Nach Anschlägen von Paris:Deutsche Behörden zwischen Sicherheit und Freiheit

Festnahmen in Brüssel

Oft bleibt der Polizei - wie hier bei Festnahmen in Brüssel - nur die Reaktion. Eine umfassendere Überwachung Verdächtiger ist aufwändig.

(Foto: AP)
  • Nach den Anschlägen von Paris sind die deutschen Geheimdienste und Polizeibehörden sehr schnell in Alarmstellung gegangen.
  • Neue Hinweise werden im Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum (GTAZ) in Berlin-Treptow diskutiert, wo Vertreter von 40 Behörden der inneren Sicherheit sitzen.
  • Die Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit ist kompliziert. Nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo im Januar ergriffen die Behörden mehrfach voreilige Maßnahmen gegen scheinbar Verdächtige.

Von Hans Leyendecker und Georg Mascolo, Berlin/München

Die schrecklichen Bilder aus Paris, von der Konzerthalle und den Bars, in denen der Terror tobte, liefen gerade über den Bildschirm, das Ausmaß der Anschläge war erst in Umrissen erkennbar, da setzte das Bundeskriminalamt (BKA) einen geheimen Plan in Kraft.

Ein zwischen Bund und Ländern 2009 vereinbartes Programm schreibt detailliert vor, wie die deutschen Sicherheitsbehörden reagieren sollen, wenn es im Ausland einen großen Anschlag gibt.

Als im Januar in Paris Charlie Hebdo und ein jüdischer Supermarkt angegriffen wurden, hatte das BKA zunächst noch die Bundesländer konsultiert und erst dann den Plan in Kraft gesetzt. Dieses Mal war keine Absprache mehr notwendig. Das Ausmaß der Brutalität, das koordinierte Vorgehen von mehreren Gruppen und der Einsatz von Sprengstoffgürteln in Paris machten jede Diskussion unnötig.

Mit dieser Entscheidung sind die deutschen Geheimdienste und Polizeibehörden in eine Art höchste Alarmstellung übergegangen. Innenminister Thomas de Maizière mag den von den USA verwendeten Farbcode, der bei steigender Gefahr von Gelb auf Orange umspringt, nicht.

De Maizière verwendet lieber das Bild von der vorderen Stuhlkante, auf der Sicherheitsbehörden säßen. Von einer Stuhlkante kann man rutschen, wenn man nicht aufpasst. Man kann auch vom Stuhl fallen. Man ist aber auch auf alles vorbereitet, man ist auf dem Sprung - das will de Maizière sagen. Aber man sollte nie zu früh springen.

Lücken werden bleiben

Nicht nur in Frankreich, auch hierzulande, wird jetzt einiges anders aussehen: Schwer bewaffnete Beamte ziehen auf, an Bahnhöfen und Flughäfen etwa, mit schusssicheren Westen und Maschinenpistolen. Andere Elemente des Plans sind geheim, zudem muss nicht alles zur gleichen Zeit in Kraft gesetzt werden.

Als wesentlich gilt eine noch bessere Überwachung der als gefährlich eingeschätzten Islamisten. Über jede als gefährlich erachtete Person wird in einer Arbeitsgruppe des Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrums (GTAZ) gesprochen. Die Einschätzungen sind aber keine exakte Wissenschaft. Lücken werden bleiben.

Schwierige Balance zwischen Sicherheit und Freiheit

Es war nie einfach, echte und vermeintliche Bedrohungen auseinanderzuhalten. Neue Hinweise werden im GTAZ in Berlin- Treptow diskutiert. Es ist ein schwieriges Geschäft und man kann niemanden darum beneiden, diese Entscheidungen zu treffen.

Im GTAZ sitzen Vertreter von 40 Behörden aus dem Bereich der inneren Sicherheit und sie sichten auch die "operativen Eilvorgänge". Welcher ist gehaltvoll, welcher nicht? Es gibt in der Islamisten-Szene viele potenziell Verdächtige, und es wird nach dem zweiten großen Anschlag in Paris auch wieder viele Hinweise auf angebliche weitere Anschläge geben.

Das wird wieder eine schwierige Balance werden zwischen Sicherheit und Freiheit - und auch deshalb kann ein Blick zurück auf den Zeitraum zwischen Charlie Hebdo und den Anschlägen vom Freitagabend hilfreich sein. Paris 1 und Paris 2.

Vor allem in den ersten Wochen nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo wurde häufig Alarm ausgelöst. In Dresden wurden eine Demonstration von Pegida und eine Gegendemonstration verboten. In Braunschweig fiel der Karnevalsumzug aus, und auch ein internationales Radrennen in Hessen wurde abgesagt, weil angeblich ein Anschlag drohte. In Bremen wurden schwer bewaffnete Polizisten in die Innenstadt geschickt. Die Behörden hatten vermutet, mit Maschinenpistolen ausgerüstete Islamisten könnten in der Stadt sein. In keinem der Fälle hat sich der Verdacht später bestätigt.

