Luftangriff bei Kundus:Legenden, Lügen, Selbstverteidigung

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Verteidigungsminister Guttenberg verteidigt vor allem sich selbst, spricht von Legenden-Bildung und rechtfertigt Entlassungen führender Mitarbeiter. Grünen-Politiker Trittin bezichtigt ihn angesichts der neuen Erkenntnisse über die Luftangriffe bei Kundus der Lüge.

Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hat Vorwürfe zurückgewiesen, er habe Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Staatssekretär Peter Wichert Ende November zu Unrecht entlassen. Der Bild am Sonntag sagte er: "Trotz aller bemerkenswerten Legendenbildung ist Tatsache, dass mir relevante Dokumente vorenthalten wurden. Dafür haben die beiden Herren die Verantwortung übernommen."

In Erklärungsnot: Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) verteidigte die Entlassung von Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Staatssekretär Peter Wichert. (Foto: Foto: dpa)

Der Spiegel und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hatten zuvor berichtet, Schneiderhan und Wichert hätten - entgegen der Darstellung des Bundesministeriums der Verteidigung - den Minister am 25. November vollständig über alle Berichte zum Kundus-Fall informiert.

Keine Angst vor Konsequenzen

Das Verhalten des ehemaligen Generalinspekteurs und des früheren Staatssekretärs werde auch Thema im Untersuchungsausschuss des Bundestages sein, sagte Guttenberg: "Über die Qualität fachlicher Beratung und Einschätzungen anderer wird ebenso wie über den Informationsfluss vor meiner Zeit der Untersuchungsausschuss zu befinden haben."

Guttenberg sieht sich durch die neuen Vorwürfe in der Kundus-Affäre auch nicht im Amt gefährdet: "Wer glaubt, den 4. September an mir festmachen zu können, sollte sich daran erinnern, dass ich da noch gar nicht Verteidigungsminister war."

In der Bild am Sonntag forderte Guttenberg darüber hinaus erneut "realistische" Einsatzregeln für Auslandseinsätze der Bundeswehr: "Es wäre für die Soldaten nur schwer nachvollziehbar, wenn sie trotz mandatskonformen Verhaltens mit strafrechtlichen Verfahren rechnen müssten." Sie bräuchten "aus der Heimat volle Unterstützung" sowie "Schutz und Rechtssicherheit".

Er habe wiederholt darauf hingewiesen, dass es in Afghanistan derzeit "kriegsähnliche Zustände" gebe und es nicht allein darum gehe, Brunnen zu bohren, sagte Guttenberg. In solchen Situationen sei der "Einsatz der Waffe auch gegenüber Menschen nicht auszuschließen". Er sei aber "an klaren und strengen Kriterien zu bemessen".

Bewusste Täuschung der Öffentlichkeit

Die Opposition forderte von Guttenberg unterdessen eine umfassende Aufklärung. Der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel bemängelte, dass täglich "neue und immer dramatischere Informationen durch die Medien ans Licht der Öffentlichkeit" kämen. Die Regierung aber verstecke sich und nehme nur "scheibchenweise" dazu Stellung, kritisierte Gabriel in einer Presseerklärung.

Die Grünen unterstellten Guttenberg gar eine bewusste Täuschung der Öffentlichkeit. Der Minister habe zum tödlichen Bombardement auf zwei Tanklastzüge vom September "wissentlich die Unwahrheit" gesagt, so Grünen- Fraktionschef Jürgen Trittin in der ARD. "Man nennt das landläufig 'er hat gelogen'." Der Befehl zum Töten sei unter Missachtung der Regeln der Internationalen Schutztruppe für Afghanistan (Isaf) erteilt worden. "Das ist die Substanz des Berichtes, den die Nato hatte, den Herr Guttenberg gelesen hat", sagte Trittin.

Mehrere Medien berichten unter Berufung auf Nato-Erkenntnisse, dass die Bundeswehr bei dem Bombardement am 4. September nicht nur - wie ursprünglich behauptet - die Zerstörung zweier entführter Tankwagen zum Ziel hatte, sondern vor allem die Tötung von Taliban- Führern. Guttenberg verwies am Samstag darauf, dass die näheren Umstände von einem Untersuchungsausschuss geklärt werden sollen, der sich am kommenden Mittwoch konstituieren will.

Bei dem vom deutschen Kundus-Kommandeur angeforderten US-Luftangriff waren laut Nato-Untersuchungsbericht bis zu 142 Menschen getötet oder verletzt worden.

Stellungnahme der Kanzlerin

Die Grünen fordern eine Regierungserklärung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Der Verteidigungsexperte der Linksfraktion, Paul Schäfer, sagte der Deutschen: "Meines Erachtens sieht das Mandat eine solche Form gezielter Tötung nicht vor, auch das Isaf-Mandat nicht."

Wie der Spiegel und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung berichteten, hätten Generalinspekteur Schneiderhan und Staatssekretär Wichert Guttenberg am 25. November wechselseitig auf einen Bericht der Feldjäger und drei weitere Untersuchungen zu dem Luftangriff hingewiesen. Das Magazin beruft sich auf das Umfeld der beiden, die Zeitung nennt keine Quelle. Vor dem Bundestag hatte Guttenberg ihre Entlassung mit dem Verschweigen unter anderem des Feldjäger-Berichts erklärt.

Isaf-Kommandeur Stanley McChrystal schrieb in seinem Untersuchungsbericht für die Nato über den Angriff: "Er (Kundus-Kommandeur Georg Klein) hat die Menschen als Ziel, nicht die Fahrzeuge." Aus Kleins eigenem Bericht vom Tag nach dem Angriff zitiert der Spiegel, er habe die "Tanklastwagen sowie an den Fahrzeugen befindliche INS (Insurgents - Aufständische) ... vernichten" wollen. Die Regierung hatte immer erklärt, die Tanklastwagen seien angegriffen worden, weil sie als rollende Bomben gegen die Bundeswehr hätten eingesetzt werden können.

Außerdem sollen das Kanzleramt sowie mit der Geheimdienst-Koordination beauftragte Regierungsvertreter vor und nach dem Angriff in eine neue Eskalationsstufe in Afghanistan einbezogen gewesen sein, wie die Leipziger Volkszeitung berichtet. Dabei sei es auch um gezielte Liquidierungen gegangen. Im Einsatzführungskommando in Potsdam sowie bei Kleins Kameraden heiße es, dieser habe sich "ermutigt gefühlt", "kräftig durchzugreifen".

Regierungssprecher Ulrich Wilhelm betonte am Samstag, man habe nicht auf konkrete Einsätze Einfluss genommen. "Das Kanzleramt hat stets großen Wert darauf gelegt, dass die Einsätze der Bundeswehr immer im Rahmen des vom Bundestag erteilten Mandats erfolgen."

© dpa/AFP/jobr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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