Nach dem Flugzeugabsturz in Ägypten:Im Urlaub gefangen

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  • Die meisten Touristen, die aus Scharm el-Scheich zurückfliegen wollen, harren noch immer am Flughafen aus.
  • Westliche Politiker halten einen Terroranschlag für möglich, teils sogar für "wahrscheinlich".

Von Julian Hans, Moskau, und Paul-Anton Krüger, Scharm el-Scheich, Scharm el-Scheich/Moskau

Am Freitag sollten sie wieder fliegen, die britischen Urlauber von Scharm el-Scheich. Zurück nach London, Manchester, Birmingham. Ihr aufgegebenes Gepäck allerdings würden sie zurücklassen müssen auf dem Sinai. Die Koffer sollen binnen zehn Tagen per Kurier nachgeliefert werden, hat die Regierung in London versprochen. Das sei das Ergebnis verbesserter Sicherheitsprozeduren, die kurzfristig mit den Fluggesellschaften und dem ägyptischen Flughafenbetreiber umgesetzt wurden. 4000 gestrandete britische Feriengäste, so hieß es am Morgen, könnten nach Hause fliegen, am Abend trafen dann auch erste Maschinen aus Scharm el-Scheich in London ein. Zu dieser Zeit berichteten französische Medien am Freitag, die Auswertung der Flugschreiber stütze den Verdacht, dass ein Terroranschlag die am vergangenen Samstag die russische Passagiermaschine mit 224 Menschen an Bord zu einem "brutalen, plötzlichen" Absturz gebracht habe. Diese Information stamme aus Kreisen der Ermittler, hieß es. Als sich die ersten Urlauber am Freitagvormittag am Flughafen zu sammeln begonnen hatten, kam aber eine andere Hiobsbotschaft für sie: Die Fluggesellschaft Easyjet teilte mit, die ägyptischen Behörden hätten die Rückholflüge ausgesetzt. Von den zehn geplanten Verbindungen müssten acht gestrichen werden; insgesamt sollten am Freitag 29 Maschinen auf die Insel fliegen.

Eilmeldungen aus Russland

Andere Fluggesellschaften gingen davon aus, ihre ohnehin geplanten wie ihre zusätzlichen Flüge auch abwickeln zu können. Hunderte frustrierte Briten wurden in Hotels zurückgebracht. Der britische Botschafter John Casson sagte, die ägyptischen Behörden würden keine Flüge blockieren, es gebe logistische Probleme. Der Flughafen ist laut Luftfahrtministerium in Kairo an der Kapazitätsgrenze. Die regulären Flüge, vor allem nach Russland, müssten auch abgewickelt werden.

Nach Flugzeugabsturz
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"Bis wir die wahren Gründe für die Geschehnisse herausgefunden haben": Nach dem Absturz eines Airbus über Ägypten stellt Russland den Flugverkehr in das Land ein.

Deshalb könnten nur acht nach Großbritannien abgefertigt werden Die Russen flogen da noch, als sei nichts gewesen.

Doch am frühen Abend kamen dann die Eilmeldungen aus Moskau. Zuerst hieß es, dass nun auch der russische Geheimdienst FSB empfohlen habe, Flüge nach Ägypten zu stoppen. Nur Minuten später ordnete Präsident Wladimir Putin genau dies an. Keine russische Maschine soll also mehr nach Ägypten starten, ehe die Ursache für den Absturz des russischen Flugzeugs aufgeklärt sei.

Obama hält einen Sprengsatz für möglich

Noch am Vormittag hatte Putins Sprecher die alte Linie verteidigt, bei den Warnungen aus London und Washington handle es sich um Spekulationen. Die Briten hätten ihre Informationen, aufgrund derer sie den Flugverkehr von der Sinai-Halbinsel gestoppt hatten, nicht weitergegeben, sagte Dmitrij Peskow. Die Wende bei Moskaus Entscheidung für den Flugstop kam zuvor nach einer Sitzung des nationalen Anti-Terror-Komitees. Was immer die Teilnehmer unter strenger Geheimhaltung besprachen, es hat dazu geführt, die Lage neu zu bewerten. Er rate dazu, die Flugverbindungen mit Ägypten einzustellen, "bis wir die wahren Gründe der Ereignisse geklärt haben", sagte der Vorsitzende des Gremiums, der Direktor des Geheimdienstes FSB, Alexander Bortnikow. Putin habe daraufhin die Regierung angewiesen, den Rat des Anti-Terror-Komitees umzusetzen. Zugleich solle mit den Ägyptern daran gearbeitet werden, den Luftverkehr sicherer zu machen. Moskau verfolgt also einen ähnlichen Plan wie die Briten: Eigene Experten werden nach Ägypten geschickt, um die Sicherheit an Flughäfen zu prüfen und Kontrollen zu verschärfen. Die Entscheidung, die Flugverbindungen zu stoppen, bedeute nicht, dass ein Anschlag nun wichtigste Version für die Katastrophe sei, betonte Kreml-Sprecher Peskow. Sobald mit Ägypten "das nötige Maß an Sicherheit gewährleistet" sei, würden die Flüge wieder aufgenommen. Am Freitag empfing der stellvertretende Außenminister Oleg Syromolotow den britischen Botschafter in Moskau,sie sprachen über "im Kontext der Ermittlungen über den Absturz des A321 über Maßnahmen, um der terroristischen Gefahr zu begegnen", teilte das Ministerium mit. Anders als die britische Regierungen stoppt Moskau nicht nur die Flüge auf den Sinai, sondern alle Verbindungen nach Ägypten. Laut Tourismusbehörde Rosturism halten sich bis zu 50 000 Urlauber aus Russland dort auf. Die Behörde bildete einen Krisenstab, der ihre Heimreise koordinieren soll - was bis zu einem Monat dauern könne. Doch auch die zwischen britischen Behörden, Fluggesellschaften und Ägypten ausgehandelte Lösung kommt einem Misstrauensvotum gegenüber Gepäckkontrollen und Sicherheit am Flughafen gleich: Mit Äußerungen anonymer britischer Geheimdienstler ist sie deutlichstes Anzeichen, dass die Behörden davon ausgehen, dass Terroristen gelang, eine Bombe im Frachtraum der russischen Maschine zu platzieren, die nach Sankt Petersburg startete.

US-Präsident Barack Obama sagte, es sei "eine Möglichkeit", dass ein Sprengsatz zu dem Absturz geführt habe, auch wenn "wir das noch nicht wissen". Der britische Premier David Cameron bekräftigte, dies sei "wahrscheinlicher" als eine andere Ursache, also ein technischer Defekt.

Der russische Kommersant berichtete, die Analyse des Datenrekorders habe wenig zur Aufklärung beitragen können. Sie zeige, dass in den ersten 20 Minuten nach dem Start alle Systeme reibungslos funktioniert hätten.

Dann brächen die Aufzeichnungen plötzlich ab. Offenbar ist das der Moment, in dem das Flugzeug zerbarst. Für ein sehr plötzliches Problem spricht auch, dass die Piloten keinen Notruf absetzten. Zwar konnte der Stimmrekorder nach ägyptischen Angaben noch nicht ausgewertet werden, weil er beschädigt ist. Ein Notruf kann aber auch per Knopfdruck abgesetzt werden. Aber sogar dafür ging offenbar alles zu schnell. Um die Ursache zu finden, soll der Flieger nun aus den Wrackteilen rekonstruiert werden. Bis erste Ergebnisse veröffentlicht werden, könnten Monate vergehen, sagte der Chef der Luftfahrtbehörde, Alexander Neradko.

Der IS-Ableger im Nordsinai gilt als einer der gefährlichsten

Sollte Cameron mit der Bombenthese Recht behalten, wären die zwei Bekenner-Erklärungen - eine schriftliche und eine als Audiobotschaft der "Provinz Sinai" des Islamischen Staates - als authentisch erwiesen. Westliche Geheimdienste halten den IS-Ableger im Nordsinai für einen der, vielleicht den gefährlichsten.

Bislang versuchte Ägyptens Armee den Eindruck zu erwecken, mit einer wochenlangen Militäroperation, bei der mehr als 650 Terrorverdächtige getötet wurden, den Sinai unter Kontrolle gebracht zu haben. Sollte es dem IS gelungen sein, die Sicherheit am Flughafen in Scharm el-Scheich zu infiltrieren, wäre dies eine schwere Blamage für Präsident Abdel Fattah al-Sisi - und das erste solche Attentat des IS. Womöglich war es für die Terroristen einfacher, wenige Hundert Gramm Sprengstoff an Bord zu bringen, als ein Touristenressort anzugreifen.

© SZ vom 07.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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