Bevor Tsitsi Dangarembga bereit ist, Fragen zu beantworten, hat sie selbst eine. Was denn werden solle aus diesem Gespräch. Ein Porträt? Ein Interview? Die Antwort - ein Ausblick auf die nahende Wahl in ihrer Heimat Simbabwe - erwidert sie mit einem skeptischen Blick. Hm. Aber die Zitate könne sie schon noch einmal ansehen, bevor der Text veröffentlicht wird, oder? Es gebe da ja dieses neue Gesetz in Simbabwe. Da gehe sie lieber kein Risiko ein.
Das Gesetz, das Dangarembga meint, ist der sogenannte Patriotic Act. Das Parlament in der Hauptstadt Harare verabschiedete es im Juni, Präsident Emmerson Mnangagwa bestätigte es im Juli. Es droht jedem mit bis zu 20 Jahren Haft, der "die Souveränität und das nationale Interesse Simbabwes mutwillig beschädigt". Die Opposition sprach von einem schwarzen Tag für die Demokratie und vom Versuch der Regierungspartei Zanu-PF, Kritiker unmittelbar vor der Wahl am 23. August endgültig mundtot zu machen.
Auf die Teilnahme an einer Demo folgte ein Mammutprozess
Auch Dangarembga ist beunruhigt von diesem Gesetz, das gegen alles und jeden und natürlich auch gegen sie ausgelegt werden kann. Dabei ist sie gar nicht in Simbabwe und wird auch am Tag der Wahl nicht im Land sein. Dangarembga ist in Deutschland, wo ihr Mann herkommt, wo ihre Kinder studieren und wo sie aktuell dank eines Forschungsstipendiums der Uni Hamburg tun kann, was ihr in Simbabwe oft nicht möglich ist: arbeiten und davon leben. Das Treffen mit der SZ findet an einem heißen Sommertag in einem Hotel in Mannheim statt, wo Dangarembga zu einem Kulturfest eingeladen ist.
Die Schriftstellerin und Filmemacherin Tsitsi Dangarembga, 64, ist die bekannteste Künstlerin Simbabwes und eine der wichtigsten Stimmen Afrikas. Die BBC wählte ihren 1988 veröffentlichten Debütroman "Nervous Conditions" (deutsch "Aufbrechen") unter die 100 wichtigsten Bücher der Geschichte, neben Shakespeares "Hamlet" und Homers "Odyssee". 2021 erhielt sie den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und setzte sich in ihrer Dankesrede mit der Gewalt auseinander, die der Kolonialismus in ihre Heimat gebracht habe und die dort noch immer fortwirke, auch wenn der Staat längst nicht mehr Rhodesien (1965-1980) beziehungsweise als britische Kronkolonie Südrhodesien, sondern Simbabwe heißt.
Sie sei eine Künstlerin, sagt Dangarembga, keine politische Aktivistin. Doch in Simbabwe ist das nicht immer leicht zu trennen. 2020 erhob sie auf einer regierungskritischen Demonstration per Plakat die Forderungen "We want better" und "Reform our institutions". Es folgten eine Festnahme, eine Nacht im Gefängnis und ein grotesker Mammutprozess, der nach zwei Jahren mit einem Schuldspruch wegen "Anstachelung zur Gewalt" endete. Im Mai hob das Oberste Gericht Simbabwes das Urteil schließlich auf.
Von der Hoffnung nach dem Sturz Mugabes ist nichts mehr übrig
Dangarembga kann sich jetzt entscheiden, ob die Sorge über das Urteil oder die Erleichterung über dessen Aufhebung überwiegt. Sie tendiert Richtung Sorge, aber unter mildernden Umständen. "Simbabwe ist ein junges Land, erst 43 Jahre alt", sagt sie. "Wir sind noch nicht an dem Punkt, wo das Recht an mehr Orten verteidigt als gebrochen wird." Das gilt umso mehr, als die allermeisten Menschen in Simbabwe keine international bekannten Schriftstellerinnen sind, die 30 000 Dollar an Spenden für einen Prozess vor dem Obersten Gericht einsammeln können.
Als Robert Mugabe 2017 nach fast 40 Jahren an der Macht gestürzt wurde, keimte Hoffnung auf einen Neubeginn für Simbabwe. Sechs Jahre später ist davon nichts übrig. Die existenzielle Wirtschaftskrise, in der sich das Land seit Jahrzehnten befindet, geht einfach weiter. Fast die Hälfte der Bevölkerung lebt in extremer Armut. Wer Geld hat, kann es gar nicht so schnell ausgeben, wie es an Wert verliert. Wer die Chance hat, verlässt das Land, um als Ärztin in London oder als Uber-Fahrer in Kapstadt zu arbeiten.
