Zu wenig Personal an Schulen:Wo sind sie denn, die Lehrer?

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Nicht alle Schularten und Fächer sind gleich stark betroffen. Besonders gesucht: Mathelehrer für Haupt- und Realschule. (Foto: Antoine Dautry/Unsplash)

In Deutschland gibt es zu wenig Lehrkräfte, weil zu wenige ausgebildet werden. Aber warum eigentlich? Ein Blick auf die Zahlen.

Von Paul Munzinger

Seit 2015 führen die Bundesländer jedes Jahr ein statistisches Kunststück auf: Sie stellen mehr Lehrerinnen und Lehrer ein, als sie ausgebildet haben. 2021 durften sich, rein mathematisch gesprochen, 115 Prozent der fertigen Referendare über eine Stelle freuen, so steht es in der Übersicht der Kultusministerkonferenz (KMK). 2019 waren es sogar 125 Prozent. Es ist ein bisschen wie ein Bäcker, der 100 Teiglinge in den Ofen schiebt und 125 fertige Brote wieder herauszieht. Kann das mit rechten Dingen zugehen?

Kann es nicht. Die Zahlen zeigen, dass die Nachfrage der Länder größer ist als das Angebot an Lehramtsabsolventen. Und zwar chronisch. Also müssen sie freie Stellen anderweitig besetzen - vor allem mit Bewerbern, die kein Lehramt studiert haben, sogenannten Seiten- und Quereinsteigern. Oder gar nicht.

In Deutschland gibt es zu wenige Lehrerinnen und Lehrer, um den Bedarf der Schulen zu decken. Und zwar, weil zu wenige ausgebildet werden. Wie kann das sein - wenn die Bundesländer nicht nur Arbeitgeber sind, sondern auch bestimmen, wie viele Studienplätze es gibt?

Es liegt zunächst daran, dass die Länder zu spät auf die demografische Entwicklung reagiert haben. Von 2011 bis 2016 stieg die Zahl der Geburten jedes Jahr, von 663 000 auf 792 000. Inzwischen liegt sie nach kleinen Schwankungen noch höher, bei 795 000. An den Grundschulen macht sich das seit ein paar Jahren bemerkbar, an den weiterführenden Schulen kommt der Zuwachs gerade an.

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Absehbar aber war er schon vorher - ein Blick in die Geburtenstatistik hätte genügt. Doch um zu sparen, haben die Länder die Zahl der Studienplätze lange klein gehalten. Für das Grundschullehramt in Münster etwa, berichtet der Bildungsforscher Klaus Klemm, habe es noch vor wenigen Jahren einen NC von 1,7 gegeben - obwohl der Lehrermangel längst da war.

Dass sich die Lage an den Schulen so verschärft hat, liegt auch an der hohen Zuwanderung der vergangenen Jahre. Allein aus der Ukraine sind seit Februar mehr als 200 000 Kinder und Jugendliche gekommen. Auch deshalb gab es 2022 so viele Erstklässler wie seit siebzehn Jahren nicht.

Das Lehramtsstudium verliert an Attraktivität

Doch die Demografie beschert den Schulen nicht nur mehr Kinder, sondern auch weniger Erwachsene, die sie unterrichten könnten. 2013 betrug die Zahl der Schulabsolventen mit allgemeiner Hochschulreife laut KMK-Statistik 371 000. 2019 waren es noch 332 000 - Tendenz weiter sinkend. "Angesichts der demografischen Entwicklung ist es absehbar, dass es auch mit großen Anstrengungen nicht gelingen kann, mittel- und langfristig genügend Lehrkräfte zu finden", sagte Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) im Sommer.

Diese Erkenntnis scheint in vielen Ländern noch nicht angekommen zu sein. Sie gehen in der Planung für die nächsten Jahre davon aus, dass das Angebot an Lehrern weitgehend gleich bleiben wird. Klaus Klemm nannte das in einer Studie "im hohen Maße unseriös".

Dazu kommt: Die Zahl der Lehramtsabsolventen nimmt besonders stark ab. Laut Statistischem Bundesamt sank sie zwischen 2011 und 2021 von 33 500 auf 28 900 - ein Minus von fast 14 Prozent. Allein mit der Demografie lässt sich das nicht erklären, wie Klemm vorrechnet: Vergleicht man die Zahl aller Schulabgänger mit Hochschulreife mit der Zahl der Lehramtsabsolventen fünf Jahre später - so lange dauert ein durchschnittliches Studium -, dann zeigt sich: Der Anteil der Lehramtsabsolventen wird kleiner. 2010 betrug er 10,1 Prozent, 2016 nur noch 8 Prozent. Das Lehramtsstudium verliert offenbar an Attraktivität.

