Russland:Rhönräder auf dem Roten Platz

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Einst als Demonstration sowjetischer Stärke gedacht: Athleten bei einer Sportlerparade zu Sowjetzeiten. (Foto: Rykoff Collection/Corbis via Getty Images)

Wie einst unter Stalin sollen nicht nur Soldaten und Panzer, sondern auch wieder Sportler durch Moskau paradieren.

Von Frank Nienhuysen

Es rollten nicht immer nur Panzer paradierend über Moskaus Roten Platz, früher rollten auch Rhönräder, in denen sieben Menschen steckten wie Speichen. Oder ein vier Meter hoher Fußball. Sportparaden zur Sowjetzeit: Über Lautsprecher wurden die Athleten aus Russland, der Ukraine, Moldawien oder "dem sonnigen Georgien" begrüßt. Ernst schauende Männer marschierten mit freiem Oberkörper im Gleichschritt, lächelnde Frauen in kurzen Hosen trugen Stalin-Porträts, und der Diktator schaute vergnügt von der Bühne herab, wie mehr als tausend Menschen sich zu einem großen Stern formierten und dabei gymnastische Übungen machten.

Die erste Sportlerparade auf Russlands wichtigstem Platz gab es 1919; vor allem in den Dreißigerjahren, als Stalin sich die Schau nicht entgehen ließ, wurde diese zur Demonstration sowjetischer Stärke politisiert. So war das damals, bis die Paraden erst vom Roten Platz und später ganz verschwanden. So ähnlich soll es bald wieder werden. Nach jahrzehntelanger Pause will Kremlchef Wladimir Putin wieder Sportlerparaden auf dem Roten Platz zelebrieren lassen. Bis zum März, wenn Putin sich als Präsident bestätigen lässt, soll die Regierung konkrete Vorschläge machen. Sie wird sehr darauf achten, dass es nicht mangeln wird an Pomp und Propaganda.

Die Sache angeregt hatte der russische Präsident des internationalen Boxverbandes IBA, er heißt Umar Kremljow. Er begründete sie damit, dass Russland 2024 unter anderem die "Spiele der Freundschaft" ausrichtet, und Putin antwortete: "Gute Idee." Putin lässt damit eine weitere sowjetische Tradition wiederbeleben. Mit der feierlich-patriotischen Sportparade versucht er, darüber hinwegzutäuschen, dass Russland im internationalen Sport weitgehend als Paria dasteht.

Bei Olympischen Spielen gibt es derzeit keine russischen Fahnen

Seitdem Russland die Ukraine angegriffen hat, ist das Land von vielen wichtigen Wettbewerben ausgeschlossen. Keine russische Fahne, keine Nationalhymne bei den Olympischen Spielen, bei denen wenige Sportlerinnen und Sportler und dann auch nur unter neutraler Flagge mitmachen dürfen. Putin hat deutlich gemacht, wie sehr ihn dieser Ausschluss trifft. Also sucht Russland alternative Schauplätze. Und wo ließe sich patriotischer Siegeswille besser inszenieren als direkt neben dem Kreml, dem Zentrum russischer Macht?

Sport, Politik und Militär verschwammen schon bei den frühen Paraden, und jetzt, mitten im Krieg gegen die Ukraine, scheint erneut eines ins andere zu greifen. Mit dem Bau neuer Trainingszentren will Moskau in Sport und Leistungsbereitschaft investieren. Sportartikel, die bisher vor allem aus dem Westen importiert wurden, sollen wegen der Sanktionen verstärkt im eigenen Land hergestellt werden. Ideologisch ummantelt wird das gesellschaftliche Leben ohnehin immer stärker, neben der Militärerziehung in der Schule nun auch der Sport. Die Zeitung Nowye Iswestija schrieb über die Wiedereinführung von Sportparaden vor wenigen Tagen spitz, diese hätten in Zeiten der "militärischen Spezialoperation" den sowjetischen Subtext: "Heute ein Körperkulturmensch - morgen ein Kämpfer." Im Netz würden bereits bittere Witze gemacht über die Ideologisierung des Sports: "Wir warten", habe ein Blogger geschrieben, "auf eine Kolonne von Gouverneuren in Shorts und T-Shirt."

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