Kulturkampf in Jerusalem:Der Weg der Taliban

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In Schwimmbädern, in Krankenhäusern, in Supermärkten - überall wird mitten im westlichen Hightech-Land Israel Geschlechtertrennung auf Taliban-Art praktiziert. Die Gerichte mögen das bis hin zum Obersten Gerichtshof immer wieder verbieten, die Politiker mögen mahnen, die Praxis aber beschränkt sich längst nicht mehr nur auf die Quartiere der Frommen.

Im Landesdurchschnitt stellen die Ultraorthodoxen neun Prozent der Bevölkerung, doch das ist nur ein Zwischenstand. Jedes dritte Kind wird heute in eine Haredim-Familie hineingeboren, und in Jerusalem machen die Frommen bereits ein Viertel der 800.000 Einwohner aus. Zur Folge hat das zum Beispiel, dass in der ganzen Stadt plötzlich jegliche Werbung mit Frauen von den öffentlichen Anzeigetafeln verschwand, nachdem die Werbeagenturen durch zähen und gezielten Vandalismus mürbe gemacht worden waren.

In Tel Aviv konnte man kürzlich auf einem Plakat des Bekleidungshauses Honigman das Modell Sandy Bar in ganzer Schönheit sehen, im 60 Kilometer entfernten Jerusalem war in der Werbung von der Dame nur noch ein Arm zu sehen, an dem eine Handtasche baumelt. So werden die Frauen unsichtbar gemacht in aller Öffentlichkeit. Und selbst in der Armee, also im Herzen der Nation, tobt inzwischen der Geschlechterkampf, seitdem national-religiöse Offiziersanwärter von ihren Rabbis dazu angehalten wurden, Zeremonien zu boykottieren, bei denen Frauen singen.

So dramatisch ist die Lage, dass sogar vom fernen Amerika aus die Außenministerin Hillary Clinton sich schon besorgt geäußert hat über die wachsende Diskriminierung von Frauen beim engsten aller Verbündeten. Doch langsam regt sich auch in Israel selbst der Widerstand der schweigenden Mehrheit - und das wird auch höchste Zeit, findet Mickey Gitzin.

"Wir verhandeln nicht"

Vor zwei Jahren hat er die Bewegung "Be Free Israel" ins Leben gerufen, deren Aktivisten die Fahne des säkularen Staates hochhalten wollen. "Ich habe keine Angst vor den Palästinensern und auch nicht vor Iran", sagt er. "Der wirkliche Kampf um die Zukunft Israels wird im Innern geführt."

30 Jahre ist er alt, und er lebt jetzt in Tel Aviv. Wie so viele andere hat er Jerusalem den Rücken gekehrt nach dem Studium. "Ich könnte dort zurzrit nicht leben", meint er, "wenn ich einen Kaffee trinken gehe, möchte ich mich zu Hause fühlen." Unter all den Frommen mit der schwarzen Kluft und den Schläfenlocken aber fühlte er sich als Fremder. Aufgeben will er die Stadt allerdings noch lange nicht. "Wir verhandeln nicht mit den Haredim über eine Zwei-Staaten-Lösung", sagt er. "Wir machen von jetzt an einfach auch einmal laut auf uns aufmerksam. Viel zu lange schon haben wir unsere liberalen Werte vergessen."

Leicht ist es gewiss nicht immer, daran zu erinnern. Als Mickey Gitzin mit Gleichgesinnten in Mea Schearim gegen die Geschlechtertrennung protestieren wollte, da wurden sie mit Steinen und gebrauchten Windeln beworfen. "Immerhin haben wir die Polizei provoziert, uns zu beschützen", sagt er - auch das verbucht er als Erfolg nach allzu langer Untätigkeit der Ordnungshüter. Zufrieden ist er auch mit einer von ihm organisierten Demonstration in Jerusalem, bei der neulich eine Frauenband aus populären israelischen Musikerinnen ganzkörperverhüllt zum Gesang antrat. Bei einer anderen Aktion ließen sich Frauen für Protestplakate, die überall in Jerusalem aufgehängt wurden, unter dem Motto "unzensiert" fotografieren.

Und Schlagzeilen machte in dieser Woche eine junge Frau namens Tanja Rosenblit, die im Bus von Aschdod nach Jerusalem einem Ultraorthodoxen die Stirn bot und sich weigerte, hinten im Bus Platz zu nehmen. Die Medien vergleichen sie nun gern mit Rosa Parks, jener Afroamerikanerin, die anno 1955 in Alabama in einem Bus gegen die Rassendiskriminierung aufbegehrte.

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