Missbrauch in der katholischen Kirche:Eine gesteigerte Anerkennung für die Opfer

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"Entschädigung" darf die finanzielle Leistung nicht heißen. Man wolle den Opfern keine Beweispflicht zumuten, so Bischof Georg Bätzing (Mitte). (Foto: Arne Dedert/dpa)

Bis zu 50 000 Euro sollen Opfer sexualisierter Gewalt durch Priester und Ordensleute erhalten. Das hat die Herbstvollversammlung der Bischöfe beschlossen. Betroffenen ist das viel zu wenig.

Von Annette Zoch, Fulda

Opfer sexueller Übergriffe durch Priester und Ordensleute können künftig bis zu 50 000 Euro als Anerkennungsleistung von der katholischen Kirche erwarten. Die katholischen Bischöfe haben sich am Donnerstag auf ein bundesweit einheitliches Verfahren zur Kompensation erlittenen Leids geeinigt. Das hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, zum Abschluss der Herbstvollversammlung in Fulda mitgeteilt. Bislang erhielten Missbrauchsopfer im Schnitt 5000 Euro.

Die neue Verfahrensordnung soll vom 1. Januar 2021 an in allen 27 Diözesen gleichermaßen gelten - von da an können Opfer entsprechende Anträge stellen, auch diejenigen, die bereits Anerkennungsleistungen erhalten haben, sagte Bätzing. Mit den 50 000 Euro orientiere man sich an Urteilen staatlicher Gerichte zu Schmerzensgeldern. Da die Urteile aber stark divergierten, "haben wir uns bewusst dazu entschieden, als Referenzpunkt den oberen Bereich von Leistungen in vergleichbaren Fällen anzusetzen", so Bätzing. Entscheiden werde über die Anträge ein zentrales und unabhängig besetztes Gremium aus sieben Fachleuten aus Medizin, Recht, Psychologie und Pädagogik. Diese dürften in keinem Anstellungsverhältnis zur Kirche stehen und sollten weisungsfrei arbeiten. Auch die Orden, in deren Schulen und Heimen es ebenfalls zu vielen Missbrauchsfällen gekommen ist, sollen einbezogen werden. Da viele Orden auf ihre geringen Mittel verweisen, wollen sich die Bischöfe finanziell beteiligen.

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Die Ordensoberen ließen mitteilen, sie prüften den Beschluss. Entschädigung darf die freiwillig gezahlte Leistung aber bewusst nicht heißen - denn dies würde juristisch Schadenersatz bedeuten, so Bätzing: "Die Standards hierfür sind hoch, es braucht dann im gerichtlichen Verfahren eine Beweispflicht - das wollen wir den Betroffenen nicht zumuten, zumal sich der Beweis bei lange zurückliegenden Taten oft nicht mehr führen lässt." Woher das Geld kommen soll - aus Kirchensteuern oder dem Vermögen der Bistümer - müsse jedes für sich entscheiden. Mit Summen von 50 000 Euro bleiben die Bischöfe deutlich hinter dem zurück, was Betroffene selbst gefordert hatten. Bei der Vollversammlung im Herbst 2019 hatte eine von der Bischofskonferenz beauftragte Arbeitsgruppe aus Betroffenen und unabhängigen Experten Vorschläge vorgelegt. Sie hatten dabei im Blick, was die Taten für den ganzen weiteren Verlauf des Lebens bedeuten können, und mit monatlichen Opferrenten kalkuliert - und waren so auf Summen von bis zu 400 000 Euro gekommen. Viele Bischöfe hatten daran scharfe Kritik geübt - und der Vorschlag verschwand wieder in der Schublade. Immer noch offen ist die Frage, wie mit Verantwortlichen in der Leitung umzugehen ist, die Täter nur versetzt haben, statt einzugreifen. "Die Schuldigen sitzen nach wie vor auf ihren Bischofsstühlen", sagt Betroffenenvertreter Matthias Katsch.

"Niemand hat hier seine Schuld bekannt." Schwere Vorwürfe gibt es jetzt erstmals namentlich gegen Stefan Heße, heute Erzbischof von Hamburg und einst Personalchef und Generalvikar unter dem verstorbenen Kardinal Joachim Meisner im Erzbistum Köln. Dessen Nachfolger, Kardinal Rainer Maria Woelki, wollte im März Verantwortliche benennen, die Pressekonferenz wurde jedoch kurzfristig abgesagt. Heßes Justiziar hatte zuvor Persönlichkeitsschutzrechte geltend gemacht. Die Zeit-Beilage Christ und Welt zitierte nun - indirekt aus einer Erwiderung von Heßes Justiziar auf das noch unveröffentlichte Gutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl - aus eben diesem Gutachten: "Dieser Befund gestattet die Schlussfolgerung, dass es sich bei den Unzulänglichkeiten, einschließlich fehlender Opferfürsorge, nicht um Einzelfälle handelt, sondern um regelmäßig wiederkehrende, durchgängig festzustellende Mängel in der Sachbehandlung von Missbrauchsfällen basierend auf einer indifferenten, von fehlendem Problembewusstsein geprägten Haltung des Dr. Heße gegenüber Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Kleriker." Heße bestreitet die Vorwürfe.

Der Trierer Bischof und Missbrauchsbeauftragte Stephan Ackermann sagte katholisch.de, Rücktritte seien bei den Beratungen der Bischöfe kein Thema gewesen. "Wir haben in der Kirche eine andere Kultur als in der Politik. Wer zurücktritt, vollzieht zwar ein großes Symbol und macht den Weg frei für einen Nachfolger, aber gleichzeitig ist er dann auch aus der Verantwortung heraus", sagte er. Auf die Frage, ob es Rücktritte geben müsse, sagte Georg Bätzing: "Das muss jeder einzelne Bischof für sich einschätzen."

© SZ vom 25.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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