Die Kirchen und die Ukraine:Selenskij fordert klare Worte vom Papst

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Präsident Wolodimir Selenskij trifft 2023 im Vatikan Franziskus. Nun ruft der Papst die Ukraine zu Verhandlungen auf. (Foto: Vatican Media/DPA)

Der Papst will vermitteln, aber der ukrainische Präsident hält im Vatikan dagegen: "Opfer und Aggressor können nicht gleichgesetzt werden". Evangelische, anglikanische und orthodoxe Kirchen waren auf Friedensmission in der Ukraine.

Von Marc Beise und Annette Zoch, Rom, München

Bei einem Besuch im Vatikan hat der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij den Papst zur klaren Unterstützung gegen Russland aufgefordert. Franziskus solle Russlands Verbrechen im Angriffskrieg gegen die Ukraine verurteilen, zitierte Selenskij sich selbst nach einer mit rund 40 Minuten ungewöhnlich langen Audienz beim Oberhaupt der katholischen Kirche. Zuvor war Selenskij erst vom italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella und von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni empfangen worden und hatte von beiden massive Unterstützung zugesichert bekommen. "Wir werden das nicht vergessen", zeigte sich der ukrainische Präsident demonstrativ dankbar.

Beim Treffen mit dem Papst dagegen waren unterschiedliche Positionen erkennbar, schon bei den Äußerlichkeiten. Selenskij war auch bei diesem Treffen mit der üblichen Militärhose und Sweatshirt gekleidet. Er überreichte dem Papst eine Marien-Ikone, die auf einer teilweise zerstörten, gepanzerten Armee-Weste gemalt war. Der Papst hatte als offizielles Geschenk einen bronzenen Olivenzweig als Symbol des Friedens gewählt.

Im Gespräch betonte Franziskus nach Auskunft des vatikanischen Pressesamtes die "humanitäre und politische Situation" im Zusammenhang mit dem andauernden Krieg und erinnerte an seine "unablässigen Gebete für den Frieden". Er unterstrich insbesondere die Notwendigkeit von "Gesten der Menschlichkeit" gegenüber den Schwächsten und den unschuldigen Opfern des Konflikts.

Diese Wortwahl liegt auf der eher vorsichtigen Linie, die der Papst seit langem vertritt. Zwar hat er zuletzt das Leid der Ukrainer als der überfallenen Nation stärker in den Vordergrund gestellt. Er achtet aber darauf, anders als die meisten westlichen Politiker, Putin nicht direkt anzugreifen - er will weiter in der Lage sein, gegebenenfalls als ehrlicher Makler vermitteln zu können. "Ich schließe den Kontakt mit niemandem aus, auch nicht mit dem Aggressor. Manchmal stinkt der Dialog, aber er muss geführt werden", wurde der Papst zuletzt zitiert. "Denn sonst verschließen wir die einzige vernünftige Tür zum Frieden."

Selenskij dagegen schrieb nach dem Treffen auf Telegram, er habe darum gebeten, "die russischen Verbrechen in der Ukraine zu verurteilen. Opfer und Aggressor können nicht gleichgesetzt werden." Am Samstagabend legte er in einer Talkrunde des italienischen Fernsehens nach: "Bei allem Respekt für den Papst: Wir brauchen keine Vermittler zwischen der Ukraine und dem Aggressor, der unsere Gebiete besetzt hat, sondern einen Aktionsplan für einen gerechten Frieden in der Ukraine", sagte er auf die Frage nach einer Vermittlerrolle des Papstes. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass man mit Russlands Präsident Wladimir Putin nicht vermitteln könne. "Kein Land der Welt kann das tun", fügte Selenskyj hinzu. Auf die Frage, ob er derzeit überhaupt mit Putin reden würde, antwortete er: "Nein, worüber sollten wir denn reden?"

Er betonte, dass ein möglicher Friedensplan den ukrainischen Vorstellungen entsprechen müsse. Darin werden die Wiederherstellung der territorialen Integrität, der Abzug der russischen Truppen und die Einstellung der Feindseligkeiten sowie die Wiederherstellung der ukrainischen Staatsgrenzen gefordert. Man sei allerdings sehr daran interessiert, den Vatikan in eine Friedensformel einzubeziehen, sagte Selenskij. Der Papst habe angeboten, sich an der Umsetzung zu beteiligen.

Aus ukrainischer Sicht war die Positionierung des Papstes häufiger Anlass für Kritik

Im April hatte der Papst im Flugzeug auf der Rückreise aus Ungarn vage von einer Friedensinitiative berichtet, die hinter den Kulissen im Gange sei, das wurde von der russischer Kirche postwendend dementiert. Der Besuch Selenskijs und alles, was sich drumherum im Verborgenen abspielt, könnte die Dinge jetzt voranbringen. Der Vatikan wäre als Vermittler prädestiniert, er pflegt ein umfassendes Netzwerk rund um die Welt. Franziskus fände bei Bedarf auch jederzeit das Ohr von US-Präsident Joe Biden, dem zweiten bekennenden Katholiken im Weißen Haus nach John F. Kennedy.

