Landtagswahl:Die dänischen Königsmacher von Harrislee

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Werbeflyer des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW) (Foto: dpa)

Der Minderheitenpartei SSW verdankt Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Albig sein Amt. In den Wahlkampfendspurt gehen die Deutsch-Dänen ganz entspannt - und mit einer klaren Koalitionsaussage.

Von Thomas Hahn, Harrislee

Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) empfängt in seiner Burg. Genauer gesagt in seiner Hochburg, denn so nennt Fraktionschef und Spitzenkandidat Lars Harms die Gemeinde Harrislee bei Flensburg am nördlichsten Ende Deutschlands. Auf 33,8 Prozent Zustimmung kam die Partei der dänischen Minderheit bei den jüngsten Kommunalwahlen in diesem Stück Schleswig-Holstein nahe der Grenze zum skandinavischen Nachbarn. "Die CDU hat hier nix zu melden", sagt Harms.

Deshalb ist Harrislees Dänische Schule an der Süderstraße der richtige Ort für diese Party kurz vor der Wahl zum Kieler Landtag am Sonntag, bei der es unter anderem darum geht, ob der SSW weiter an einer Regierung mit SPD und Grünen beteiligt sein darf.

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Allerdings schlägt das bedächtige Temperament der Nordländer doch sehr deutlich durch. Der Hof liegt friedlich im Dämmerlicht des frühen Abends. Vor dem Schuleingang stehen zwei Männer am Würstchengrill. Drinnen sitzen ungefähr zwanzig Leute vor einem blauen SSW-Paravent und lauschen aufmerksam den Reden. Die deutschen Dänen kämpfen in aller Ruhe um die Macht.

Der Südschleswigsche Wählerverband ist nur etwa 3600 Mitglieder stark und leicht zu übersehen, wenn man vom Rest der Republik auf das Bundesland zwischen den Meeren schaut. Aber auf seine stille Art ist der SSW über die Jahrzehnte ein Machtfaktor geworden in Schleswig-Holstein und damit das Symbol für eine moderne Minderheitenpolitik, die Mitspracherechte schafft, statt Menschen auszugrenzen.

Ohne den SSW hätte Torsten Albig (SPD) 2012 nicht mit Ein-Stimmen-Mehrheit Ministerpräsident werden können, denn eigentlich hatte er die Wahl mit 30,4 zu 30,8 Prozent gegen die CDU verloren. Und ohne den SSW hätten Sozialdemokraten und Grüne wohl nicht so harmonisch regieren können. "Die kann man nicht alleine lassen, die kriegen sich nur in die Haare", sagt Harms in seiner Wahlkampfrede. Aber auch die grüne Fraktionschefin Eka von Kalben verknüpft ihr Lob der Koalitionsarbeit mit dem Gedanken: "Vielleicht liegt es am dänisch geprägten Politikstil."

Nach der Barschel-Affäre gab es Morddrohungen

Die Geschichte des SSW erzählt von regionalem Stolz und Beharrlichkeit. Von den Chancen, die im Respekt vor den Minderheiten liegen, und von den Wendepunkten in der Landespolitik. Seit 1948 gibt es die Partei. Seit 1955 ist sie bei Landtagswahlen von der Fünf-Prozent-Hürde befreit und muss für den Einzug ins Kieler Parlament nur mindestens so viele Stimmen sammeln, wie für den letzten Sitz nötig sind. Jahrzehnte mit Anfeindungen folgten. 1987, als die Barschel-Affäre zeigte, wie unlauter der damalige CDU-Ministerpräsident Uwe Barschel seinen SPD-Widersacher Björn Engholm bekämpft hatte, brauchten CDU und FDP nach den Landtagswahlen plötzlich die Stimme des damals einzigen SSW-Parlamentariers Karl Otto Meyer. Meyer widerstand allen Avancen, verhinderte so eine schwarz-gelbe Mehrheit und machte den Weg frei für Neuwahlen, die Engholm schließlich gewann. Er bekam damals Morddrohungen.

Flemming Meyer, Karl Ottos Sohn, heute selbst SSW-Vorsitzender, erinnert sich: "Meine Mutter kriegte einen Briefumschlag nach Hause mit vier scharfen Patronen und einem Brief: Du kannst wählen, mit welcher wir deinen Mann erschießen."

