Eine Glocke läutet. Es kann losgehen. Der Robert-Bosch-Saal der ehrenwerten Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik füllt sich. Vor den Flügeltüren sind Stühle und eine Leinwand aufgestellt. Für den Fall, dass es zu voll wird. Ein besonderer Gast soll sprechen: Christine Buchholz, verteidigungspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag. Eine Betonlinke. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter würde sie wohl in die Kategorie der "Spinner" in der Fraktion einordnen. Gemeinsam mit Wolfgang Gehrcke und Andrej Hunko, die gerade von einer etwas seltsamen Reise aus der Ostukraine zurückgekehrt sind. Aber dazu später mehr.
Buchholz wird hier als "einflussreiche Außenpolitikerin" der Linken vorgestellt. Es gibt einige in ihrer Fraktion, die jetzt die Augen verdrehen würden. Das Wort "Kriegstreiber" gehört zu ihrem aktiven Wortschatz.
Sie gehört zu jenen Abgeordneten der Linken, die 2010 in der Gedenkstunde zu Ehren der Opfer des Nationalsozialismus sitzen blieben, als Israels Staatspräsident Schimon Peres seine Rede beendet hatte.
Auf einem Pappschild verband sie einmal die Forderung nach Solidarität mit den Einwohnern von Kobanê mit dem Aufruf: "US-Bombardement stoppen". Sie ist dann später ein wenig zurückgerudert. Auch auf Druck ihrer Kollegen.
"Das ist hier nicht der Ostermarsch"
Und jetzt steht sie an diesem Donnerstag am Pult der DGAP vor Leuten, die in ihren Augen fast alle Kriegstreiber sein müssen. Militärs sind da, Außenpolitikexperten diverser Think Tanks, ehemals aktive Außenpolitiker. Alles Leute, die den Begriff Durchsetzungsfähigkeit als elementaren Bestandteil außenpolitischen Handelns begreifen. "Ich weiß, das ist hier nicht der Ostermarsch", sagt sie. Sollte ein Scherz sein. Buchholz erntet ein paar müde Lacher.
Buchholz beherrscht sich. Nicht einmal fällt das K-Wort. Ihre Analyse aber ist eindeutig: Deutschland befinde sich in einer Phase, in der es sich auf Aufrüstung und neue internationale Einsätze vorbereite.
Wie Deutschland denn mehr Verantwortung in der Welt übernehmen könne, wird sie gefragt. Buchholz hebt eine Augenbraue. Schon den Begriff "Verantwortung übernehmen" findet sie schwierig. Sie spricht lieber davon, dass Deutschland verantwortlich in der Welt handeln müsse. Und das meint sie ausschließlich auf ziviler Ebene.
Ihre Zuhörer begreifen nicht ganz. Was ist mit den Bedrohungen? Soll deren Abwehr den Dänen, den Polen, den Litauern überlassen werden? Im Grunde meint Buchholz genau das.
Sie wird gefragt, was denn ihre erste Amtshandlung wäre, sollte sie eines Tages Verteidigungsministerin werden. Buchholz lacht auf. Ein absurder Gedanke. Aber jetzt endlich spricht sie so, dass es jeder hier versteht.
Sollte jemals die Linke allein das Land regieren - ein hypothetische Annahme, wie Buchholz zugesteht -, dann würde es kein Verteidigungsministerium mehr geben. Alle Fähigkeiten der Bundeswehr, die auch zivil genutzt werden könnten, würden in ein Ministerium für Entwicklungshilfe und Katastrophenschutz überführt.
Vorher hatten einige noch brav nach der Bündnissolidarität gefragt, und wie Buchholz denn Deutschlands Rolle in der Nato sehe. Spätestens jetzt ist klar: Gar nicht. Kommt die Linke an die Macht, ist Essig mit Bündnis.
Die Beschlusslage der Partei ist, dass Deutschland sich perspektivisch aus den militärischen Strukturen der Nato verabschieden solle. Buchholz gehört zu denen, die diese Perspektive gerne eher gestern als morgen erfüllt sehen würden. Für einen "Fortschritt" würde sie allerdings schon halten, wenn die Bundewehr auf das Niveau "Landesverteidigung" zurückgeschraubt würde. Und dann müssten eben noch weitere Schritte folgen mit dem Ziel: Bundeswehr abschaffen.
Und die Vereinten Nationen, soll Deutschland die auch verlassen? Was nämlich, wenn der Sicherheitsrat ein robustes Mandat gegen eine Konfliktpartei beschließt, also eines, das ein militärisches Eingreifen vorsieht?
Für Buchholz kein Problem. Deutschland solle in der UN bleiben. Und wenn es ein solches Mandat gebe, müsse sich Deutschland ja daran nicht beteiligen. Einige Zuhörer schütteln den Kopf.
Ganz am Anfang war eine Vertreterin der DGAP noch gespannt darauf, ob es in der Außen- und Sicherheitspolitik vielleicht doch Gemeinsamkeiten zwischen der Linken und den anderen Fraktionen im Parlament gebe. So wie es in der Bundesrepublik jahrzehntelang Tradition war. Sie dürfte nun festgestellt haben, dass es die nicht gibt.
Wenn Zusammenarbeit, dann nur auf der Linie der Linken. Ein Außenminister Westerwelle, der Deutschland nicht an Luftschlägen in Libyen beteiligen wollte - da war die Linke an der Seite der schwarz-gelben Koalition.
Keine Pazifistin, sondern Antimilitaristin
Anderen gesteht sie Bewaffnung übrigens durchaus zu. Den kurdischen PKK-Kämpfern gegen den so genannten Islamischen Staat im Irak zum Beispiel. Die nähmen ihr Recht auf Selbstverteidigung wahr, findet Buchholz. Sie sei eben keine Pazifistin, sondern eine Antimilitaristin. Die deutschen Waffenlieferungen an kurdische Peschmerga hat sie deshalb abgelehnt.
Was ist mit den Kämpfern im Osten der Ukraine, die gerade gegen die ukrainische Armee um die Vorherrschaft im Donbass kämpfen? Haben die auch ein Selbstverteidigungsrecht?
Das sei nicht vergleichbar, sagt Buchholz. Überdies halte sie die Einheiten dort "für genauso unappetitlich" wie die, die auf der ukrainischen Seite kämpfen. Sie wehre sich nur gegen die "Stigmatisierung" der einen oder anderen Seite.
Womit wir bei Wolfgang Gehrcke und Andrej Hunko wären. Ihre beiden Fraktionskollegen hatten offenbar keine Berührungsängste mit den "unappetitlichen" Kämpfern im Osten der Ukraine. Mehr als 70 000 Euro hatten sie für ein Kinderkrankenhaus gesammelt. Und weil sie versprochen hatten, persönlich dafür zu sorgen, dass die Hilfsgüter, die sie davon gekauft haben, auch dort ankommen, haben sie sich vergangene Woche selbst auf die Reise gemacht.