Europäische Union:EU soll Munition für Ukraine zentral organisieren

Lesezeit: 2 min

Die estnische Premierministerin Kaja Kallas am Donnerstag beim EU-Gipfel in Brüssel. (Foto: JOHN THYS/AFP)

Estland schlägt vor, dass die EU die Beschaffung von Munition für die Ukraine koordinieren soll - wie seinerzeit die von Covid-Impfstoffen. Trifft die Idee auf Zustimmung?

Von Hubert Wetzel, Brüssel

Die estnische Regierung will den Einkauf von Munition für die Ukraine künftig zentral von der Europäischen Union organisieren lassen. Einen entsprechenden Vorschlag unterbreitete Regierungschefin Kaja Kallas am Donnerstag ihren 26 Kolleginnen und Kollegen beim EU-Gipfeltreffen in Brüssel. Das Vorbild dabei sei der zentrale Einkauf von Covid-Impfstoff durch die EU-Kommission während der Pandemie, sagte Kallas am Freitag in einem Gespräch mit Journalisten. Die Reaktionen seien grundsätzlich positiv gewesen.

So wie damals die Pharmaindustrie solle Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen jetzt die europäische Rüstungsindustrie zusammenrufen und einen Weg finden, um die enorm hohen Mengen an Munition herzustellen, die die Ukraine benötige, sagte Kallas. Die Kommission könnte dann mit Geld, das die EU-Mitgliedsstaaten dafür bereitstellen, Munition kaufen und direkt an die Ukraine liefern. Das sei effizienter - und womöglich auch billiger - als das derzeitige Verfahren, bei dem verschiedene EU-Länder sich einzeln darum bemühen, Munition auf dem freien Markt einzukaufen, und diese dann an die Ukraine abgeben. Ob und in welchem Umfang ein EU-Land sich an so einem zentralen Einkauf beteiligen wolle, müssten die Hauptstädte dann selbst entscheiden.

"In Russland laufen die Munitionswerke im Drei-Schichten-Betrieb"

Hintergrund von Kallas' Vorschlag ist die Sorge, dass die Ukraine im Kampf gegen die russischen Invasoren militärisch in absehbarer Zeit nicht mehr wird mithalten können. "In Russland laufen die Munitionswerke im Drei-Schichten-Betrieb", sagte sie. Die russische Armee verschieße in der Ukraine bis zu 20 000 Artilleriegeschosse pro Tag. Das seien so viele wie in Europa in einem Monat hergestellt würden. Die ukrainische Armee könne nur 6000 bis 7000 Geschosse pro Tag abfeuern. Es sei daher dringend nötig, dass in Europa mehr Munition hergestellt würde.

Damit die europäische Rüstungsindustrie ihre Produktionsmengen deutlich erhöhe, sei es jedoch notwendig, den Unternehmen eine Abnahmegarantie für eine hohe Stückzahl von Geschossen zu geben, so Kallas. "Dafür hat die Europäische Union als wirtschaftliche Organisation, anders als das Militärbündnis Nato, die geeigneten Werkzeuge." Ein Produkt, bei dem sich ein zentraler Einkauf lohnen würde, sind laut Kallas Artilleriegranaten vom Standardkaliber 155 Millimeter. Diese Munition passt in fast alle Geschütze, die der Westen in den vergangenen Monaten an die Ukraine geliefert hat - von der deutschen Panzerhaubitze 2000 über die französischen Caesar- und schwedischen Archer-Geschütze bis zu amerikanischen Waffensystemen. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij habe bei seinem Treffen mit den Staats- und Regierungschefs der EU am Donnerstag in Brüssel eindringlich darum gebeten, diesen Munitionstyp zu liefern.

Newsletter abonnieren
:SZ am Sonntag-Newsletter

Unsere besten Texte der Woche in Ihrem Postfach: Lesen Sie den 'SZ am Sonntag'-Newsletter mit den SZ-Plus-Empfehlungen der Redaktion - überraschend, unterhaltsam, tiefgründig. Kostenlos anmelden.

In der EU stellt vor allem das deutsche Unternehmen Rheinmetall solche 155-Millimeter-Munition her. Das mag ein Grund sein, warum Bundeskanzler Olaf Scholz nach Angaben von Diplomaten zumindest nicht ablehnend auf Kallas' Vorschlag reagiert habe, den die estnische Regierungschefin vorher nicht mit den anderen Staats- und Regierungschefs abgestimmt hatte. Scholz habe kein Problem, bei einer EU-Ratssitzung Nein zu sagen, wenn ihm etwas nicht gefalle, sagen Beobachter in Brüssel. Das habe er am Donnerstag aber nicht getan. Auch Finnland und die anderen baltischen Staaten hätten Kallas' Vorstoß unterstütz.

Kallas sprach sich auch dafür aus, dass jene EU-Staaten, die über Kampfjets verfügten, diese an die Ukraine liefern. Auch um diese hatte Selenskij beim EU-Gipfel gebeten. "Ich habe keine Kampfjets, aber wenn ich welche hätte, würde ich sie hergeben", sagte die Estin. Kallas' Darstellung zufolge gab es bei dem Treffen mit Selenskij am Donnerstag seitens einiger EU-Regierungschefs bereits "konkrete Aussagen über konkrete Waffensysteme".

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMeinungEuropas Hilfe für die Ukraine
:Wahl der Worte, Wahl der Waffen

Selenskij, Macron und Scholz im Élysée- Palast: Warum sie nicht dasselbe meinen, wenn sie von einem möglichen Ausgang des Krieges sprechen.

Kommentar von Daniel Brössler

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: