Flüchtlinge:Italien blickt nervös auf Lampedusa

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Verlassene Flüchtlingsboote in Lampedusa (Archivbild) (Foto: Fabrizio Villa/Getty Images)

Das Flüchtlingslager auf der Insel ist fast voll. Kommen weiter mehr Menschen aus Afrika, hätten Populisten und Postfaschisten ihr Thema wieder. Was das mit Putins Krieg zu tun hat.

Von Oliver Meiler, Rom

Lampedusa im Sommer, das ist der Gradmesser. Seit vielen Jahren schon schaut Italien zur Mitte des Jahres immer auf die kleine Insel, seinen südlichsten Außenposten, um sich gewahr zu werden, wie groß die Welle der Migration diesmal werden könnte. Dann ist die See auf der zentralen Mittelmeeroute öfters mal ruhig, und auf der anderen Seite, vor allem in den nahe gelegenen Ländern Libyen und Tunesien, machen sich Menschen auf nach Europa. Es kommt dann vor, dass Behelfsbarken mit müden Flüchtlingen in Lampedusa anlanden, während daneben an den Stränden Touristen in der Sonne baden. Die ganze Zerrissenheit in einem ikonischen Bild.

Die Zeitung La Stampa titelte nun diese Woche ganz groß: "Allarme Lampedusa". Noch aber ist es erst eine Vorahnung von dem, was passieren könnte, wenn die dramatischen Prognosen zu Hunger und Not in Afrika zu einer viel größeren Migrationsbewegung führen könnten. Der Hotspot von Lampedusa, wie man das Auffanglager nennt, ist zwar fast voll, aber normalerweise werden die Migranten bei Platznot nach Sizilien gebracht. Filippo Mannino, der neue Bürgermeister der Insel, sagte diese Woche, noch sei es nicht so schlimm: "Es ist auch nicht richtig, immer von einem Notstand zu sprechen, mit diesem Begriff verspottet man die Leute." Ziehe sich ein Notstand über viele Jahre hinweg, sei es kein Notstand mehr. In Europa müsse man sich endlich verbindlich darüber einigen, wie die Migranten, die in den südlichen Ländern der Union ankommen, in Zukunft schneller auf die Partnerstaaten verteilt würden.

Mannino ist 39 Jahre alt, ein Versicherungsmann, er ging mit einer Bürgerliste ins Rennen um das Amt des Bürgermeisters. Unterstützt wurde er dabei vom rechtsbürgerlichen Lager, also auch von der rechtspopulistischen Lega. Persönlich, sagte er, stehe er den Cinque Stelle nahe. Er werde jetzt gewissermaßen dafür sorgen, dass die erste Regierung von Premier Giuseppe Conte, "Conte I" von Juni 2018 bis August 2019, im Kleinen eine Neuauflage erfahren werde - auf Lampedusa. Das war natürlich als Scherz gemeint, doch die Erinnerung an die Zeit ist bei allen Italienern noch wach. Während des "Conte I", mit Matteo Salvini von der Lega als Innenminister, schloss Italien wochenlang seine Häfen im Süden, damit die Schiffe der privaten Seenotretter nicht anlegen konnten. Salvini steht dafür bis heute vor Gericht.

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Eine Kettenreaktion, beginnend mit Putins Kriegsführung

Würden die Migrationsströme nun wieder deutlich zunehmen, hätte die Lega ihr Paradethema wieder. Auch die Postfaschisten von den Fratelli d'Italia, in Umfragen neuerdings die stärkste Partei im Land, würden die Migration nur allzu gerne politisch bewirtschaften: Sie sind die einzige Opposition im Land. Im kommenden Jahr finden in Italien Parlamentswahlen statt. Und so muss man annehmen, dass Wladimir Putins Kriegsführung und die Blockade von Weizenlieferungen aus der Ukraine in einer Kettenreaktion auch die politischen Strömungen in Europa beeinflussen wird. Das dürfte ganz im Interesse des russischen Präsidenten sein.

Italiens Regierung warnt dann auch ständig. Premier Mario Draghi sagte vor einigen Tagen beim G-7-Gipfel auf Schloss Elmau, es müsse alles unternommen werden, damit die Populisten nicht wieder erstarken. Er meinte damit in erster Linie eine Eindämmung der Energiepreise, die den Bürgern zu schaffen machen, auch die sind eine Folge des Kriegs in der Ukraine. Innenministerin Luciana Lamorgese weitete den Blick auf die Welt und sprach von einer "sehr schweren humanitären Krise", die nun drohe. Man sehe das an den Zahlen ankommender Migranten: Besonders stark steigen offenbar jene von Menschen an, die aus Ländern stammen, die ihren Weizen aus der Ukraine beziehen: Bangladesch, Ägypten und Tunesien.

Fast täglich aktualisiert Lamorgeses Ministerium die Statistik, die Zahlen sind für alle einsehbar. Seit Beginn des Jahres sind bisher 27 633 Migrantinnen und Migranten in Italien angekommen. In demselben Zeitraum 2021 waren es 20 855 gewesen, im Jahr davor 7202. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2016 flüchteten 181 500 Menschen über das Meer nach Italien, die meisten von ihnen im Sommer, mit einem Stopp auf Lampedusa.

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