Großmanöver "Northern Coasts":Einsatz in der Ostsee

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Mit der kleinsten Flotte ihrer Geschichte zieht die deutsche Marine ins Großmanöver. Im Bild die Fregatte "Hamburg" im Hafen von Wilhelmshaven (Foto: Sina Schuldt/dpa)

Unter deutscher Führung üben alliierte Seestreitkräfte vor den Küsten Lettlands und Estlands für ein brisantes Szenario: Wie lässt sich im Falle eines russischen Angriffs aufs Nato-Gebiet das Baltikum verteidigen?

Von Mike Szymanski, Berlin

Es ist eine Bewährungsprobe für die Marine: Vom 8. September an führt sie von ihrem neuen Einsatz-Hauptquartier in Rostock aus ein Großmanöver in der Ostsee. 13 weitere Nationen sind beteiligt. Vor den Küsten Lettlands und Estlands üben die Seestreitkräfte bei "Northern Coasts 2023" zwei Wochen lang, Häfen zu sichern, Seewege freizuhalten und Landungsoperationen durchzuführen. 30 Schiffe und Boote, zehn Flugzeuge und Hubschrauber sowie mehr als 3000 Soldatinnen und Soldaten werden dabei im Einsatz sein.

Das erste Mal in der Geschichte des Großmanövers, das 2007 auf Initiative Deutschlands erstmals durchgeführt wurde, stehen damit klassische Aufgaben der Landes- und Bündnisverteidigung auf dem Übungsprogramm. In den vergangenen Jahren hatten die Verbände auf See für internationale Kriseneinsätze trainiert, etwa, wie man ein Waffenembargo durchsetzt oder Piraten bekämpft. Russlands Angriffskrieg in der Ukraine hat jedoch einen möglichen Einsatz in der Ostsee wieder in den Fokus rücken lassen.

Signal der Wachsamkeit an Russland

Zusammen mit den Partnern im Ostseeraum, aber beispielsweise auch den USA und Kanada, wolle Deutschland "ein klares Signal der Wachsamkeit aller Partner an Russland" senden, erklärte Vizeadmiral Jan Christian Kaack, Inspekteur der Marine, in Berlin.

Die Marine schickt unter anderem die Fregatte Hamburg, das Minentauchereinsatzboot Bad Rappenau, das Versorgungsschiff Elbe, einen Seefernaufklärer P-3C Orion, den Betriebsstofftransporter Rhön sowie das U-Boot U 36 in die Übung. Auch ständige Seeverbände der Nato werden sich mit ihren Einheiten am Großmanöver beteiligen.

An Lettlands Küste wollen die Partner üben, Truppen an Land abzusetzen. Im Mittelpunkt dabei steht das Landungsschiff USS Mesa Verde der Amerikaner mit 800 US-Marines der 26th Marine Expeditionary Unit (MEU) an Bord. Zusammen mit den Marineinfanteristen des Seebataillons der Deutschen sollen Landungsoperationen trainiert werden. Im Falle eines Angriffs müssten über See Soldaten und Material zügig ins Baltikum gebracht werden. "Zu einer glaubhaften Abschreckung gehört auch die Fähigkeit zum Angriff", führte Marine-Inspekteur Kaack aus.

Über die Ostsee verlaufen die wichtigsten Nachschubwege ins Baltikum

Die wichtigsten Nachschubwege für die Nato nach Finnland und ins Baltikum verlaufen über See. Die Landverbindung zwischen Polen und Litauen ließe sich womöglich leicht kappen, es handelt sich lediglich um einen etwa 65 Kilometer schmalen Korridor zwischen der russischen Exklave Kaliningrad und Russlands Verbündetem Belarus. Durch diese sogenannte Suwałki-Lücke verlaufen eine Eisenbahnlinie und zwei Schnellstraßen, die leicht unterbrochen werden könnten. Kaacks estnischer Amtskollege hatte Deutschland aufgefordert, mit der Übung "Northern Coasts" eine stärkere Führungsrolle in der Ostsee zu übernehmen. Konkret habe er gesagt: "Ihr müsst das jetzt machen", berichtete Kaack.

Gleichwohl zeigen sich die Partner bemüht, die Lage in der Ostsee nicht zu verschärfen. Das Übungsgebiet liegt in deutlicher Entfernung zu Kaliningrad, auch damit es nicht zu einer Eskalation kommt. In Kaliningrad sind große Teile von Russlands Baltischer Flotte stationiert: Fregatten, Korvetten, Seeflieger und Raketenanlagen an der Küste.

Russische Einheiten in der Ostsee würden sich "seemännisch" verhalten, eine Zuspitzung der Lage seit Ausbruch des Krieges habe er nicht erkennen können. Er erlebe "vom Grundsatz her absolutes Normverhalten - nicht mehr und nicht weniger". Begegneten sich Schiffe auf See, erfolge dies nach Regeln, die man schon im Kalten Krieg verfolgt hätte.

Das Manöver ist ein Testlauf für einen neuen Führungsstab in Rostock

Gesteuert wird das Großmanöver von Rostock aus. Dort hat die Marine in den vergangenen Jahren einen neuen militärischen Führungsstab speziell für Operationen in der Ostsee aufgebaut. In Krisenzeiten können zum Beispiel die Nato oder die EU den Stab als maritimes Hauptquartier aktivieren, um multinationale Flottenverbände zu befehligen.

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Die Übung "Northern Coasts" dient auch als Testlauf für diese neue Führungsstruktur. "Die Übung wird aus Deutschland geführt, findet jedoch etwa 1000 Kilometer entfernt statt", erklärte Marine-Inspekteur Kaack. Knapp 100 Soldatinnen und Soldaten bilden den Kern des Stabes, bis zu 25 davon können mit Personal von Partnernationen besetzt werden. Das neue Hauptquartier werde bei dieser Übung "ordentlich ausgelastet", erklärte Kaack, er sieht darin einen "gewaltigen Schritt" hin zur vollen Einsatzbereitschaft.

Die Rückbesinnung auf Aufgaben der Landes- und Bündnisverteidigung stellt die Marine - wie auch die anderen Teilstreitkräfte Heer und Luftwaffe - vor große Probleme. Die Marine verfügt mit etwa 50 Booten und Schiffen gerade über die kleinste Flotte ihrer Geschichte. Etliche Einheiten, selbst ein Teil der großen Fregatten, sind gar nicht mehr für den klassischen Seekrieg ausgelegt. Die U-Boot-Flotte beispielsweise ist seit dem Fall der Mauer von 24 auf sechs Boote geschrumpft. Kaack erklärte, wenn von 2025 an die neuen Nato-Anforderungen gelten, müssten nahezu alle verfügbaren Einheiten der Marine in ständiger Bereitschaft sein - ein Kraftakt.

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