Kundgebungen:Chemnitz - eine Stadt zeigt zwei Gesichter

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  • An diesem Samstag demonstrieren tausende Menschen in Chemnitz gegen Rechts.
  • Die AfD hat gemeinsam mit der fremdenfeindlichen Pegida zu einem Schweigemarsch in Chemnitz aufgerufen.
  • Die Polizei geht von einer Teilnehmerzahl im unteren fünfstelligen Bereich aus.

Auf der einen Seite stand ein Bündnis, zu dem rund 70 Vereine, Organisationen und Parteien aufgerufen haben. Sie demonstrierten unter dem Motto "Herz statt Hetze" gegen Fremdenfeindlichkeit. Und auf der anderer Seite standen die Rechten und diejenigen, die dem Aufruf der rechten Bewegung "Pro Chemnitz" gefolgt sind. Sie demonstrieren Fremdenfeindlichkeit.

Zu der Demonstration gegen Rechts waren neben Bundes- und Landespolitikern auch die Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig erschienen. Sie sagte: "Von Sachsen und Chemnitz muss heute die klare Botschaft ausgehen: Wir werden mit allen Mitteln des Rechtsstaates den rechten Hetzern entgegentreten."

Die Polizei war dann auch mit einem Großaufgebot vor Ort und in der Stadt blieb es zunächst auch ruhig. Die AfD hatte gemeinsam mit der fremdenfeindlichen Pegida zu einem Schweigemarsch aufgerufen. Und rund eine halbe Stunde nach Beginn der Proteste von "Pro Chemnitz" beschlossen deren Teilnehmer überraschend, sich der Kundgebung von AfD und Pegida anzuschließen.

Kundgebungen
:Gesicht zeigen für ein anderes Chemnitz

Tausende Demonstranten setzen am Samstag ein Zeichen gegen Rechts - doch sie sind in der Unterzahl. Die Polizei ist mit einem Großaufgebot vor Ort, um erneute Ausschreitungen zu verhindern.

Unter "Wir sind das Volk"- und "Merkel muss weg"-Rufen machen sich die Teilnehmer auf den Weg zu dem anderen Versammlungsort. Die Polizei begleitete den Zug mit einem starken Aufgebot.

Dem Aufruf der Rechten sind offenbar ähnlich viele Menschen gefolgt

Das Signal am Ende dieses Samstags dürfte der Oberbürgermeisterin nicht gefallen: 3500 Menschen protestierten laut Behörden gegen die Rechten, doch die Rechten waren wieder einmal stärker - 4500 sollen es am Ende gewesen sein. Am vergangenen Montagabend waren noch 6000 Demonstranten aus dem eher rechten Spektrum, darunter gewaltbereite Neonazis und Hooligans, etwa 1500 Gegendemonstranten gegenübergestanden.

Unter den Demonstranten waren auch SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, der Linken-Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch, Ex-Grünen-Chef Cem Özdemir, Sachsens stellvertretender Ministerpräsident Martin Dulig sowie die ehemalige Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (beide SPD).

Bartsch verurteilte vor Beginn der Demonstration erneut die rechtsgerichteten Proteste in Chemnitz. Vor Journalisten bezeichnete er es als "übel", dass der Tod eines 35-jährigen Deutschen "so instrumentalisiert wird".

Özdemir sieht nun die schwarz-rote Koalition in Sachsen in der Pflicht. "Die Situation ist so ernst, das bekommen wir nicht gedreht, wenn die Landesregierung nicht ihren Job macht", sagte er am Rande der Demonstrationen. Die Versäumnisse der Vergangenheit müssten aufgearbeitet werden.

Unionsfraktionschef Volker Kauder fordert in der Welt am Sonntag einen härten Umgang mit der AfD. "Rechtsradikalismus wird aus einer Bundestagspartei heraus mehr oder weniger offen unterstützt. Das ist schon eine neue besorgniserregende Qualität", so der CDU-Politiker.

Die Politik müsse sich als Konsequenz deutlicher mit der AfD auseinandersetzen. "Der Rechtsradikalismus hat am vergangenen Wochenende wegen dieses Charakters der Ausschreitungen, aber vor allem auch durch die nachträgliche Billigung der Ereignisse durch AfD-Politiker, eine neue Dimension angenommen", so Kauder.

Nach der Tötung eines 35-jährigen Deutschen auf dem Chemnitzer Stadtfest war es in der Stadt am vergangenen Sonntag und Montag zu Ausschreitungen gekommen. Tausende Rechtsextreme zogen durch die Stadt - dabei wurden Migranten attackiert.

Offenbar Polizeipanne am Montag

An beiden Tagen hatte die Polizei die Teilnehmerzahl falsch eingeschätzt. Am Montag habe zudem eine Polizeipanne zur Unterbesetzung der Polizei geführt, berichtet die Welt am Sonntag. Demnach seien zwar von der Polizeidirektion Chemnitz zusätzliche Kräfte der Bundespolizei als Verstärkung angefordert worden. Zuständig für derartige Anforderungen wäre aber der Zeitung zufolge das Bundespolizeipräsidium in Potsdam und nicht die untergeordnete Dienststelle in Pirna gewesen, an die sich die Anfrage richtete. Dieser übliche Meldeweg sei "unverständlicherweise" nicht beschritten worden. Dabei hätten mehrere Hundertschaften nach Chemnitz beordert werden können, bei Bedarf auch mit Hubschraubern.

Mittlerweile sind auch mehr Hintergründe bekannt zu den Tatverdächtigen der Messerattacke auf dem Chemnitzer Stadtfest. Demnach hätte einer der beiden Männer im Mai 2016 nach Bulgarien abgeschoben werden können. Yousif A. war offenbar im Oktober 2015 über die Balkanroute nach Deutschland eingereist. Im April 2016 wurde sein Asylantrag abgelehnt, weil er zuvor bereits in Bulgarien einen entsprechenden Antrag gestellt hatte. Gegen diese Entscheidung klagte er. Am 13. Mai 2016 entschied das Verwaltungsgericht Chemnitz, dass seine Abschiebung zulässig wäre.

Der 22-jährige Iraker Yousif A. soll zusammen mit einem 23-jährigen Asylbewerber aus Syrien am vergangenen Sonntag einen 35-jährigen Mann bei einer Messerattacke getötet haben. Beide sitzen wegen des Verdachts auf gemeinschaftlichen Totschlag in Untersuchungshaft.

© SZ.de/dpa/dit - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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