Linken-Fraktionschef Gysi:"Ich habe kein Verfallsdatum"

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Gregor Gysi, der alte und neue Fraktionschef der Linken-Bundestagsfraktion, mit seiner "ersten Stellvertreterin" Sahra Wagenknecht. (Foto: dpa)

Gregor Gysi bleibt Fraktionsvorsitzender, Sahra Wagenknecht wird ganz allein "erste Stellvertreterin" - das war schon vor der Abstimmung klar. Doch die Linke will es spannend machen und verschanzt sich stundenlang im Sitzungssaal. Am Ende steht ein großes Versprechen.

Von Antonie Rietzschel, Bersteland

Hui, was für ein Versprechen: "Wir werden weniger diskutieren", sagt Gregor Gysi während der Pressekonferenz, die die zweitägige Klausurtagung der Partei offiziell beendet. Rechts neben ihm steht Sahra Wagenknecht, dahinter die anderen Mitglieder des neuen Fraktionsvorstands.

"Sie glauben, dass sie sich innerhalb von einer Stunde einigen können?", fragt ein Journalist ungläubig. "Ach, weniger", antwortet Klaus Ernst, Ex-Parteichef und einer der sechs Stellvertreter. Die Frage des Journalisten ist nicht ganz unberechtigt. Denn gerade an diesem Mittwoch hat die Partei mal wieder gezeigt, dass sie dazu neigt, sich im Diskurs zu verlieren - besonders in Personalfragen.

Stundenlang quälen sich Reformer und Parteilinke im brandenburgischen Bersteland durch Diskussionen. Die Abstimmung über den Fraktionsvorstand wird immer wieder verschoben. Dann! Endlich! Kurzer Applaus hinter verschlossenen Türen und die erlösende Nachricht: Gysi ist als Fraktionsvorsitzender wiedergewählt. Knapp 81 Prozent, ein bisschen schlechter als 2011.

Sahra Wagenknecht wird mit etwa 66 Prozent "erste Stellvertreterin" - drei Prozentpunkte mehr als vor zwei Jahren. Es ist aber nur ein kleiner Trostpreis. Denn zum zweiten Mal wurde eine Doppelspitze mit ihr verhindert. Gysi hat sich durchgesetzt. Er selbst formuliert das natürlich nicht so. "Ich bin ja nicht der Einzige, der das will", sagt er.

Besänftigung für Reformer und Parteilinke

Das Ergebnis ist keine wirkliche Überraschung. Bereits am Vorabend zur Klausur hatten die führenden Vertreter diese Konstellation als Kompromiss ausgearbeitet, um Reformer und Parteilinke zu besänftigen. Wagenknecht war zwar schon zuvor "erste Stellvertreterin", teilte sich diesen Posten jedoch mit der Frauenpolitikerin Cornelia Möhring. Dietmar Bartsch, der zu den Reformern in der Partei zählt, ist ihr in dem insgesamt elfköpfigen Vorstand als "einfacher Stellvertreter" formal nicht gleichgestellt.

Auch Sahra Wagenknecht signalisierte bereits am ersten Tag, dass die Personalfrage vor der Abstimmung bereits entschieden sei. "Ich habe ja eindeutig gesagt, dass ich das für sinnvoll halten würde, wenn es eine Doppelspitze gäbe", sagte sie in Anspielung auf ein mit ihr geführtes Interview auf Zeit Online. "Trotzdem", fügte sie gereizt hinzu, "finde ich natürlich, muss man aufpassen, dass man Fraktionen nicht zu Zerreißproben bringt, wenn Ultimaten öffentlicher Art im Raum stehen".

Gysi hatte mit Rücktritt gedroht und Wagenknecht damit als Ko-Vorsitzende vereitelt, bevor sie überhaupt kandidieren konnte. Die NRW-Linke drohte daraufhin, einen Antrag einzubringen, die in den Statuten verankerte Doppelspitze auch zu verwirklichen - zog dann jedoch zurück.

Gysi wirkt dann am Mittwoch, dem Tag der Wahl, sehr entspannt. Er trägt statt Hemd und Krawatte einen schwarzen Rollkragenpullover unter dem Cordjackett. Am Morgen hat ihn die Mitteilung erreicht, dass das Bundesverfassungsgericht die Überwachung des linken Landtagsabgeordneten Bodo Ramelow für verfassungswidrig erklärt - eine gute Nachricht für die Partei. Er spricht von einem "wichtigen Tag in unserer Geschichte. Es ist heute ein Schritt zur Gleichstellung unserer Partei vollzogen worden."

Vor dem Mittagessen - und damit eine Stunde, bevor er den Kompromiss offiziell der Partei präsentiert - schlendert Gysi gemütlich ins Restaurant. Zu den wartenden Journalisten sagt er lapidar: "Sie müssen ein bisschen Geduld mit uns haben." Oh ja, wie Recht er damit hat. Denn ganz so einfach wird es für Gysi dann doch nicht: Es gibt eine langwierige Aussprache. Ein Abgeordneter aus Sachsen droht, gegen Klaus Ernst antreten zu wollen. Bundestagsabgeordnete Caren Lay fällt im ersten Wahlgang durch, erst im zweiten klappt es dann doch für sie. Eine Linke beschreibt die Stimmung als angespannt.

Zum Zeitvertreib verteilt der Pressesprecher, was am Vortag erarbeitet wurde. Das 100-Tage-Programm mit zehn Initiativen, die die Linke in den Bundestag einbringen will. Nix Neues ist dabei. Das Thema Krieg und Frieden steht ganz oben. Man wolle den kategorischen Gewaltverzicht in der deutschen Außenpolitik verankern und fordere das unverzügliches Ende des Afghanistan- und des "Patriot"-Einsatzes. Es folgt der Mindestlohn von zehn Euro, Abschaffung der Rente mit 67, Millionärssteuer und Anhebung des Hartz-IV-Satzes auf 500 Euro.

Zusätzlich verabschiedet die Partei einen Fünf-Punkte-Plan. Darauf finden sich Themen, bei denen die Partei aus ihrer Sicht Schnittmengen mit SPD und Grünen hat. Das Papier ist eine erneute Einladung, sich unmittelbar nach der Konstituierung des Bundestages zusammenzutun. Rot-Rot-Grün auf Zeit - zumindest, solange noch kein Ende der Koalitionsverhandlungen in Sicht ist und eine Regierung fehlt.

Schließlich wird die Diskussion durch die Sitzung des Frauenplenums unterbrochen. Ein Linker ruft, er sei noch nie so froh gewesen, als Mann den Raum verlassen zu müssen. Dementsprechend müde sehen die neuen Mitglieder des Fraktionsvorstands aus, als sie vor die Presse treten. "Danke für die Geduld", sagt Gysi.

"Und Sie freuen sich sehr, dass Sie die Wahl gewonnen haben", kommt die Aufforderung, in die Kamera zu lächeln. Wagenknecht bleibt starr. Sie hoffe darauf, dass in zwei Jahren die Statuten umgesetzt würden, sagt sie. Dann wird erneut der Fraktionsvorstand gewählt. Gysi wird dann nicht mehr allein an der Spitze stehen, das kann er sich nicht leisten. Bedeutet 2015 also das Ende des Solo-Chefs? "Ich habe kein Verfallsdatum", sagt der 65-jährige Gysi, "ich bin doch noch jung".

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