Der Umgang mit der Terrorgefahr war nie einfach. Im Nachhinein haben viele es angeblich immer vorher gewusst, aber es kann sinnvoll sein, sich die einzelnen Fälle genauer anzuschauen, um neue Übertreibungen zu vermeiden.

BKA fing Tweet auf Arabisch ab

Der erste Fall nach Paris 1 spielte in Dresden: Dort gab es schon lange die Pegida-Demonstrationen, und das BKA fing einen Tweet auf Arabisch ab, in dem die "einsamen Wölfe in Deutschland" auf den Pegida-Organisator Lutz Bachmann hingewiesen wurden.

Ein kleinerer ausländischer Geheimdienst meinte gehört zu haben, es gebe Pläne, Bachmann zu ermorden. Potenzielle Attentäter seien aufgefordert worden, sich unter die Demonstranten zu mischen. Das Innenministerium in Dresden entschied sich für ein Verbot der Veranstaltung. Und auch die Gegendemonstration wurde nicht erlaubt.

In Bremen rügten Richter voreiliges Vorgehen gegen Verdächtige

Die Sachsen hatten Angst, irgendetwas könnte passieren; in Berliner Regierungskreisen war man irritiert. Auf dieser Grundlage sage man keine Demonstration ab. Man dürfe sich nicht von Dschihadisten treiben lassen.

Eher irritierend, nicht nur aus heutiger Sicht, war die Absage des Karnevalsumzugs in Braunschweig. Durch einen V-Mann hatte der niedersächsische Verfassungsschutz den Hinweis erhalten, Islamisten planten angeblich einen Anschlag auf den Umzug. Das reichte.

Und die Aktion in Bremen war erst recht obskur. In der Hansestadt wurde von einem mutmaßlichen Waffenhändler berichtet, der angeblich 60 Maschinenpistolen und Automatikwaffen erworben und an Leute verteilt hatte, die mit einem islamischen Kulturzentrum zu tun hatten.

Es gab einen Durchsuchungsbeschluss. Darin stand, ein Verdächtiger habe eine "Tüte unbekannten Inhalts" an eine "nicht identifizierte Kontaktperson" übergeben. Außerdem habe er Kontakt zu vier unbekannten Männern, die Kalaschnikows besäßen und aus Frankreich anreisen wollten. Das Kulturzentrum wurde von der Polizei gestürmt. Später befand das Landgericht Bremen, die Razzia sei rechtswidrig gewesen.

Schlagzeilen machte auch die Absage des Radrennens durch den Taunus. Ein Verdächtiger war aufgefallen, weil er mit seiner Ehefrau in einem Baumarkt Sachen gekauft hatte, die auch zur Herstellung von Sprengsätzen geeignet sind. Er wurde observiert, und es fiel auf, dass er auch dort unterwegs war, wo das Radrennen am 1. Mai stattfinden sollte. Im Keller seines Hauses wurde eine Rohrbombe gefunden, die nicht auf dem neuesten Stand war. Er und seine Frau wurden festgenommen. Das Radrennen wurde abgesagt.

Inzwischen ist die Frau wieder auf freiem Fuß. Gegen den Mann wurde Anklage erhoben; doch vor einigen Wochen teilten die Ermittler mit, es habe zwar Hinweise dafür gegeben, dass er einen Anschlag geplant habe. Diese hätten aber "nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bestätigt" werden können.

Vermutlich ein Spinner - dennoch prüfen die Behörden den Fall

Nach Paris 2 wird es nun wieder um die alten Fragen gehen: Freiheit und Sicherheit, Hysterie und Panik. In welche Kategorie gehört der Fall, der in diesen Tagen die Behörden in NRW beschäftigt?

Ein Algerier aus einer Asylbewerberunterkunft in Arnsberg soll am Sonntag vor den Anschlägen gegenüber zwei syrischen Mitbewohnern angekündigt haben, in vier Tagen werde Paris in Angst und Schrecken versetzt. Auch von einer Bombe soll er gesprochen haben.

Nach dem Anschlag meldeten sich die beiden Syrer bei der Polizei. Der Algerier wurde vorläufig festgenommen. Er sagte, er habe das doch nur so gesagt. Er habe nichts von den Anschlägen gewusst. Dann aber drohte der Algerier: Wenn man ihn einsperre, werde auch etwas in Arnsberg passieren. Außerdem hasse er Frankreich. Vermutlich ein Spinner - glauben die Behörden. Dennoch wird der Fall jetzt sorgfältig geprüft. Es wurde Haftbefehl erlassen. Wegen Nichtanzeige geplanter Straftaten.

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