Am Freitagnachmittag ist die gesamte Regierung der Republik Moldau zurückgetreten. Eigentlich, heißt es in moldauischen Medien, habe anfangs nur Premierministerin Natalia Gavrilița auf einer Pressekonferenz ihren Rücktritt verkünden wollen, doch dann habe sich offenbar das gesamte Kabinett angeschlossen. Und während die Nachrichtenagenturen noch schrieben, der Schritt komme völlig überraschend, hieß es aus dem Umfeld von Präsidentin Maia Sandu eilig, dies sei "nur ein Regierungswechsel", die Präsidentin werde schnell einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin finden. Der Schritt weise keineswegs auf grundsätzliche Änderungen in der Politik von Präsidentin und Regierung hin.
Schadensbegrenzung ist wichtig in Krisenzeiten wie diesen; nicht nur die Premierministerin, sondern auch Sandu selbst standen zuletzt unter massivem politischen Druck. Laut Meinungsumfragen hatte die proeuropäische Führung stark an Zustimmung verloren, während prorussische Kräfte und Parteien, finanziert unter anderem durch den Kreml, gegen Präsidentin und Premierministerin mobilgemacht hatten. Die EU hat der Republik Moldau im vergangenen Jahr den Status als Beitrittskandidatin verliehen.
Noch ist unklar, was Gavrilița konkret zu ihrem Schritt bewog. Sie selbst sagte in der Hauptstadt Chişinău, niemand hätte vermutet, dass ihre Regierung, die im Sommer 2021 ins Amt kam, überhaupt so lange durchhalten würde. Moldau sei mit multiplen Krisen konfrontiert, die durch den russischen Krieg gegen die Ukraine noch einmal drastisch verschärft worden seien.
Die Ziele waren eigentlich: Korruptionsbekämpfung und Annäherung an die EU
Die rasant gestiegene Inflation, die bei mehr als 40 Prozent liegt, hatte dem bitterarmen Land ebenso zugesetzt wie die Tatsache, dass Moskau dem von russischer Energie abhängigen Land die Gaslieferungen kappte. Zehntausende ukrainische Flüchtlinge waren zudem aus dem Nachbarland nach Moldau geströmt. Die Regierung versucht seit Kriegsbeginn mit Hilfe von Geld aus der EU, die notleidende Bevölkerung zu unterstützen und den Staatsbankrott zu verhindern.
In ihrer Rücktrittserklärung sagte Gavrilița, eine in den USA ausgebildete Ökonomin, sie habe eine Regierung übernommen, die mit dem Mandat zur Korruptionsbekämpfung und zur Annäherung an die EU ins Amt gewählt worden sei. Dies sei zu einer Zeit gewesen, in der Korruption alle Sphären von Gesellschaft und Wirtschaft durchdrungen habe, und in der sich die Oligarchen des Landes unantastbar gefühlt hätten. Von Beginn an sei ihre Regierung Erpressungs- und Destabilisierungsversuchen ausgesetzt gewesen. Antieuropäische Kräfte hätten darauf gesetzt, dass sie selbst, wie auch Präsidentin Sandu, ihr Land um des kurzfristigen Erfolgs willen verrieten.
Damit bezieht sich die zurückgetretene Premierministerin auf den massiven Druck jener prorussischen Kräfte, die - wie der in Israel lebende Oligarch Ilan Shor und der in die Türkei geflüchtete Vladimir Plahotniuk -, als Drahtzieher hinter Demonstrationen gegen die Regierung gelten und die von den USA mit Sanktionen belegt sind.
Präsidentin Maia Sandu dankte Gavrilița am Freitag für die Opfer, die sie gebracht habe. Auf einer Krisensitzung im Präsidialamt, der eine Pressekonferenz von Sandu folgen sollte, wurde derweil nach einem Nachfolger für die Premierministerin gesucht. Als Favorit gilt der Berater Sandus in Sicherheitsfragen, Dorin Recean.
Parallel zum Rücktritt der Regierung des 2,5-Millionen-Einwohner-Landes musste sich die moldauische Führung erneut mit russischen Raketen auseinandersetzen, die mutmaßlich von Kriegsschiffen im Schwarzen Meer abgeschossen worden waren und den moldauischen Luftraum verletzten, bevor sie in der Ukraine einschlugen. Diese flogen auch am rumänischen Luftraum nur knapp vorbei. Chişinău bestellte am Morgen den russischen Botschafter ein.
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij bezeichnete die Angriffe als Herausforderung für die kollektive Sicherheit der Nato. Moldaus prorussische Separatistenregion Transnistrien gilt ebenfalls als permanentes Risiko für die Region. Erst am Donnerstag hatte der moldauische Geheimdienst gewarnt, dass Moskau seine Versuche zur Destabilisierung Transnistriens und der Region intensiviere.