Merkel in Kopenhagen:Eine Frau geht ihren Weg

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Angela Merkel als Retterin, Krisenmanagerin, Klimakanzlerin: Beharrlich kämpfte die deutsche Kanzlerin für ein Gelingen der Konferenz - und ist am Ende doch gescheitert.

Cerstin Gammelin, Kopenhagen

Lächeln, Händeschütteln und erschöpfte, aber glückliche Gesichter auf dem Familienfoto zum Weltklimagipfel: auf diesen Abschluss der Kopenhagener Verhandlungen hat Angela Merkel lange hingearbeitet.

Sie gilt als unumstrittene Verhandlungsführerin - trotzdem ist Kanzlerin Angela Merkel in Kopenhagen gescheitert. (Foto: Foto: dpa)

Die deutsche Regierungschefin als Retterin, als Krisenmanagerin, als Klimakanzlerin, die der Menschheit zeigt, wie sie verheerende Dürren, Flutwellen, Stürme verhindern kann. Schöne Bilder sollte es geben bei dem Thema, das die Kanzlerin so engagiert wie kaum ein anderes verfolgt.

Als Angela Merkel in Kopenhagen ankommt, liegt eine Schneedecke auf der Stadt. Es ist stürmisch, nasskalte Flocken klatschen gegen die Autoscheibe. Draußen, auf der Straße, ist der Schneematsch hart gefroren. Und drinnen, in der trist-grauen, aber ökologisch korrekt gebauten und belüfteten Kongresshalle kämpft die Welt gegen die Erderwärmung.

Merkel betritt die in einen Hochsicherheitstrakt umgebaute Halle mit einem einzigen Ziel: Sie will entscheidenden Schwung in die klammen Verhandlungsrunden bringen und dafür sorgen, dass sich die Staaten der Welt "auf das Zwei-Grad-Ziel" verpflichten. Das heißt, künftig so wenig Klimagas in die Atmosphäre zu blasen, dass sich diese um weniger als zwei Grad erwärmt. "Minimalziel" nennt die Physikerin das. "Alles andere bedeutet Scheitern."

Dunkle Wolken über dem Jahrhundertgipfel

Obwohl Deutschlands Anteil an der Erderwärmung global betrachtet verschwindend gering ist, wird Merkel in Kopenhagen dringend erwartet. Vertraute sagen, Deutschlands Einfluss auf die Verhandlungen sei "umgekehrt proportional" zum Klimagasausstoß.

In Kopenhagen hat Merkel nicht viel Zeit, sich darüber zu freuen. Ihre Termine sind eng. Als sie ankommt, wartet bereits die europäische Kerngruppe auf sie: Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, der britische Premier Gordon Brown, Polens Regierungschef Donald Tusk, EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und der dänische Premier und Gastgeber Lars Løkke Rasmussen. Die Uhr zeigt 14.50 Uhr am Donnerstagnachmittag, und über dem Jahrhundertgipfel hängen dunkle Wolken. Es liegt kein gemeinsamer Text vor, scheinbar unversöhnlich prallen die Interessen der armen und der reichen Länder aufeinander.

Angela Merkel spricht mit den Kollegen, man vereinbart ein weiteres Treffen, denn zunächst muss Merkel eine Rede halten. Sie fasst sich kurz, ist aber ungewohnt pathetisch. Sie redet von den "vielen jungen Menschen, die mit uns fiebern", sie gestikuliert, breitet die Arme aus, als würde sie die Welt umarmen wollen, und appelliert an die Welt, zusammenzuarbeiten. Dazwischen fordert sie Zusagen und Kompromisse.

Der europäische Joker

Die Klimakanzlerin kommt langsam auf Touren. Es ist 15.15 Uhr. Anschließend reden die Europäer wieder miteinander. Sie diskutieren ihre Strategie. Und versuchen, den Bremser in den eigenen Reihen zu überzeugen. Der polnische Regierungschef lehnt es ab, den europäischen Joker zu ziehen. Das ist das Versprechen, die Emissionen statt um 20 doch um 30 Prozent zu reduzieren. Merkel will das seit langem, auch Brown und Sarkozy drängen. Noch Donald Tusk ist nicht zu überzeugen.

Angela Merkel genießt international den Ruf, eine brillante Verhandlerin zu sein. Weil sie, wie viele Politiker sagen, gerade beim Kampf gegen Klimawandel ihre intellektuelle Fähigkeit zur wissenschaftlichen Analyse und ihren politischen Instinkt in erfolgreiche Politik umzusetzen weiß. Die Physikerin wisse um die Gesetze der Natur, sie verstehe die Forschungsberichte der Wissenschaftler. Die Kanzlerin verstehe es, diese Kenntnisse zu nutzen.

