Kulturkampf in Jerusalem:Die bisher einzige Regierungschefin

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Selbst die Politik scheint mittlerweile aufzuwachen. Für Gitzin tragen die Parlamentarier und Minister eine beträchtliche Mitschuld an der Misere, weil sie den Religiösen stets Tür und Tor geöffnet haben für immer neue Forderungen. Zwar sind Frauen in Israels Politik sogar teils prominenter vertreten als in vielen anderen Ländern. In Golda Meir hatte der jüdische Staat schon 1969 erstmals - allerdings auch zum einzigen Male - eine Regierungschefin.

Heute werden die beiden größten Oppositionsparteien von Frauen geführt, und auch am Obersten Gerichtshof präsidiert eine Richterin. Aber in der Regierung sind regelmäßig strengreligiöse Parteien als Koalitionspartner vertreten, die ihre Partikularinteressen rücksichtslos durchsetzen. So haben sie sich als Staat im Staate etabliert.

Doch nun wird die Gefahr für jeden sichtbar, dass die Verfechter der jüdischen Theokratie zur ernsthaften Bedrohung für die Demokratie werden. Premierminister Benjamin Netanjahu, der mit den Stimmen der ultraorthodoxen Schas-Partei regiert, hat deshalb nun im Parlament dem "Phänomen" der Geschlechtertrennung den Kampf angesagt. "Randgruppen dürfen nicht unsere gemeinsamen Werte angreifen", sagte er.

Überdies wurde auch in der Armee per Erlass klargestellt, dass bei Feierstunden keinesfalls aus Rücksicht auf die Religiösen auf Frauen verzichtet wird. Mickey Gitzin gibt all das wieder ein wenig Hoffnung. "Wir werden vielleicht noch weitere Schlachten verlieren", sagt er, "aber am Ende werden wir gewinnen."

Eine größere Bewegung

Eine dieser Schlachten wird gerade mitten in Jerusalem vor der hell erleuchteten Fensterfront der Kolben Dance Company geschlagen. Jahrelang waren hier die Vorhänge zugezogen bei den Proben. Nun aber ist der Blick freigegeben auf die Ballett-Tänzerinnen, und Elissa Shugar hält das für eine "großartige Idee".

Die junge Tänzerin stammt aus Kanada, seit anderthalb Jahren gehört sie zur Kolben Company, und oft schon hat sie sich gefragt, wie lange sie das wohl noch aushält. Mindestens einmal am Tag, so erzählt sie, sei dieser ultraorthodoxe Sittenwächter vorbeigekommen, um nachzuschauen, ob die Vorhänge schön blickdicht verschlossen sind. "Wenn nur ein Spalt offen war, hat er gegen das Fenster gehämmert, als ob er es einschlagen wollte", sagt sie, "das war schon ziemlich beängstigend." Doch dann haben sie die Angst überwunden und sich gewehrt.

Erst haben sie ein Video von dem Zeloten vor ihrem Fenster gemacht und auf YouTube gestellt. Dann haben sie die Vorhänge aufgezogen. "Das war schon eine große Show", meint Elissa Shugar. Natürlich kam sogleich der fromme Wächter und verlangte nach dem geschlossenen Vorhang. "Wir haben gesagt, der bleibt jetzt offen - und seitdem ist er nicht mehr gekommen", sagt sie und wundert sich selbst, denn auch die alte Angst ist plötzlich weg. "Seit wir alles aufgemacht haben, fühle ich mich viel weniger bedroht als früher", erklärt sie, "wir sind ja jetzt Teil einer größeren Bewegung."

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