Amira Mohamed Ali:Erfrischend unverkrampft in ihrer neuen Chefrolle

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Mohamed Ali ist erst sei 2015 Parteimitglied. (Foto: Carsten Koall/dpa)

Amira Mohamed Ali ist die erste Muslimin an der Spitze einer Bundestagsfraktion. Ihre Wahl zeigt aber auch, dass die alten Selbstzerfleischungsreflexe bei den Linken noch immer funktionieren.

Von Boris Herrmann, Berlin

Wer die neue Fraktionsvorsitzende der Linkspartei nicht kennt, der hat vermutlich noch nie ein Konzert von "Brooklyn Baby" besucht. Das Akustik-Duo aus Oldenburg spielt unter anderem Cover-Versionen von Lana Del Rey, Johnny Cash, David Bowie und Beyoncé, "immer handgemacht, immer authentisch", heißt es in der Selbstbeschreibung der Band. Allerdings ist "Brooklyn Baby" in den zurückliegenden Monaten eher unregelmäßig aufgetreten und es steht zu befürchten, dass die Sängerin nun erst recht keine Zeit mehr für ausschweifende Tourneen haben wird. Sie gehört jetzt zu den wichtigsten Figuren der Berliner Politikbetriebs.

Als sie nach ihrem überraschenden Wahlsieg am Dienstagnachmittag vor die Kameraaugen und Mikrofonhälse im Bundestag trat, sagte sie: "Guten Tag, mein Name ist Amira Mohamed Ali. Ich stehe heute zum ersten Mal hier." So ähnlich hatte sich auch Rolf Mützenich vorgestellt, als er im Juni dieses Jahres zunächst zum kommissarischen Fraktionschef der SPD befördert wurde. Im Fall von Mützenich darf man unterstellen, dass da auch charmantes Understatement im Spiel war, immerhin sitzt er seit 17 Jahren im Bundestag. Dagegen ist die neue Fraktionschefin der Linken an der Seite von Dietmar Bartsch überhaupt erst 2015 in die Partei eingetreten und hat in ihren zwei Jahren als Bundestagsabgeordnete bislang keine öffentlichkeitswirksamen Debatten geprägt. Bei ihr ging es tatsächlich darum, erst einmal klarzustellen, wie sie eigentlich heißt: "Mein Name lautet Mohamed Ali, nicht nur Ali."

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Amira Mohamed Ali ist nicht die logische Wahl als Nachfolgerin von Sahra Wagenknecht. Doch im Rennen um den Fraktionsvorsitz der Linken ging es vor allem um komplexe Machtarithmetik.

Von Boris Herrmann

Ein Schelm, wer dabei nicht an Boxsport denkt. Obwohl Namenswitze selbstverständlich streng verboten sind, darf man an dieser Stelle sicherlich erwähnen, mit welchem Motto Mohamed Ali, 39, ihre Facebook-Seite schmückt: "Rumble in the political Jungle." Damit bezieht sie sich auf den berühmtesten Boxkampf der Geschichte, dem sogenannten Rumble in the Jungle, 1974 in Kinshasa. George Foreman gegen Muhammad Ali. Ali siegte durch K.o.

Mit mittelmäßigen Gags, die sich eh nicht verhindern lassen, geht Mohamed Ali also offensiv selbstironisch um, und das ist zunächst einmal nicht der schlechteste Charakterzug. Sie macht auch keinen Hehl daraus, dass ihre Blitzkarriere absurde Züge trägt, immerhin ersetzt hier eine der bislang unbekanntesten Abgeordneten der Linken ausgerechten die mit Abstand berühmteste: Sahra Wagenknecht, die seit Monaten auf ihren Rückzug von der Fraktionsspitzen hingelebt hatte. Ihre Nachfolgerin sagt dazu: "Man muss in jede Aufgabe reinwachsen. Als Fraktionsvorsitzende kommt man nicht zur Welt." Das ist unbestritten, allerdings haben ihre Vorgängerinnen und Vorgänger in dieser Position - Wagenknecht, Gregor Gysi und Oskar Lafontaine - nicht nur auf Oldenburger Musikbühnen von sich Reden gemacht, bevor sie den Fraktionsvorsitz übernahmen.