In Bayern lässt sich diese Entwicklung aufgrund der im Vergleich zu anderen Ländern guten Datenlage auch ohne Rechenumwege beobachten. Der Anteil der Lehramtsstudenten unter den Erstsemestern sank hier von 15 Prozent vor zehn Jahren auf aktuell 11,5 Prozent, wie der frühere Berliner Bildungsstaatssekretär Mark Rackles in einem Gutachten für die Rosa-Luxemburg-Stiftung ermittelt hat.

In Bayern lässt sich auch nachvollziehen, wo die Studienanfänger vor allem ausbleiben: im Lehramt für die Mittelschule, die frühere Hauptschule. Die Zahl der Erstsemester brach dort zuletzt ein, von 1460 im Jahr 2017 auf 551 im Jahr 2021. Es ist vor allem das Lehramt für die Mittelschule, das in Bayern an Attraktivität verliert.

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Zu denen, die das Studium nicht anfangen, kommen die, die es nicht beenden. Zwar liegt die Abbrecherquote im Lehramt laut Deutschem Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) je nach Studiengang (Staatsexamen, Bachelor, Master) zwischen zehn und zwanzig Prozent und damit vergleichsweise niedrig. Doch daneben gibt es noch diejenigen, die ihr Studium nicht abbrechen, sondern die Fächer tauschen oder vom Lehramt in einen anderen Studiengang wechseln. Der Rostocker Bildungsforscher Falk Radisch spricht deshalb lieber von "Schwundquote".

Diese Schwundquote, schätzt Radisch, liegt im Lehramt bundesweit bei 30 bis 40 Prozent - mit erheblichen Schwankungen je nach Studienort, Fächern und Schularten. In Rostock und Greifswald, das fand Radisch 2018 in einer Studie heraus, lag sie im Lehramt für Grundschulen am Ende der Regelstudienzeit bei grob der Hälfte der Studierenden, im Lehramt für das Gymnasium knapp darüber. Am schlimmsten erwischte es das Lehramt für die Sekundarstufe I - in Mecklenburg-Vorpommern für die Regionale Schule. Dort betrug der Schwund in Rostock 70 und in Greifswald 85 Prozent. Auch das spricht dafür, dass massive Personalnot vor allem den Schulen für jene Kinder bevorsteht, die nach der Grundschule nicht aufs Gymnasium gehen.

Geschichtslehrer fürs Gymnasium zu finden, ist weniger das Problem

Und nicht nur die Schularten sind unterschiedlich stark betroffen, sondern auch die Fächer. In Fächern wie Sport, Deutsch und Geschichte gibt es viel weniger Schwund als in Physik und Mathematik. In den letzten vier Jahren, sagt Radisch, hätten in ganz Mecklenburg-Vorpommern drei Physik-Lehrer für Regionalschulen ihr Studium abgeschlossen. Nötig wären etwa 80 gewesen.

Radisch leitet aus diesen Zahlen vor allem zwei Forderungen ab: Erstens brauche es mehr Daten zum Lehramtsstudium und auch zum Referendariat, um das komplexe Thema und gerade den Schwund besser zu verstehen. Zweitens reiche es nicht, mehr Studienplätze zu schaffen, um gegen den Lehrermangel vorzugehen. "Wenn wir im Lehramt alle Studiengänge öffnen, bekommen wir mehr Geschichtslehrkräfte fürs Gymnasium, von denen es sowieso genug gibt", sagt Radisch. "Wir gewinnen aber keine einzige Physik- oder Informatik-Lehrkraft dazu, weil die Kapazitäten hier in der Regel schon jetzt nicht ausgeschöpft werden."

Stattdessen müsse gerade dort, wo Mangel herrscht, beides attraktiver werden: das Lehramtsstudium, etwa durch eine bessere Beratung. Und der Lehrberuf - indem man zum Beispiel die Stundenlast verringert. Den akademischen Anspruch im Lehramtsstudium zu senken, hält Radisch dagegen für keine gute Idee. Thüringens Kultusminister Helmut Holter hatte vor Kurzem infrage gestellt, ob Lehrer zwingend einen universitären Abschluss bräuchten.

In den nächsten Jahren aber, da macht sich auch Radisch keine Illusionen, wird es in der Schule nicht ohne die gehen, die gar kein Lehramtsstudium absolviert haben: die Seiten- und Quereinsteiger.

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