Flüchtlinge:Der Schleuser von Belarus

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Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko ist auf Konfliktkurs. (Foto: Maxim Guchek/AP)

Wie der Machthaber in Minsk Migranten für seine Ziele einsetzt und damit eine Entschärfung des Konflikts mit der EU erschwert.

Von Frank Nienhuysen, München

Einen schwereren Vorwurf kann man einem Nachbarstaat der Europäischen Union kaum machen: Bundesaußenminister Heiko Maas hat den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko als "Chef eines staatlichen Schleuserrings" bezeichnet. Tausende Flüchtlinge ließ Belarus allein in diesem Herbst über die Grenze, begonnen hatte der Flüchtlingstrack nach Litauen, zuletzt war Polen am stärksten betroffen, nun spürt auch Deutschland zunehmend die Auswirkungen des Minsker Flüchtlingskurses.

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Viele Migranten aus dem Nahen Osten, zumeist aus dem Irak, aus Zentralasien und Afrika profitierten dabei bisher von einer erleichterten, visafreien Einreise nach Belarus, die Lukaschenko per Dekret gestattet hat. Flugzeuge nach Minsk sind etwa aus Damaskus, Istanbul, Dubai, Basra und Erbil gestartet, voll mit Menschen, denen Schleuser den Weg in die EU versprochen haben. Mehrere Außenminister der EU-Staaten setzen sich deshalb dafür ein, nicht nur die staatliche belarussische Fluglinie Belavia, sondern auch europäische Airlines mit Sanktionen zu bestrafen, die mit ihr zusammenarbeiten. Irland gilt als Zentrum solcher Leasinggeschäfte mit Belarus. Der irische Außenminister Simon Coveney sagte selber, er befürworte derartige Sanktionen, solange diese nicht bestehende, sondern künftige Verträge beträfen.

In belarussischen sozialen Netzwerken wie Tiktok kursieren Videos und Fotos von zahlreichen Migranten aus dem Nahen Osten und Afrika, die unter anderem am Flughafen und in Hotels der belarussischen Hauptstadt Minsk von Dolmetschern geleitet werden. Auch im nahe der polnischen Grenze gelegenen Hrodna sowie in Brest würden sie untergebracht. Da Belarus ein extremer Kontrollstaat ist, liegt eine bewusste staatliche Steuerung der Migrationswelle auf der Hand. Nach einem Bericht des in Warschau stationierten belarussischen Exilsenders Belsat beteiligt sich eine Eliteeinheit der belarussischen Grenztruppen daran, Migranten zur Grenze zu schicken.

Lukaschenko selbst hatte nach den EU-Sanktionen wegen der Entführung einer Ryanair-Maschine gesagt, er werde Migranten mit dem Ziel EU nicht mehr aufhalten. Doch nun könnte es womöglich eine kleine Kursänderung geben. Das unabhängige belarussische Onlinemedium Zerkalo berichtete, dass Einreisende aus Syrien, Ägypten, Afghanistan, Pakistan, Jemen, Iran und Nigeria am Minsker Flughafen keine Visa mehr erhalten. Als Grund vermuten Experten, dass die schlechte Pandemie-Lage in Belarus, der nahende Winter sowie vor allem die Sorge vor einem fünften Sanktionspaket der EU, das die ohnehin angeschlagene Wirtschaft in Belarus schwer treffen dürfte, dem Minsker Regime "Kopfzerbrechen bereiten".

Bisher galt die erleichterte Einreise nach Belarus für Menschen aus 76 Ländern als Voraussetzung für das Einschleusen der Migranten. Denkbar wäre auch, dass die sogenannten Pushbacks der EU-Grenzstaaten die Lage in Belarus selbst verschärfen, denn dort müssen nun mehr und mehr zurückgeschickte Flüchtlinge untergebracht werden.

Noch scheint Belarus offenbar zu einem verschärften Konflikt mit EU-Staaten bereit zu sein, wie auch der Fall des französischen Botschafters zeigt. Minsk entzog Nicolas de Lacoste zu Beginn dieser Woche die Akkreditierung und wies ihn aus. Der Botschafter hatte in der vergangenen Woche einen Vertreter der verbotenen Organisation Gowori Prawdu (Sag die Wahrheit) empfangen. Als Grund für die Ausweisung nannte Paris einen Streit über ein Beglaubigungsschreiben, das Botschafter de Lacoste Lukaschenko nicht vorgelegt habe - weil er dessen Wahlsieg im vorigen Jahr nicht anerkennt.

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