Migrationsdebatte:Ampelparteien und Zahnärzte kritisieren Merz' Aussagen zu Asylbewerbern

Lesezeit: 3 min

Oppositionsführer Friedrich Merz am Donnerstag im Bundestag. (Foto: LIESA JOHANNSSEN/REUTERS)

"Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine", sagt der CDU-Chef in einer Talkshow. Zustimmung kommt aus der Union.

Erneut gibt es Ärger um eine Äußerung von Friedrich Merz. Der CDU-Chef hat sich in einer Talksendung des TV-Senders Welt zur Migrationspolitik geäußert. Er warf der Ampelregierung Untätigkeit vor, es fielen Sätze wie "Was Sie hier machen, ist eine Katastrophe für dieses Land." Merz sprach auch darüber, dass zu wenig getan werde, um Anreize für Asylsuchende zurückzufahren, die nach Deutschland kommen. Der CDU-Mann sprach von sogenannten "Pull-Faktoren". Er führte weiterhin aus, dass 30 Prozent der Asylsuchenden in der EU nach Deutschland kämen. Alles mit dem Ziel, die Regierung so darzustellen, als sei sie nicht Herr der Lage. So weit, so üblich für einen Oppositionsführer.

Dann sagte der CDU-Chef Sätze, deretwegen er nun heftig kritisiert wird: "Die werden doch wahnsinnig, die Leute, wenn die sehen, dass 300 000 Asylbewerber abgelehnt sind, nicht ausreisen, die vollen Leistungen bekommen, die volle Heilfürsorge bekommen. Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine."

Plattform X

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Merz' Aussagen waren nicht nur in der Welt-Talksendung zu hören, die Unionsfraktion verbreitete das Statement ihres Chefs auch selbst und stellte einen Ausschnitt auf die Plattform X, vormals Twitter - allerdings fehlt dabei der Satz mit den Zähnen.

Kritik an Merz' Aussagen

Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Bundesinnenministerin Nancy Faeser, SPD-Spitzenkandidatin für die Hessen-Wahl in eineinhalb Wochen, widersprach umgehend. "Das ist erbärmlicher Populismus auf dem Rücken der Schwächsten. Wer so spricht, spielt Menschen gegeneinander aus und stärkt nur die AfD", schrieb sie auf X. "Und es ist falsch: Denn Asylsuchende werden nur behandelt, wenn sie akut erkrankt sind oder unter Schmerzen leiden."

Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang äußerte sich ähnlich wie Faeser. "Friedrich Merz spielt ganz bewusst Gruppen gegeneinander aus, verbreitet dabei Falschinformationen. So wird kein einziges Problem gelöst, aber Hass geschürt", schrieb sie auf X. Das sei eines "Vorsitzenden einer Volkspartei unwürdig". Merz bewege sich mit seinen Äußerungen "auf dem Niveau eines russischen Troll-Accounts", sagte Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz im Bundestag.

Auch die Bundeszahnärztekammer geht auf Distanz. "Ich kann die Aussagen von Friedrich Merz ehrlich gesagt nicht nachvollziehen", sagte der Präsident der Bundeszahnärztekammer, Christoph Benz, der Wirtschaftswoche. "Dass sich Geflüchtete massenhaft in Deutschland die Zähne machen lassen, wie Friedrich Merz gesagt hat, das geht im Regelfall nicht."

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Der CDU-Chef klingt mit seinem Satz über Asylbewerber und deren Zahnarztbesuche wie einer von der AfD. Nur ein Ausrutscher oder mit System? Egal, so einer taugt nicht als Kanzlerkandidat.

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Reaktionen aus der Union

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt verteidigt Merz hingegen. Dieser habe lediglich auf eine "Stimmung in der Bevölkerung" hingewiesen. Belastungsgrenzen gebe es nicht nur in den Kommunen, sondern auch in Sozialsystemen. "Deshalb ist Ordnung und Humanität und Begrenzung von Migration gleichermaßen notwendig", betonte Dobrindt.

Auch Manfred Weber, CSU-Vize und Chef der christdemokratischen europäischen Parteienfamilie EVP, springt seinem Kollegen bei. "Friedrich Merz spricht das an, was die Menschen auf der Straße sprechen", sagte Weber im Deutschlandfunk. "Wenn ich im Wahlkampf in Bayern unterwegs bin, sind das die Themen, die die Leute interessiert und bewegt."

Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Tino Sorge, sagte der Rheinischen Post: "Friedrich Merz hat recht. Die scheinheilige Empörung aus Reihen der Ampel sagt viel darüber aus, wie mit kritischen Meinungen umgegangen wird." Hunderttausende abgelehnte Asylbewerber seien zum Teil seit Jahren ausreisepflichtig. Dennoch könnten sie zum Nulltarif das deutsche Gesundheitssystem nutzen. Darüber müsse man diskutieren.

Als der Bundestag am Donnerstagnachmittag über die Migrationspolitik sprach, verfolgte Merz die Debatte zwar zu großen Teilen, meldete sich selbst aber nicht zu Wort.

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Von Rainer Stadler

Fakten zum Asylbewerberleistungsgesetz

Im Asylbewerberleistungsgesetz heißt es in Paragraf 4 zu Leistungen bei Krankheit: "Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen zu gewähren." Eingeschränkt wird: "Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist."

Anders sieht es jedoch nach den ersten 18 Monaten des Aufenthalts aus: Ab dann werden Asylsuchende von den gesetzlichen Krankenkassen betreut. "Sie erhalten eine elektronische Gesundheitskarte, mit der Sie nahezu dieselben Leistungen erhalten wie gesetzlich Krankenversicherte", heißt es dazu auf der Homepage des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

Fakten zur Zahl der ausreisepflichtigen Asylbewerber

Laut Ausländerzentralregister waren Ende 2022 etwa 304 000 Menschen ausreisepflichtig, davon etwa 248 000 mit einer Duldung. Geduldete sind Menschen, die zwar ausreisepflichtig sind, aber aus bestimmten Gründen nicht abgeschoben werden können. Das kann etwa daran liegen, dass sie keine Ausweisdokumente haben, krank sind oder ein minderjähriges Kind haben, das eine Aufenthaltserlaubnis besitzt.

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