Nach den Landtagswahlen:Die Neuverteilung der Macht

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So hat sich Kanzlerin Merkel den Testlauf für die Bundestagswahl wohl nicht vorgestellt: Die CDU leckt Wunden, die SPD spricht von einer Trendwende - doch die Linke bestimmt die Optionen. Es ist Zeit, über neue Koalitionen zu reden.

Stefan Braun, Daniel Brössler und Susanne Höll, Berlin

An diesem Abend sitzen die Sieger links. Ganz links. Im Hof des Berliner Karl-Liebknecht-Hauses haben die Anhänger der Linken es sich zwischen Bratwurststand und Kuba-Solidaritätstisch gemütlich gemacht. Die Stimmung ist euphorisch.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: In zwei Bundesländern musste die CDU herbe Wahlniederlagen einstecken. (Foto: Foto: Reuters)

Da klingt es fast ein wenig bescheiden, als Gregor Gysi erst einmal von einem "wichtigen Tag" spricht. Er merkt das wohl selbst und legt nach: "Heute ist ein Sprung vollgezogen worden im Saarland, der in dieser Größenordnung einmalig ist in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland."

Das klingt schon gewichtiger, dem Erfolg angemessener. Mehr als 20 Prozent hat Parteichef Oskar Lafontaine in seiner saarländischen Heimat für die Linkspartei erzielt. Die Linken ziehen ein ins fünfte westdeutsche Landesparlament. "Das alles bedeutet, dass die Linke sich deutschlandweit etabliert", erläutert Gysi. Ein "wichtiger Tag" eben.

Es sei eine Gelegenheit, "richtig schön zu feiern", wie Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch den an den Bierbänken Versammelten rät, weil auch im Osten Erfolge zu verzeichnen sind. In Sachsen ist die Linke zumindest nicht abgestürzt, in Thüringen hat sie sich sogar verbessert. Im Saarland und in Thüringen sei nun ein "Politikwechsel möglich", verkündet Bartsch - wenn SPD und Grüne nur wollten. Darauf wird es nun ankommen.

"Der Stärkere lädt ein, der Stärkere schlägt vor"

In Thüringen hat SPD-Mann Christoph Matschie angekündigt, auf keinen Fall einen Linken zum Ministerpräsidenten wählen zu wollen. Gysi, der Fraktionschef der Linken im Bundestag, macht noch mal klar, dass die Partei in Thüringen nicht als Juniorpartner der schwächeren SPD zur Verfügung stehe. "Mit uns kann man Spielregeln, die seit 1949 gelten, nicht außer Kraft setzen", sagt er mit Blick darauf, dass gewöhnlich die stärkste Fraktion einer Koalition den Regierungschef stellt.

Beim Wahlsieger Bodo Ramelow in Erfurt klingt das nur wenig konzilianter: "Der Stärkere lädt ein, der Stärkere schlägt vor." Wann immer Ramelow auf der Großbildleinwand erscheint, wird gejubelt im Hof des Liebknecht-Hauses. Einige skandieren "Bodo, Bodo". Die Partei hat einen neuen Star, das wird vermutlich der andere linke Wahlsieger des Abends, Oskar Lafontaine, noch zu spüren bekommen.

"Die Botschaft scheint verstanden"

Ein bisschen weiter rechts von ganz links halten sie sich irgendwie auch für die Sieger. Diesen Eindruck könnte man bei der SPD im Berliner Willy-Brandt-Haus tatsächlich gewinnen, wüsste man nicht, wie die Landtagswahlen wirklich ausgegangen sind. Eine halbe Stunde nach Schließung der Wahllokale tritt Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier auf die Bühne der Parteizentrale und wird umjubelt, beklatscht. Der Parteivorsitzende Franz Müntefering steht neben ihm, er grinst. Beide haben noch kein Wort gesagt. Aber der Saal feiert sie, gerade so, als hätte die Partei einen Triumph zu verkünden.

Hat die SPD die Wahlen gewonnen? Ein Mann in den Fünfzigern, mutmaßlich ein Sozialdemokrat, ruft: "Jetzt geht's los, jetzt geht's los!" Steinmeier lächelt, er wirkt erleichtert, schaut in den Saal. "Wir brauchen diese Wahlergebnisse nicht mehr zu kommentieren", sagt er. "Die Botschaft scheint verstanden."

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Der Applaus ist laut, demonstrativ, trotzig. Es sei ein guter Wahlsonntag für die SPD, findet der Kandidat, ohne auf die sehr mäßigen Ergebnisse seiner Truppe im einzelnen einzugehen. Steinmeier will woanders hin: Die CDU habe "dramatische Verluste" erlitten, ruft er. Und eines sei nach diesem Abend sicher: "Schwarz-Gelb ist nicht gewollt in diesem Land." Dafür wird er bejubelt.

