Linksextremismus:Im Zweifel gegen die Angeklagte?

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Führerin einer kriminellen Vereinigung für die Bundesanwaltschaft, Heldin für die linke Szene: Lina E. verbirgt ihr Gesicht bei einem Prozesstermin im vergangenen Jahr. (Foto: JENS SCHLUETER/AFP)

Im Prozess gegen Lina E. erheben ihre Verteidiger schwere Vorwürfe gegen Bundesanwaltschaft und Richter: Sie beklagen politische Justiz und wollen ihre Mandantin auf freiem Fuß sehen.

Von Iris Mayer, Dresden

Normalerweise erheben sich die Zuschauer, wenn die Richter den Verhandlungssaal betreten - als Zeichen des Respekts. Im Prozess gegen Lina E. vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Dresden stehen die meisten Zuschauer demonstrativ auf, wenn die Hauptangeklagte in den Hochsicherheitssaal geführt wird. Die 28-Jährige ist nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft als Rädelsführerin einer kriminellen Vereinigung für eine Serie brutaler Überfälle auf Anhänger rechter Gesinnung verantwortlich. In der linken Szene ist sie dagegen eine Heldin, ihre Fans verfolgen jeden Prozesstag, werfen ihr Luftküsse zu, formen Herzzeichen mit den Händen. Für sie ist Lina E. die Respektsperson und eine politische Gefangene, die seit zweieinhalb Jahren zu Unrecht in Untersuchungshaft sitzt.

Seit eineinhalb Jahren läuft der Prozess gegen die aus Kassel stammende Studentin und drei Mitangeklagte aus Leipzig und Berlin. Als die Bundesanwaltschaft Anfang April acht Jahre Haft für Lina E. wegen gefährlicher Körperverletzung, Landfriedensbruch, Sachbeschädigung und räuberischen Diebstahls fordert, wird es laut im Zuschauerraum. Der Richter droht mit Bußgeld, um Ruhe in den Saal zu bringen.

Am Mittwoch sind die Anwälte von Lina E. am Zug. Sie sehen weder eine kriminelle Vereinigung nachgewiesen noch eine herausgehobene Rolle ihrer Mandantin. Verteidiger Ulrich von Klinggräf kritisiert stattdessen die Bundesanwaltschaft und den Vorsitzenden Richter Hans Schlüter-Staats mit scharfen Worten. Gegen seine Mandantin sei ein politisch motiviertes Verfahren geführt worden, die Anklage von unbedingtem Verfolgungseifer geprägt gewesen. Die Strafforderung der Bundesanwaltschaft hält er für maßlos. Sie habe aus jedem noch so dürftigen Anhaltspunkt ein Indiz gebastelt und in "unfassbarer Einseitigkeit" nach dem Motto ermittelt: Im Zweifel gegen die Angeklagte. Auch der Senat habe zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens die Beweisführung der Bundesanwaltschaft kritisch hinterfragt. Im Gegenteil, es sei eine "gemeinsame Front" gegen die Angeklagten aufgebaut worden.

Verteidigung sieht als bewiesen nur Urkundenfälschung und Diebstahl

In dem Prozess geht es um sechs Überfälle auf Anhänger der rechten Szene zwischen Oktober 2018 und Februar 2020 in Leipzig, Wurzen und Eisenach. Als besonders gravierend hatte Oberstaatsanwältin Alexandra Geilhorn in ihrem Plädoyer Anfang April die Attacke auf einen Kanalarbeiter im linksalternativen Leipziger Stadtteil Connewitz hervorgehoben. Der Mann wurde so heftig zusammengeschlagen, dass Jochbein und Schädelknochen brachen, "nur weil er die falsche Mütze trug". Sie stammte von einem rechten Modelabel, war den Worten des Opfers zufolge ein Überbleibsel aus der Jugend. Auch für die Verteidigung von Lina E. wiegt dieser Vorwurf am schwersten, den Angriff stellen ihre Anwälte nicht infrage, es habe aber nicht nachgewiesen werden können, dass ihre Mandantin als "Überblicksperson" daran beteiligt gewesen sei. Dass sie in der Nähe gewohnt habe, reiche als Indiz genauso wenig wie die vage Vermutung von Zeugen.

Die Gruppe um Lina E. - für die drei Mitangeklagten fordert die Anklage zwischen zwei Jahren und neun Monaten bis zu knapp vier Jahren Haft - habe sich aufgrund ihrer eigenen Definition von Antifaschismus ermächtigt gefühlt, Gewalt gegen Rechtsextreme zu verüben, davon ist die Bundesanwaltschaft überzeugt. Spätestens im August 2018 habe sich die Gruppe als kriminelle Vereinigung mit verlässlichen Organisationsstrukturen und einem außerordentlichen Maß an krimineller Energie zusammengeschlossen.

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Laut Bundesanwaltschaft hatten Lina E. und ihr Verlobter Johann G. eine herausgehobene Stellung in der Gruppe. G. konnte untertauchen und wird per Haftbefehl gesucht. Als Überblicksperson oder Ausspäherin sei Lina E. an allen Angriffen beteiligt gewesen. Dies sah die Verteidigung nicht annähernd nachgewiesen und forderte, Lina E. in beinahe allen Anklagepunkten freizusprechen. Lediglich der Urkundenfälschung und des Diebstahls habe sie sich schuldig gemacht. An einem abgebrochenen Überfall auf einen rechtsextremen Kneipenwirt in Eisenach sei sie beteiligt gewesen, der Angegriffene sei aber nicht verletzt worden.

Es gibt keine "smoking gun", das räumt die Anklage ein

Dass die Beweislage für die Teilnahme an allen einzelnen Taten nicht klar auf der Hand liege, hatte auch die Bundesanwaltschaft eingeräumt. Eine "smoking gun" gebe es nicht, die Ermittler hätten weder Satzung, Kassenbuch, schmissige Namen noch Gruppenchats für die kriminelle Vereinigung finden können, sagte Geilhorn. In der Gesamtschau der Indizien sah sie die vier Angeklagten aber überführt, auch wegen der Aussage eines Kronzeugen aus der linken Szene, der Lina E. und die anderen schwer belastet hatte. Die Verteidigung sah in dessen Aussagen dagegen nur "Geraune ohne Beweiswert". Selbst das LKA habe dem Zeugen "taktisches Aussageverhalten" bescheinigt.

Die Angeklagten schwiegen im Prozess zu den Vorwürfen, machten nur Angaben zu persönlichen Lebensumständen. Auf ein konkretes Strafmaß legte sich die Verteidigung am Mittwoch nicht fest, wegen mangelnder Fluchtgefahr beantragte sie aber die Entlassung von Lina E. aus der Untersuchungshaft. Am Ende des Plädoyers gab es Beifall im Zuschauerraum. An diesem Donnerstag plädieren die Verteidiger der Mitangeklagten, das Urteil soll im Mai fallen.

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