ist, gehe ich nicht zur Wahl", sagt Arita.

Vorzeitige Neuwahlen strebt er nicht an

Der Sonntag war ein großer Wahltag in Japan. Lokale Parlamente und Bürgermeister wurden bestimmt. In vier Wahlkreisen ging es außerdem um vakante Unterhaussitze, in einem um ein neu zu besetzendes Oberhaus-Mandat. Die Wahlen galten als Stimmungstest für den Premierminister und LDP-Präsidenten Fumio Kishida. Sie sind gut ausgegangen für ihn. Die LDP gewann vier der fünf Nachwahlen. Schon den Ausgang der Gouverneurs- und Parlamentswahlen in einigen der 47 Präfekturen am 9. April hatte man als Erfolg für den Regierungschef deuten können. Am Montag zerstreute Fumio Kishida deshalb alle Gerüchte, wonach er noch in diesem Jahr das Parlament für eine Neuwahl auflösen könnte. "Daran denke ich nicht", sagte er.

Kishida hat dieses Ergebnis gebraucht. Denn in der LDP ist er nicht ganz unumstritten. Abes Vermächtnis ist noch sehr gegenwärtig, obwohl es mittlerweile über neun Monate her ist, dass ein Ex-Marinesoldat den Ex-Premier bei einem Wahlkampftermin in Nara erschoss. Den Anhängern von Shinzo Abe missfällt, dass Kishida manche Prinzipien ihres Idols infrage stellt. Kishida glaubt nicht bedingungslos an das wenig nachhaltige Wirtschaftshilfe-Programm Abenomics. Die neue teure Sicherheitsstrategie gegen Bedrohungen aus China und Nordkorea will er mit Steuereinnahmen finanzieren. Neuwahlen hätten eine Comeback-Chance für die Rechtsaußen der LDP werden können.

Dazu kommt es nun erstmal nicht. Fumio Kishida sitzt fester im Amt denn je, nachdem ihn vor wenigen Monaten noch zahlreiche Ministerrücktritte und die Verbindungen seiner Partei zur neuen religiösen Bewegung Vereinigungskirche belastet hatten. Fraglich ist allerdings, ob das wirklich an Kishidas Politik liegt. Denn noch hat der Premierminister nicht klar gemacht, wie er Japans Wirtschaft wieder zu Wachstum verhelfen und das stetige Sinken der Geburtenrate aufhalten will. Sein jüngstes Umfragehoch hat er wohl unter anderem seinem überraschenden Besuch im März bei Präsident Wolodimir Selenskij in Kiew zu verdanken; moralischer Beistand für die Ukraine im Krieg gegen den Aggressor Russland scheint gut anzukommen in Japan.

Er kann es sich nicht leisten, die Anhänger von Shinzo Abe zu verprellen

Aber Kishida hilft auch der Geist, den er eigentlich vertreiben will. Die LDP bräuchte einen Neuanfang nach den Jahren der Abe-Regierung mit diversen Skandalen und diskret gepflegten Kontakten zur Vereinigungskirche. Aber die Abe-Fans zu verprellen, kann Kishida sich noch nicht leisten. Am Sonntag im Wahlkreis Yamaguchi vier mussten sie seiner LDP die Stimmen sichern. "Wer soll Abes Nachfolger sein, das war hier ein großes Thema", sagt Yoshifu Arita. Und Shinji Yoshida, ein früherer Stadtrat aus Shimonoseki, bekam die Rolle natürlich nicht, weil er Argumente für Kishida sammelte. Sondern weil er sich zu Abe bekannte.

"Ich persönlich bin kein Abe-Fan, aber viele hier finden ihn toll", sagt der Imbissverkäufer Mitsuhiko Hayashi, 57. "Man spürt einfach, dass er immer noch sehr beliebt ist", ergänzt Tomomi, 55, seine Frau. Sie kommen gerade vom Wählen aus dem Rathaus von Shimonoseki. Das Wetter ist schön, das Leben nicht schlecht. Verteidigung und Wirtschaft seien für sie die wichtigsten aktuellen Themen, sagen die Eheleute. Aber laute Klagen haben sie nicht.

Sie glauben auch nicht, dass die örtliche Abe-Begeisterung an einem allgemeinen Rechtsruck liegt. "Das hat eher was mit Heimatliebe zu tun", sagt Mitsuhiko Hayashi. Abe ist halt einer von hier. Schon sein Vater, der Ex-Außenminister Shintaro Abe, vertrat die Gegend im Parlament. Seine Witwe Akie Abe führt ein Hotel gegenüber vom Akama-jingu-Schrein. In der Stadt hängen immer noch Plakate von Abe. Über Kishida hingegen redet hier kaum jemand. Eigentlich redet hier auch kaum jemand über Politik.

"Das liegt auch am Charakter der Bevölkerung", sagt Yoshifu Arita, "in Deutschland hat man sich immer klar zur Kriegsschuld bekannt. In Japan ist alles immer vage." Festlegung macht Angst, Haltung kann Ärger bringen. Das Unbestimmte hingegen lässt Raum für Optimismus und Freundlichkeit. Aus Aritas Sicht entstehen so die Wahlsiege der LDP. Shinzo Abe hat den Japanern mit seinen Wahrheiten nie weh getan. Und Fumio Kishida ist in dieser Hinsicht bisher nicht viel anders.

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