Amira Mohamed Ali kam 1980 in Hamburg zur Welt und lebt seit dem Ende ihres Jura-Studiums in Oldenburg. Dort arbeitete sie in der Rechtsabteilung eines Automobilzulieferers, bevor sie Berufspolitikerin wurde. Ihre Mutter ist Deutsche, ihr Vater stammt aus Ägypten. Sie ist die erste Muslimin an der Spitze einer Bundestagsfraktion. Und wahrscheinlich kann sie es selbst noch nicht ganz fassen, wie sie da so schnell hingekommen ist.

Auch bei der Wahlleiterin der Linksfraktion löste ihr Sieg in der Kampfabstimmung gegen die deutlich erfahrenere Caren Lay offenbar gewisse Irritationen aus. Einer, der dabei war, erzählt, Mohamed Ali sei nach der Auszählung der Stimmen gefragt worden, ob sie die Wahl zur "Stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden" annehme. Der Fehler wurde zum Glück schnell korrigiert, es ging hier nicht um einen Stellvertreterposten, sondern um den Chefsessel.

Mohamed Alis unterlegene Konkurrentin stellt das Machtgefüge in Frage

Natürlich weiß auch Mohamed Ali, dass sie weniger wegen ihres Renommees an diesen Spitzenjob kam, sondern wegen der Machtarithmetik in der Linksfraktion. Sie hat sich bislang vor allem mit Verbraucher- und Tierschutzthemen befasst: besseres Essen in Kitas und Schulen, weniger Pestizide in der Landwirtschaft, keine Wildtiere im Zirkus. Das ist alles sehr verdienstvoll, aber es betrifft nicht den Markenkern der Linken, die soziale Frage. Da hätte die wohnungspolitische Sprecherin Lay sicherlich mehr zu bieten gehabt.

Lay gehört in der Fraktion allerdings zu jener Gruppe, die das bisherige Machtgefüge in Frage stellt. Es bestand vier Jahre lang aus einer strategischen Allianz zwischen den Flügeln der Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht, dem sogenannten Hufeisen. Ungeachtet ihrer politischen Differenzen gelang es Bartsch und Wagenknecht in wichtigen Abstimmungen stets, eine hauchdünne Mehrheit zusammen zu bringen - und damit ihre Hausmacht zu sichern. Mit dem Rückzug Wagenknechts aus der ersten Reihe witterte eine dritte Gruppe, zu der neben Lay auch die Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger gehören, ihre Chance, das Hufeisen zu durchbrechen. Das ging schief. Der knappe Vorsprung der Wagenknecht-Vertrauten Mohamed Ali gegen Caren Lay (36 zu 29 Stimmen) bildet ziemlich genau die altbekannte Hufeisen-Arithmetik ab.

Den Reformern um Bartsch ging es offenbar weniger darum, Mohamed Ali zu befördern, als Lay zu verhindern. Das wurde Bartsch wiederum mit einem überaus bescheidenen Ergebnis bei seiner konkurrenzlosen Wiederwahl heimgezahlt (knapp 64 Prozent). Es war auch kein besonders gelungener Auftakt für die neue Doppelspitze, dass sie als erste Amtshandlung gleich einmal damit scheiterte, ihre Kandidaten für die Stellvertreterposten durchzubringen. Die Wahlen am Dienstag haben vor allem eines gezeigt: Ungeachtet aller Schwüre, es künftig harmonischer angehen zu lassen, funktionieren die Selbstzerfleischungsreflexe weiterhin bestens bei den Linken.

Mohamed Ali sagte dazu, was sie sagen musste: "Mir geht es um Argumente. Ich bin nicht festgelegt auf irgendwelche Lager oder Grabenkämpfe." Ihrem ersten Auftritt nach zu urteilen, der insgesamt erfrischend unverkrampft und gleichzeitig bestimmt wirkte, ist ihr aber durchaus zuzutrauen, dass sie in ihrer neuen Chefrolle hin und wieder auch einmal mit einem Argument durchdringt. Wer jetzt behauptet, sie sei nur eine Marionette an der Seite ihres mit allen Wassern gewaschenen Co-Vorsitzenden Bartsch, der könnte sich täuschen.

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