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Alle Zutaten sind da, um ordentliche Sieger zu präsentieren

Wir hatten schon schlechtere Abende", bilanziert ein gutgelaunter Finanzminister Peer Steinbrück das Ergebnis. Zusammen mit Steinmeier, Müntefering und der übrigen SPD-Spitze wird er am Montag nach Hannover fahren - zur großen Kundgebung zum Start der heißen Wahlkampfphase.

Steinbrück, der auch stellvertretender Parteivorsitzender ist, und alle anderen sind erleichtert, dass man in Hannover und anderswo keine Durchhalteparolen ausgeben muss, sondern weiter gegen die "schwarz-gelbe Gefahr" agitieren kann. "Wir haben jetzt wieder eine Spur. Und Angela Merkel, davon können sie ausgehen, wird jetzt nervöser werden", sagt ein führender Sozialdemokrat.

In der CDU-Parteizentrale kann man erleben, dass sich manchmal auch durch die beste Vorarbeit sehr Unangenehmes nicht verhindern lässt. Die CDU-Spitze hat eigentlich alles organisiert, um sich wie ein ordentlicher Sieger zu präsentieren. Viel Essen ist da, sehr viele Getränke sind da. Und dazu bereitwillige Jubler in orangefarbenen CDU-T-Shirts. Da muss sich doch eine Feier machen lassen.

Irritierend, schmerzhaft

Lässt sich aber nicht, wenn die Wähler nicht machen, was sich die CDU gewünscht hat. Das zeigen alle Zahlen, die an diesem Abend über die Bildschirme flimmern. Jubeln können dabei auch die unerschütterlichsten Fans nur, als die Ergebnisse aus Sachsen präsentiert werden. Ansonsten fühlt sich diese Wahlkampfjugend an, als hätte sie sich im Ort geirrt. Zu irritierend, ja schmerzhaft sind die zweistelligen Verluste in Thüringen und im Saarland. Quittiert wird das mit eindrucksvoller Stille.

Als kurz vor halb sieben CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla vor die Mikrofone tritt, sieht man schnell, dass es auch der Parteispitze nicht wirklich anders geht als dem eigenen Fußvolk. Irgendwie ist das Allerschlimmste verhindert worden, aber das erhoffte Ergebnis wurde so weit verfehlt, dass es weh tut. Im Saarland und in Thüringen hat die CDU so viel verloren, dass selbst die größten Pessimisten in der Rückschau plötzlich wie Optimisten wirken. Norbert Röttgen, der Fraktionsgeschäftsführer, spricht vorsichtig "von Licht und Schatten", aber die meisten im Konrad-Adenauer-Haus wissen, dass die Schatten doch recht lang sind.

Pofallas schwerster Abend

Daran kann auch Ronald Pofallas Fähigkeit, die Dinge schön zu reden, nicht viel ändern. Natürlich gratuliert er den Sachsen, weil sie zur besseren Seelenlage der Parteispitze eine stabile schwarz-gelbe Mehrheit erreicht haben. Ansonsten aber ist dieser Abend, vier Wochen vor der Bundestagswahl, Pofallas schwerster in bald vier Jahren Amtszeit. Das Saarland könnte von rot-rot-grün regiert werden, Thüringen auch.

Immerhin, Pofalla zeigt seine Trotz-Fähigkeiten und verlegt sich darauf, das aus Sicht der CDU irgendwie Angenehme zu beschreiben. Die CDU bleibe die stärkste Partei in allen Landtagen, die SPD habe ihre Rolle als Volkspartei verloren. Und im übrigen gehe es ab sofort nur um eine einzige Frage: Wer in Deutschland klare Verhältnisse wünsche, der müsse CDU wählen.

Stabile Verhältnisse, das sind eben die zwei Worte des Abends für die CDU-Spitze. So oft sagen Pofalla und Röttgen das, dass man prompt an eine mentale Schutzmauer denkt, die die beiden errichten möchten. Schutz gegen den Frust der Verluste - und Schutz gegen die Strategie der SPD, diesen Abend als Trendwende zu verkaufen. Wenigstens erste Zahlen von den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen sind nicht so schlimm. "Wenn das so bleibt, können wir uns daran festhalten", sagt ein Vorstandsmitglied. Das Wort Festhalten zeigt schon: Es geht nicht um Siege an diesem Abend.

© SZ vom 31.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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