Merkel und Seehofer:Der Graben lässt sich nicht mehr überbrücken

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Von guten Vorsätzen ist nicht viel geblieben: Die Führer der Union Angela Merkel und Horst Seehofer (Foto: AP)

Die Kanzlerin und der Bundesinnenminister sollten darauf verzichten, ihren Streit zu kaschieren und beste Zusammenarbeit vorzugaukeln. Das funktioniert nicht mehr. Und wird ihnen auch nicht mehr abgenommen.

Kommentar von Stefan Braun, Berlin

Nach der Schlacht gelobten Angela Merkel und Horst Seehofer Besserung. Kaum war die AfD im September 2017 in den Bundestag gewählt, da betonten die Vorsitzenden von CDU und CSU, dass sie das Ergebnis ernst nehmen würden. Sie sprachen von einem gespaltenen Land und sagten zu, die Menschen wieder zusammenzuführen. Sie redeten über ihre Konflikte und versprachen, sie zu beenden. Die Führung des bürgerlichen Lagers legte das Gelübde ab, von nun an verantwortungsvoller zu handeln und aufzutreten.

Ein knappes Jahr später ist davon nicht viel übrig geblieben. Statt sich der gravierenden Probleme anzunehmen, streiten die beiden bis heute um die Deutungshoheit in der Flüchtlingspolitik. Dieser Konflikt hat die Koalitionsgespräche zutiefst belastet und im Juni nicht nur die Regierung, sondern auch das Fraktionsbündnis der Union in eine beispiellose Existenzkrise geführt. Die Antipathie zwischen Seehofer und Merkel mag vor mehr als einem Jahrzehnt begonnen haben. Heute bestimmt sie maßgeblich die Handlungs(un)fähigkeit der Regierung und das politische Klima im Land.

Der Graben zwischen der Kanzlerin und dem Bundesinnenminister - er lässt sich nicht mehr überbrücken. Der letzte Akt des Zerwürfnisses begann in jener Nacht vom 4. auf den 5. September 2015, in der Seehofer nicht zu erreichen war, als Merkel dem um Hilfe bittenden österreichischen Kanzler Werner Faymann versprach, bei der Aufnahme von Hunderten Flüchtlingen aus Ungarn zu helfen. Seehofer soll damals seine Sicherheitsbeamten ignoriert haben, die an die Rollläden seines Wochenendhauses klopften. In den nächsten Tagen beschwerte er sich gleichwohl über Merkels Alleingang und erklärte, die Entscheidung sei ein schwerer Fehler gewesen. Die Wucht des Konflikts entwickelte sich aus dieser Nacht.

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Wer geglaubt hat, da sei noch was zu kitten, dem wird durch die Affäre um Hans-Georg Maaßen die letzte Hoffnung genommen. Es ist problematisch genug, wenn der oberste Verfassungsschützer plötzlich nicht mehr faktenbasierte Einschätzungen liefert, sondern in die Kaste der Verschwörungstheoretiker wechselt. Es ist aber noch etwas ganz anderes, wenn der zuständige Dienstherr und Innenminister dieses Verhalten gutheißt.

Die Antwort des bürgerlichen Lagers auf die AfD heißt Streit

Horst Seehofer lässt es zu, dass der Chef des Verfassungsschutzes ohne Belege die Kanzlerin bloßstellt. Auf diese Weise trägt Seehofer einen politischen Angriff auf die Integrität der Regierungschefin mit. Wie soll ein Minister im Kabinett einer Kanzlerin bleiben, deren Verhalten er so grundsätzlich anzweifelt?

Noch gravierender aber ist die Erkenntnis, die sich aus dem unlösbaren Konflikt ableitet: Die Vorsitzenden von CDU und CSU sind an dem Versuch gescheitert, mit einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik auch das Land zu einen. Die Krise hat nicht nur die AfD hervorgebracht und die Polarisierung gefördert; sie hat offengelegt, dass sich CDU und CSU nicht mehr auf eine vernünftige Linie einigen können. Die Antwort des bürgerlichen Lagers auf die AfD heißt Streit. Die Union erledigt so die Arbeit ihrer schärfsten Konkurrenz. Seehofers Reaktion auf die Ereignisse von Chemnitz reiht sich da ein. Er streitet lieber über die Auslegung des Wortes "Hetzjagd", als über eigene Versäumnisse nachzudenken. Wenn das alles ist als Antwort auf die AfD, dann steht es schlecht im Kampf gegen den Rechtspopulismus.

Das Tötungsdelikt von Chemnitz (wie auch der am Sonntag bekannt gewordene Todesfall im sachsen-anhaltinischen Köthen) schreit nach einer Stärkung der Polizei und einem härteren Umgang mit gewaltbereiten Asylbewerbern. Und die Angriffe gegen Ausländer, Juden und SPD-Politiker, die auf die Chemnitzer Gewalttat folgten, verlangen ebenfalls nach einer harten Reaktion des Rechtsstaates. Der Rechtsextremismus ist eine echte Gefahr, in Chemnitz haben sich rechtsnationale Bewegungen und gewaltbereite Extremisten ungeniert verschränkt. Es gibt also beileibe genügend zu tun. Seehofer aber streitet lieber. Und Merkel will oder kann ihn nicht mehr zur Räson rufen.

Wer in diesen Wochen hineinhört in das, was man gemeinhin bürgerliches Milieu nennt, der kann eindrucksvoll erleben, wie sehr sich die Menschen von dieser Art Politik abwenden. Wie sehr sie das Verständnis dafür verloren haben, dass die Kanzlerin kaum Empathie zeigt für die Sorgen der Menschen und ihre Entscheidungen nicht leidenschaftlich begründet. Und der kann erleben, wie sehr viele bürgerliche Wähler den Kopf schütteln über eine Seehofer-CSU, die es fertiggebracht hat, mit der Kanzlerin über den 63. Punkt des eigenen "Masterplans" zu streiten, statt die 62 anderen Punkte so schnell wie möglich umzusetzen. Die Union ist drauf und dran, im bürgerlichen Milieu ihren letzten Kredit zu verspielen.

Merkel und Seehofer sollten darauf verzichten, ihren Streit zu kaschieren und beste Zusammenarbeit vorzugaukeln. Das funktioniert nicht mehr. Und wird ihnen auch nicht mehr abgenommen.

© SZ vom 10.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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