Auch die Hoffnung auf eine politische Öffnung hat Mugabes Nachfolger Mnangagwa erstickt. Kritikern der Regierung droht Gefängnis oder Schlimmeres, Proteste werden behindert, NGOs eingeschüchtert, Journalisten drangsaliert. Die Wahlen am 23. August finden laut Amnesty International "im Kontext von fünf Jahren systematischer und brutaler Unterdrückung von Menschenrechten" statt. Ob es dem Land heute noch schlechter geht als unter Mugabe, ist ein beliebtes Diskussionsthema in Simbabwe.
"Heute weiß ich: So etwas wie den tiefsten Punkt gibt es nicht"
Dangarembga hält wenig von solchen Vergleichen. Nicht einzelne Personen bestimmten über die Politik in Simbabwe, sagt sie, nicht einmal solche wie Robert Mugabe. Aus ihrer Sicht ist es die Regierungspartei Zanu-PF, die die Richtung vorgibt. Und diese Richtung ist abwärts. Bis vor ein paar Jahren, sagt Dangarembga, habe sie immer wieder gedacht, dass es schlimmer als jetzt nicht mehr werden könne. Doch dann wurde es noch schlimmer. "Heute weiß ich: So etwas wie den tiefsten Punkt gibt es nicht."
Wenn sie wollte, könnte die Zanu-PF eine bessere Politik machen, glaubt Dangarembga. Doch sie wolle nicht. Weil eine gebildete, informierte und organisierte Gesellschaft, die ihre Regierung zur Rechenschaft zieht, nicht in ihrem Interesse sei. Weil die Reichtümer Simbabwes aus Sicht der Zanu-PF nur der Zanu-PF zustünden - schließlich war sie es, die das Land 1980 aus der Herrschaft der weißen Minderheit befreite. Und weil Gewalt und Unterdrückung für die Regierungspartei legitime Mittel seien, um ihre Ziele zu erreichen. "All das ist enttäuschend", sagt Dangarembga. "Aber angesichts der Geschichte ist es nicht überraschend."
Freie, gerechte Wahlen? Dangarembga hat erhebliche Zweifel
Der Staat, der heute Simbabwe heißt, wurde 1889 mit dem Segen der britischen Krone erfunden, um von Cecil Rhodes und seiner British South Africa Company erobert und ausgeplündert zu werden. Dangarembga betont das immer wieder: dass das Land als Privatbesitz einer Aktiengesellschaft mit Profitinteressen und ohne Rücksicht auf die Bevölkerung geschaffen wurde. Denn die Kultur von Gewalt, Unterdrückung und Ausbeutung, die die Briten damals begründeten, setze die Regierungspartei bis heute fort. "Simbabwe", sagt sie, "war nie als Land gedacht, wo es den Menschen gutgehen soll."
Der große Herausforderer des 80-jährigen Präsidenten bei der Wahl am Mittwoch ist Oppositionsführer Nelson Chamisa, 45 Jahre alt. 2018 verlor er knapp, sprach von Wahlfälschung und zog erfolglos vor Gericht. Auch dieses Mal gibt sich Chamisa siegessicher - vorausgesetzt, die Wahlen sind frei und gerecht. Daran hat aber nicht nur er, sondern auch Tsitsi Dangarembga erhebliche Zweifel. Nicht nur, weil die Opposition behindert und bedroht wird und eine faire Stimmenauszählung erneut fraglich ist. Sondern auch, weil jede erfolgreiche politische Mobilisierung Geld koste. Die Verarmung so vieler Menschen komme der Regierung in diesem Sinne entgegen.
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Dangarembga glaubt, dass die Tage der Zanu-PF endlich sind. "Es gibt eine neue Generation in Simbabwe", sagt sie. "Junge Leute, die studiert haben und keine Jobs finden. Die ums Überleben kämpfen. Die von der Regierung gejagt, geschlagen und eingesperrt werden so wie die jungen Leute in den 1970er-Jahren von der damaligen rhodesischen Regierung. Sie sind die Hoffnung." Nur: Ob sich diese Hoffnung am 23. August erfüllt oder doch erst irgendwann, das wisse sie nicht, sagt Dangarembga.