Görlitz:Warum die Niederlage in Görlitz der AfD sogar nützen kann

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Bei der OB-Wahl in Görlitz erhält der AfD-Kandidat fast die Hälfte der Stimmen. Auch wenn sich letztlich der CDU-Bewerber durchsetzt: Es sollte doch zu denken geben, wenn nur noch ein Allparteien-Bündnis gegen die AfD hilft.

Kommentar von Kurt Kister

Gerade regen sich mal wieder die üblichen Verdächtigen darüber auf, dass die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer in einem Tweet die Niederlage des OB-Bewerbers der AfD in Görlitz zunächst als einen reinen Sieg der CDU dargestellt hat. Zwar gewann der CDU-Kandidat Octavian Ursu, aber er gewann nur, weil er in der Stichwahl auch von Grünen und Linken unterstützt worden ist. Kramp-Karrenbauer korrigierte sich später, indem sie von einem "breiten Bündnis" schrieb.

Aber es ist ohnehin nicht so wahnsinnig wichtig, dass die CDU-Chefin mal wieder einen plumpen Tweet abgesetzt hat. Die Merkel-Nachfolgerin wirkt rhetorisch und gerne auch in ihren Social-Media-Beiträgen eben manchmal wie eine Mischung aus Heinrich Lübke und Heinz Erhardt, um zwei sehr alte, tote Männer zu bemühen.

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Wichtig dagegen ist etwas anderes. In Görlitz, das weit im Osten Sachsens liegt, hat fast die Hälfte der Leute Sebastian Wippel, Polizist und AfD-Landtagsabgeordneter, gewählt. Wippel erhielt 44,8 Prozent der Stimmen. Sein Gegner, der CDU-Mann Ursu, kam auf 55,2 Prozent - aber eben nur, weil es in diesem Fall eine Allianz zwischen Parteien gab, die eigentlich in mehr oder weniger scharfer Konkurrenz zueinander stehen. Einerseits mögen das viele als ein Bündnis der Anständigen sehen. Andererseits sollte es sehr zu denken geben, wenn gegen die AfD nur noch ein Allparteien-Bündnis hilft.

Wippel gehört eindeutig zu jenen Gauland-Schülern, die die Grenzen des Sagbaren verschieben wollen. Als Landtagsabgeordneter in Dresden "bedauerte" er 2016 öffentlich, dass islamistische Anschläge in Würzburg und Ansbach nicht "die Verantwortlichen dieser Politik" getroffen hätten. Ein Polizist, der im Terrorismus das sucht, was er für nützliche Aspekte hält? Ein "Ausrutscher" sei das gewesen, behauptete Wippel hinterher. Die Wahrscheinlichkeit aber ist hoch, dass der Mann eben mal das gesagt hat, was er denkt. Wer so etwas nicht denkt, sagt so etwas auch nicht.

Ach ja, auf Wippels OB-Wahlplakaten stand "Ein Görlitzer". Sein Gegner Ursu stammt aus Rumänien. Der Deutsche gegen den Ausländer. Sicher kein Ausrutscher.

Der freundliche Fremdenfeind von nebenan

Wippels relativ knappe Niederlage wirft ein Schlaglicht auf die politische Situation vor allem im Osten Deutschlands. In Sachsen, Thüringen und Brandenburg werden Anfang September beziehungsweise Ende Oktober neue Landtage gewählt. In Sachsen liefern sich in den Umfragen CDU und AfD bei jeweils ungefähr 25 Prozent ein enges Rennen; in Thüringen streiten sich AfD und Linke um den zweiten Platz hinter der CDU; in Brandenburg sagen die Umfragen, dass die AfD mit der noch regierenden SPD an der 20-Prozent-Marke um Platz eins kämpft.

Ja, auch im Westen erzielt die AfD in manchen Bundesländern knapp zweistellige Ergebnisse; in anderen Bundesländern ist das nicht der Fall. Im Osten aber ist sie im Schnitt gut doppelt so stark wie im Westen.

Die Rechtspartei mit extremen Einsprengseln hat der Linkspartei weitgehend den Status als große Regionalpartei Ostdeutschlands abgenommen. Nicht "der" Osten wählt rechts, aber immer mehr Wähler im Osten sehen in der AfD die Anti-System-Partei, die man wählt, weil man die anderen nicht (mehr) wählen will. Dazu gehört, dass einige ihrer Kandidaten als der freundliche Fremdenfeind von nebenan antreten, dazu zählt immer wieder die bewusste Provokation.

Mittelfristig kann es sogar den Rechten nützen, wenn "die anderen", also CDU, SPD, Grüne, Linke und FDP, sich in der Not gegen die AfD verbünden. Wer davon lebt, dagegen zu sein, wird stets behaupten, er beschreibe mit seinem "wir gegen die" nur die Realität.

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