Migration:Weg mit "Dublin"

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Flüchtlinge im norditalienischen Como: Italien fühlt sich mit der Last der Migration alleingelassen. (Foto: dpa)
  • In der komplizierten Frage zu Asyl und Migration könnten Italien, Frankreich und Deutschland womöglich doch eine gemeinsame Haltung finden.
  • Italiens Ministerpräsident Conte und Frankreichs Präsident Macron treffen sich diese Woche mit Kanzlerin Merkel.
  • Vor allem Italien ist daran gelegen, das "Dublin"-Regelwerk zu reformieren. Das Land fühlt sich mit den Problemen alleingelassen.

Von Oliver Meiler, Rom, und Nadia Pantel, Paris

Schraubt man die Dezibel des Gebrülls etwas herunter und gleicht die politischen Agenden miteinander ab, bleibt in der komplizierten Frage zu Asyl und Migration vielleicht doch eine Interessenebene. Wenigstens zwischen den Regierungen in Berlin, Paris und Rom, dem alten Kern Europas. An diesem Montag empfängt Angela Merkel in Berlin den neuen italienischen Premier Giuseppe Conte, danach kommt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vorbei. Conte und Macron haben sich schon vergangene Woche getroffen, nachdem sich ihre beiden Länder mal wieder gestritten hatten - in ebendieser Frage.

Wie man es auch dreht und wendet: Italien hat mit der Schließung seiner Häfen für das Rettungsschiff Aquarius die Debatte über Europas Umgang mit den Migranten befeuert. Eigentlich war es ein Mann allein, Matteo Salvini, Italiens neuer Innenminister von der rechtsextremen Lega. Salvini forcierte das Thema, obschon 2017 viel weniger Migranten in Italien angekommen sind als in den Jahren davor. Er poltert auf seine schwer erträgliche Art, nennt Hilfsorganisationen "Vizeschlepper", sagt, die Bootsflüchtlinge befänden sich auf "Kreuzfahrt", und wenn sie in hohe Wellen gerieten, sei das halt "ihr Problem".

Mit der Aquarius, die am Sonntag in Valencia einlief, sollte ein Exempel statuiert werden. Die Botschaft lautet: Italien mag nicht mehr alleingelassen werden mit aller Last der Migration. Die Frage ist nun, was die Italiener tatsächlich wollen. Will Conte dasselbe wie Salvini? Bisher ist die Koalition der Populisten ziemlich kompakt. Der linke Flügel der Fünf Sterne ist etwas verstört darüber, dass Salvini auch ihrer Partei den Kurs diktiert. Doch wirklich laut ist der Unmut bisher nicht. Conte beteuert, zwischen ihm und Salvini herrsche "totale Einigkeit". Es ist deshalb gut möglich, dass Rom sich mit dem lauten Getöse nur endlich Gehör verschaffen wollte und nun mit neuem Selbstbewusstsein über Reformen verhandelt. Mit Deutschland, mit Frankreich. Nicht gegen sie.

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Zuvorderst steht die Forderung nach einer Überholung von "Dublin", dem Regelwerk also, das vorsieht, dass ein Asylverfahren immer in jenem Land stattfinden muss, in dem der Flüchtling als Erstes europäischen Boden betreten hat. In jüngerer Vergangenheit waren das meist Griechenland und Italien. Rom ist dieser Regel überdrüssig, umso mehr, als viele Länder nicht bereit sind, ihren Teil der Last zu übernehmen. Salvini ist zwar ein politischer Freund von Viktor Orbán, dem ungarischen Premier. Doch die Weigerung Ungarns und anderer Staaten im Osten, am Umsiedlungsprogramm teilzunehmen, kann den Italienern ja nicht gefallen. Rom wird jetzt auf mehr Solidarität pochen. Es gibt erneut Überlegungen, renitente Staaten zu bestrafen, wenn sie nicht mitmachen, etwa mit weniger Geld aus dem Strukturfonds der EU.

Wichtig ist den Italienern auch, dass weniger Menschen aus Afrika die Reise durch die Wüste nach Libyen und weiter nach Italien antreten. Verhandelt wird die Idee, in Herkunftsländern und Transitstaaten Asylzentren einzurichten, eigentliche "Hotspots". Das Modell dafür ist die Türkei. Die Flüchtlinge sollen in diesen Einrichtungen erfahren, ob sie Aussicht haben, in Europa bleiben zu dürfen. Wer sich qualifiziert, soll auf sicherem Weg reisen können. So ließen sich die Gefahren mindern. Natürlich geht es aber vor allem darum, die Zahlen der Überfahrten weiter zu mindern.

Auch Frankreichs Präsident Macron will in Libyen ansetzen, um die Migration zu steuern. Er setzt sich auch deshalb für den Friedensprozess in dem Küstenstaat ein, weil das aktuelle Chaos es unmöglich macht, die libysche Küste zu kontrollieren.

Frankreich verfolgt genau die Asylpolitik, die Horst Seehofer fordert

Paris und Berlin haben in den vergangenen Wochen immer wieder betont, dass sie sich in asylpolitischen Fragen weitestgehend einig sind. So wollen beide Länder einen Ausbau der Grenzschutzagentur Frontex, um möglichst viele Migranten schon im ersten Schritt davon abzuhalten, sich auf den Weg nach Europa zu machen. Die Verschärfung des französischen Asylgesetzes, die Macron durchgesetzt hat, orientiert sich an Deutschland. Bislang werden Flüchtlinge, deren Asylantrag abgelehnt wurde, von Frankreich so gut wie nie abgeschoben. Die deutsche Abschiebepraxis gilt der aktuellen französischen Regierung als Vorbild. 2017 wurden in Deutschland 23 966 Personen abgeschoben, in Frankreich wurden im selben Zeitraum 6 596 Nicht-EU-Ausländer abgeschoben. Die Einigkeit in der Asylpolitik wird von Berlin und Paris auch deshalb gerne betont, weil genau diese Einigkeit in finanzpolitischen Fragen bislang fehlte.

In der Praxis verfolgt Frankreich allerdings genau die Asylpolitik, die der deutsche Innenminister Horst Seehofer fordert und die Kanzlerin ablehnt. An der französisch-italienischen Grenze werden Flüchtlinge an der Einreise gehindert, die bereits in Italien Asyl beantragt haben. Französische und italienische Flüchtlingshilfeorganisationen prangern an, dass die Ausweisung häufig geschieht, ohne die Unterlagen zu prüfen. So würden gerade minderjährige Flüchtlinge am südfranzösischen Grenzbahnhof Menton direkt in Züge gesetzt, die zurück nach Italien fahren. Dieses Vorgehen hat dazu geführt, dass Flüchtlinge nicht mehr an dem offiziellen, kontrollierten Grenzübergang versuchen, nach Frankreich zu gelangen, sondern zur grünen Grenze weiter im Norden fahren.

So wie die italienische Regierung stellt auch Macron fest, dass das Dublin-System nicht funktioniere. Auf Twitter schrieb der Präsident: "Eine gute Reaktion auf Einwanderung ist europäisch. Aber die aktuelle europäische Reaktion ist nicht gut." Es müsse nach effizienteren Lösungen gesucht werden.

© SZ vom 18.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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