Einschüchterungen von Rechtsaußen mussten auch die Abgeordneten Anke Spoorendonk und Lars Harms 2005 ertragen, als der SSW eine Minderheitsregierung unter der SPD-Frau Heide Simonis dulden wollte. Und als die Minderheitsregierung nicht zustande kam, weil jemand im Plenum Heide Simonis nicht zur Ministerpräsidentin wählte, war das für die SSW-Politiker eine Lehre. "Die Tolerierung einer Minderheitenregierung setzt ein echtes Vertrauensverhältnis voraus", erklärt Anke Spoorendonk, "nach der nicht stattgefundenen Simonis-Wahl konnten wir nicht davon ausgehen, dass dieses gegeben ist." Also beschlossen sie, bei der nächstbesten Gelegenheit aktiv mitzuregieren. Die kam nach der Landtagswahl 2012, bei welcher der SSW 4,6 Prozent und drei Sitze erreichte.

Der SSW hat seine ersten fünf Jahre als Regierungspartei hinter sich, und Anke Spoorendonk, 69, die in dieser Zeit das etwas zusammengeschusterte Ministerium für Justiz, Europa und Kultur leitete und nach der Wahl aufhört, sagt: "Es war die richtige Entscheidung." Ihre Partei hat sich gut aufgehoben gefühlt neben den großen Partnern. Die Nähe zu SPD und Grünen liegt sozusagen in der DNA des SSW: Seine skandinavische Prägung gibt ihm ein eher sozialliberales Profil. Als Vertretung des nordfriesischen Küstenlandes setzt er sich für Umweltschutz und die regionale Wirtschaft ein. Und weil der SSW als Minderheitenpartei deutsche Dänen und Friesen mit verschiedensten Haltungen vertritt, ist er es gewohnt, zu vermitteln.

"Das führt zu einer Konsenskultur", sagt Harms, "und die legen wir auch in die Waagschale bei der Regierungsarbeit." Eine Minderheit ist zum vergnügten Mitgestalter der Mehrheitsinteressen geworden - für den SSW war das Mitregieren so etwas wie ein später Sieg übers Establishment.

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CDU und FDP blicken etwas resigniert auf die Entwicklung. Vor den Wahlen 2012 löste die gelbschwarze Koalition in Schleswig heftige Proteste aus, weil sie den dänischen Schulen die Zuschüsse kürzte. 2012 beklagte die Junge Union vor dem Landesverfassungsgericht vergeblich, dass der SSW von der Fünf-Prozent-Hürde befreit ist. Seither scheint allen Anti-SSW-Kräften klar zu sein, dass gegen die Klientel dieser kleinen politischen Nord-Kraft nichts zu machen ist.

CDU-Chef Daniel Günther findet Justizministerin Spoorendonks Reform des Strafvollzugsgesetzes "völlig verkorkst" und weist darauf hin, dass "die wesentlichen minderheitenpolitischen Beschlüsse dieser Legislaturperiode fraktionsübergreifend beschlossen" wurden. Aber infrage stellen will er den SSW nicht. Er wirkt sogar ein bisschen enttäuscht, dass die Deutschdänen nur mit SPD und Grünen regieren wollen. "Das nehmen wir zur Kenntnis", sagt Günther.

Lars Harms ist ein begabter Redner. Er kann es im Parlament gut aufnehmen mit Ralf Stegner und Wolfgang Kubicki, den gewandten Lautsprechern von SPD und FDP. Und er wirkt sehr entspannt, auch jetzt, im Endspurt des Wahlkampfes. Hat das damit zu tun, dass er sich sicher fühlt in der beschaulichen SSW-Hochburg Harrislee zwischen Gitarrenmusik und Dänen-Schnack? Oder mit dem Umstand, dass er und seine Leute die Macht nicht um jeden Preis brauchen?

"Entweder Küstenkoalition oder Opposition", sagt Harms mit fester Stimme. Diese Botschaft ist ihm wichtig: Wie auch immer die Wahl ausgeht, die Konservativen kriegen den SSW nicht.

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