Myanmar und China:Aufstand im Schatten des Riesen

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Die Ta'ang National Liberation Army, eine der ethnischen Rebellengruppen im Shan-Staat in Myanmar. (Foto: AFP)

Mit der Einnahme zweier Städte an der Grenze zu China ist den Widerstandsgruppen in Myanmar ein womöglich entscheidender Schlag gegen die Junta gelungen. Wie wird China auf die neue Lage reagieren?

Von David Pfeifer, Bangkok

Um einen Riesen zu bezwingen, hilft manchmal eher die Steinschleuder als die Keule. China, in diesem Fall der Riese, forderte vom Nachbarland Myanmar am Montag, "die Stabilität entlang der Grenze zwischen China und Myanmar aufrechtzuerhalten", wie Nong Rong, chinesischer Vize-Außenminister, bei einem Besuch in Myanmar sagte. Es gehe darum, "ernsthaft die Sicherheit des Lebens und des Eigentums der chinesischen Grenzbewohner zu gewährleisten". Auslöser waren die jüngsten Kämpfe zwischen der Junta, die sich am 1. Februar 2021 in Myanmar an die Macht geputscht hatte, und den Widerstandsgruppen, die in diesem Dauerkonflikt womöglich einen entscheidenden Erfolg errungen haben.

In den Grenzregionen Myanmars sammeln sich die sogenannten Ethnic Armed Organisations (EAO), bewaffnete Gruppen ethnischer Minderheiten, die ihren Widerstand auch nach dem Umsturz nicht aufgegeben haben. In einer der Regionen, dem nördlichen Shan-Staat, kam es in der vergangenen Woche zu koordinierten Attacken mehrerer EAOs, die nach eigener Aussage nun die Grenzstadt Chinshwehaw und die Stadt Hsenwi, die an der Straße zur chinesischen Grenze liegt, "vollständig kontrollieren".

Durch das Gebiet läuft eine chinesische Pipeline

Durch den Shan-Staat laufen wichtige Öl- und Gaspipelines Chinas, bis hinunter zu Myanmars Tiefseehafen Kyaukphyu im Golf von Bengalen. Es ist eine von Pekings wichtigsten Abkürzungen im Welthandel. Eine milliardenschwere Eisenbahnverbindung ist als Teil von Pekings globalem Infrastrukturprojekt "Belt & Road Initiative" geplant. Und hier trifft den Riesen die Steinschleuder der EAOs.

Die Junta versucht seit dem Putsch vergeblich, ihre Macht mit Brutalität zu konsolidieren. Die Soldaten töten und foltern auch Zivilisten, aber der Widerstand wächst, das Land versinkt im Chaos. Die EAOs bekommen daher immer mehr Zulauf aus der Demokratiebewegung. Die Gruppen, die sich nun zu diesem gemeinsamen Angriff zusammengeschlossen haben, verfügen insgesamt wohl über mindestens 15 000 Kämpfer.

Sie erklärten bereits am vergangenen Freitag, dass sie mehrere Militärposten und wichtige Straßen eingenommen hätten, das Militär habe viele Tote und Verwundete zu beklagen. Unabhängig überprüfen lassen sich diese Angaben bislang nicht. Die Vereinten Nationen befürchten, dass über 6200 Menschen durch die Kämpfe vertrieben wurden, darunter 600, die über die chinesische Grenze geflohen seien. Peking ist also auf mehreren Ebenen von den Unruhen im kleinen Nachbarland betroffen.

Die vom Militär eingesetzte Kulissenregierung, das "State Administration Council" (SAC), ist zwar international isoliert, wurde aber bislang von China und Russland gestützt. Peking weigerte sich, den Coup von 2021 als Staatsstreich zu bezeichnen und forderte die westlichen Länder auf, die Souveränität Myanmars zu respektieren. Gesandte Chinas trafen sich regelmäßig mit SAC-Vertretern, also der Junta. Gleichzeitig unterstützt und bewaffnet China laut Analysten aber auch mehrere EAOs entlang der Grenze zu Myanmar, wo auch ethnische chinesische Gemeinschaften leben, die chinesische SIM-Karten und chinesische Währung verwenden. Peking dementiert das.

Ändert Peking seine Doppelstrategie?

Wenn nun aber chinesische Infrastruktur und Menschenleben gefährdet sind, könnte sich auch die offizielle Haltung Pekings ändern. Die Nachrichtenseite Asia Times berichtete am Montag, dass am Samstag ein chinesischer Staatsbürger getötet und mehrere verwundet wurden, als eine vom Militär in Myanmar abgefeuerte Granate ihr Ziel verfehlte und auf der chinesischen Seite der Grenze einschlug. "Wir fordern die Parteien auf, die Kämpfe sofort einzustellen, die Differenzen friedlich durch Dialog und Konsultation beizulegen und eine Eskalation zu vermeiden", sagte Wang Wenbin, Sprecher des chinesischen Außenministeriums, bei einer regelmäßigen Pressekonferenz.

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Die Frage ist nur, ob die Junta diesen Frieden nun herstellen kann, nachdem ihr das in mehr als zweieinhalb Jahren nicht gelungen ist. Eigentlich hatten die Generäle freie Wahlen angekündigt und versucht, der internationalen Gemeinschaft zu zeigen, dass sie die Kontrolle haben. Derzeit aber fliegt das Militär heftige Luftangriffe auf die Gebiete der EAOs, bei denen viele Zivilisten sterben.

Während seines Besuchs in Myanmar traf Chinas stellvertretender Außenminister Nong Rong nicht nur Vertreter des SAC. Er besuchte auch die 793 Kilometer lange Erdgas-Pipeline, die die Insel Ramree an der Westküste Myanmars mit der chinesischen Grenzstadt Ruili verbindet. Man kann das als Hinweis verstehen, worum es China eigentlich geht. Wer die Sicherheit dieser Verbindung garantieren kann, steht in Pekings Gunst. Und derzeit sind das die Kämpfer im Shan-Staat.

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