Kurden:Wer das Referendum ignoriert, wird die Probleme des Irak nicht lösen

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Kurdische Frauen fahren jubelnd durch Kirkuk (Bild vom 25. September 2017). (Foto: AFP)

Mit dem Unabhängigkeitsvotum haben die Kurden unmissverständlich ihren Willen kundgetan. Das wird nicht folgenlos bleiben. Die internationale Gemeinschaft darf nicht auf Zeit spielen.

Kommentar von Paul-Anton Krüger

Mehr als 92 Prozent der Menschen in den Kurdengebieten des Irak haben dafür gestimmt, einen unabhängigen Staat zu gründen. Sein Gebiet soll neben der von Bagdad anerkannten Autonomieregion auch jene Gegenden umfassen, die unter der Kontrolle der Peschmerga stehen. Die kurdischen Soldaten waren in die Bresche gesprungen, als die Armee im Sommer 2014 den Nordirak im Stich ließ und die Ausrüstung ganzer Divisionen der Terrormiliz Islamischer Staat kampflos in die Hände fiel. Die Kurden retteten Kirkuk und seine Ölfelder vor den Schergen des Kalifen. In viele Gebiete rückten sie freilich ein, ohne einen Schuss zu feuern.

Nun sollen diese Gegenden, die sie ohnehin beanspruchen, Teil eines eigenen Staates werden - seit Jahrzehnten der Traum der Kurden von der Türkei über Syrien bis Irak und Iran. Das Referendum ist nicht bindend, eine Unabhängigkeitserklärung wird es zunächst nicht nach sich ziehen. Aber es wird auch nicht folgenlos bleiben.

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Stabilisierung des Irak hängt von der Verständigung der Volksgruppen ab

Den Kurden ging es darum, der Welt unmissverständlich ihren Willen kundzutun. Präsident Massud Barzani holte sich ein Mandat für Verhandlungen, in denen er nun durchsetzen will, wofür vor dem Referendum niemand bereit war zu bürgen - eine Sezession vom Irak, an deren Ende ein unabhängiger Staat steht. Mit weniger kann er sich kaum noch zufrieden geben.

Barzani will dieses Ziel auch weiterhin in Gesprächen mit Bagdad erreichen, doch die Chancen dafür stehen schlecht. Im April soll im Irak gewählt werden. Präsident Haidar al-Abadi hat in Bagdad keine Hausmacht. Jedes Entgegenkommen könnte seine Wiederwahl gefährden. Sein Vorgänger Nuri al-Maliki arbeitet an einem politischen Comeback, seit Abadi ihn mit Unterstützung der USA und Irans aus dem Amt gedrängt hat. Seine einseitige Konfessions-Politik auf Seiten der Schiiten-Mehrheit hat den Irak in den Abgrund gestürzt und den Aufstieg des IS erst ermöglicht. Für den Westen ist es ein Schreckensszenario, wenn er an die Macht zurückkehren würde - oder noch radikalere Figuren aus den Reihen der von Iran gesteuerten Schiiten-Milizen künftig in Bagdad allein das Sagen haben. Sie sind schon jetzt äußerst mächtig.

Eine Stabilisierung des Irak und ein erfolgreicher Wiederaufbau hängen mindestens von einer Verständigung der Volks- und Religionsgruppen ab, wenn schon eine Aussöhnung kaum vorstellbar ist. Sonst ist es nur eine Frage der Zeit, bis eine neue sunnitische Aufstandsbewegung entsteht.

Die Kurden werden nicht so viel Geduld haben wie die Palästinenser

Die Kurden haben gute Gründe, Versprechungen aus Bagdad nicht mehr zu trauen. Zu oft sind sie nicht eingehalten worden. Sie haben verstanden, dass Bagdad, die wütenden Nachbarn Türkei und Iran und auch die internationale Gemeinschaft auf Zeit spielen wollen. Die Palästinenser verhandelten seit 40 Jahren über einen Staat, philosophieren manche Diplomaten. Die Kurden werden so viel Geduld nicht mehr aufbringen. Die internationale Gemeinschaft ist gut beraten, die Gemüter zu beruhigen und als Vermittler einen Verhandlungsprozess anzustoßen. Sonst wird es bald Krieg geben um die umstrittenen Gebiete, vor allem die Ölstadt Kirkuk.

Deutschland, auf beiden Seiten gut angesehen, kann sich hier einbringen. Als Ko-Vorsitzender der UN-Arbeitsgruppe für Stabilisierung im Irak ist Berlin sogar prädestiniert dafür. Ohne die Amerikaner wird es am Ende aber nicht gehen. Freilich besteht Washingtons Irak-Politik derzeit vor allem nur aus dem Sondergesandten Brett McGurk, der schon Obama diente. Es bedarf einer Menge Kreativität, sich Lösungen vorzustellen, mit denen alle leben können, einschließlich der Nachbarstaaten. Eine lose Staatenkonföderation würde die Einheit des Irak wahren, aber den Kurden noch mehr Staatlichkeit gewähren. Wer das Referendum ignoriert, wird die Probleme des Irak jedenfalls nicht lösen.

© SZ vom 29.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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