Merkel als unumstrittene Verhandlungsführerin

Als Merkel noch Umweltministerin war, lächelte der eine oder andere gerne über ihren Einsatz, etwa bei den UN-Klimaverhandlungen von Kyoto. Inzwischen gilt sie innerhalb der Europäischen Union als stille, aber unumstrittene Verhandlungsführerin. Dass sich die 27 Mitgliedsstaaten auf eine gemeinsame Klimapolitik verständigt haben, ist vor allem Merkel zu verdanken. Im Frühjahr 2007, während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, überzeugte sie vor allem die zögerlichen neuen Mitgliedsstaaten, sich zu verpflichten, die Klimagasemissionen zu reduzieren. Die EU beschloss unter ihrer Regentschaft ihr erstes Klimagesetz.

Mit dem bekennenden Klima-Skeptiker, dem italienischen Premier Silvio Berlusconi, verbindet Merkel inzwischen eine besondere Freundschaft. Diplomaten erzählen gern von einem kleinen Disput zwischen den beiden, der sich auf dem europäischen Gipfel im Dezember 2008 zutrug. Das zweite Klimagesetz stand auf der Kippe, denn die neuen Mitgliedsländer wollten wieder nicht zustimmen. Dann meldete sich unerwartet auch Berlusconi. Sein Land habe kein Geld für Klimaschutz. Merkel habe ihn angeschaut und gefragt: Silvio, bist du dafür, das Klima zu schützen? Ja, natürlich, habe der Italiener geantwortet. Dann musst du hier auch zustimmen. Berlusconi darauf: okay.

Jetzt, ein knappes Jahr später, erreicht Merkel am Donnerstagvormittag ein Anruf aus Italien. Berlusconi ist am Apparat. Die Europäer hätten ja verabredet, in Kopenhagen gemeinsam aufzutreten, sagt er. Doch er könne leider nicht anreisen, liege noch in der Klinik: Angela, ich übertrage dir mein Verhandlungsmandat, sagte er. Merkel lächelt darüber. Sie freut sich still.

Mit anderen Staatschefs hat sie es nicht so leicht. Zum Beispiel mit Chinas Regierungschef Wen Jiabao. Ihn versucht sie davon zu überzeugen, dass es der neuen Stellung seines Landes in der Welt entspräche, beim Klimaschutz voranzugehen. Doch in Kopenhagen bleibt Chinas Verhandlungsstrategie starr.

Donnerstag, am frühen Abend. Angela Merkel fährt zurück ins Hotel, zum Umziehen. Das Abendessen im Christiansborg Palast, zu dem Ihre Majestät Königin Margarethe II. von Dänemark geladen hat, verläuft streng nach Protokoll, und das schreibt für Damen vor: kurzes Kleid oder Hosenanzug. Merkel trägt Hosenanzug, goldfarbenes Jacket, schwarzes Top. Bernsteinkette.

Drei Stunden Schlaf müssen reichen

Beim Essen gelingt es Europäern und Amerikanern, die wichtigsten Entwicklungsländer, Afrikaner und Inselstaaten davon zu überzeugen, sich anschließend zu Verhandlungen zu treffen. Merkel bleibt bis zwei Uhr, dann übernimmt Umweltminister Norbert Röttgen die Aufgabe, für die Ziele der Deutschen zu kämpfen.

Nach Merkels Ankunft im Hotel wird die Strategie für den nächsten Tag im Einzelnen besprochen. Kurz vor vier Uhr geht die Bundeskanzlerin dann endlich schlafen. Es ist keine lange Nacht für Merkel, denn vor acht Uhr ist sie schon wieder auf dem Weg ins Konferenzzentrum. Drei Stunden Schlaf müssen reichen. Gleich kommt Obama. Läuft alles nach Plan, wird er seine Klimaverpflichtungen nachbessern. Das kann Kopenhagen retten.

Angela Merkel hasst Überraschungen wie jene, die sie am Freitagmorgen erreichen. Die Minister haben keine Fortschritte gemacht. Merkel taucht ab in die Verhandlungen. Um 17.20 Uhr soll sie eigentlich mit der Regierungsmaschine zurück nach Berlin fliegen. Doch auch um 21 Uhr ist noch kein Durchbruch erzielt. Obama hat eine Rede gehalten, aber nichts Konkretes versprochen.

Angela Merkel gibt sich als harte Verhandlerin, doch als sie gegen Mitternacht vor die Presse tritt, steht ihr die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Sie sehe das Ergebnis des Gipfels "mit gemischten Gefühlen", sagt sie. Die Kanzlerin ist letztlich gescheitert.

© SZ vom 19./20.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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