Aus ukrainischer Sicht war die vermittelnde Positionierung des Papstes häufiger Anlass für Kritik. Franziskus war eine zu sanfte Haltung gegenüber dem Aggressor Russland vorgeworfen worden. Einer Einladung nach Kiew ist er bislang ebenfalls nicht gefolgt. Der US-Jesuitenzeitung America Magazin hatte Franziskus gesagt: "Wenn ich reise, geht es nach Moskau und Kiew, also beide Orte, nicht nur an einen". Gleichwohl kann die römisch-katholische Kirche eine rege Besuchstätigkeit in die Ukraine vorweisen, bereits fünf Mal war - im Auftrag von Franziskus - der Päpstliche Sozialbeauftragte Kardinal Konrad Krajewski in dem kriegsgeschüttelten Land. Auch aus zahlreichen Ortskirchen gab es Besuch, die Deutsche Bischofskonferenz schickte vergangenen Juni den Augsburger Bischof Bertram Meier.

In dieser Woche war außerdem eine Delegation des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) unter Vorsitz des Generalsekretärs Jerry Pillay in der Ukraine, mit dabei: der bayerische evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, zugleich Vorsitzender des ÖRK-Zentralausschusses. In der Organisation mit Sitz in Genf sind 352 evangelische, anglikanische und orthodoxe Kirchen mit insgesamt 580 Millionen Gläubigen zusammengefasst - auch das russisch-orthodoxe Moskauer Patriarchat ist Mitglied im ÖRK.

Denn da wäre auch noch die religiöse Dimension dieses Krieges: Moskaus Patriarch Kyrill I. unterstützt Russlands Präsident Wladimir Putin und den russischen Überfall auf die Ukraine bedingungslos. Mehr noch: Er deutet den Krieg theologisch und erklärte ihn zu einem "metaphysischen Kampf des Guten gegen das Böse". Im September 2022 verglich Kyrill den Tod russischer Soldaten im Kampf sogar mit dem Opfertod Jesu und versicherte ihnen, dass ihnen im Falle ihres Todes alle Sünden vergeben seien.

In der Ukraine hat der Krieg bereits bestehende religiöse Spannungen und Spaltungen zwischen den orthodoxen Kirchen weiter verschärft. Im Land gibt es konkurrierende orthodoxe Kirchen - die Orthodoxe Kirche der Ukraine (OKU) und die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche (UOK), die dem Moskauer Patriarchat unterstand, sich aber nach Kriegsbeginn von ihm losgesagt hat. Wie ernst gemeint diese Distanzierung war, ist in der Ukraine allerdings umstritten und bis heute wird die Kirche skeptisch beäugt. Das ukrainische Kulturministerium kündigte im März den Nutzungsvertrag der UOK mit ihrem Hauptheiligtum, dem Kiewer Höhlenkloster, seither wird darüber vor Gericht gestritten.

Eben jenes Höhlenkloster besuchten Bedford-Strohm und die ÖRK-Delegation auf seiner Reise, am Samstagabend kehrte er zurück. "Bei den Gesprächen mit der Ukrainisch Orthodoxen Kirche haben wir auch gefragt: Wie ernst meint ihr das mit der Distanzierung von Moskau? In den Gesprächen uns gegenüber wurde eine ganz klare Ablehnung dieser russischen Invasion deutlich", sagte Bedford-Strohm der SZ am Samstag kurz vor seiner Rückreise am Telefon. Die Delegation habe auch mit dem ukrainischen Minister für Kultur gesprochen, dieser habe versichert, "dass er die Mönche der Ukrainisch Orthodoxen Kirche nicht gewaltsam herausjagen will".

Die Gespräche mit beiden orthodoxen Kirchen hätten sich sehr gelohnt, sagte Bedford-Strohm. "Es war wichtig, dass eine Organisation von Gewicht wie der ÖRK mit dem Blick von außen hinzukommt. Wir sind eine Weltorganisation, auf die beide Seiten hören. Wir planen deshalb einen runden Tisch mit der Ukrainisch Orthodoxen Kirche und der Orthodoxen Kirche der Ukraine, der Ende September, Anfang Oktober stattfinden soll." Beide Kirchen hätten Dialogbereitschaft signalisiert. Der ÖRK-Generalsekretär Jerry Pillay wolle außerdem kommende Woche nach Moskau fahren.

"Ich mache mir keine Illusionen, dass wir Entscheidendes für den Frieden bewirken können", sagte Bedford-Strohm. "Aber wenn wir unsere Grundlage ernst nehmen, nämlich Jesus Christus, dann können wir etwas bewirken. Unser Erfolg liegt in Gottes Hand." Aus diesen Sätzen spricht, was viele religiöse Vertreter ungeachtet ihrer Konfession im Angesicht des Krieges eint: Politisch sind sie vielleicht weitgehend machtlos, aus christlicher Verantwortung aber wollen und müssen sie sich für den Frieden einsetzen.

Gerade in der evangelischen Kirche wird derzeit kontrovers um Waffenlieferungen diskutiert und um die Frage, wie diese mit dem christlichen Tötungsverbot zusammenpassen. Bedford-Strohm berichtete von seinem Besuch in Butscha, einem Vorort von Kiew, dieser sei "sehr bewegend" gewesen. Er habe an dem ehemaligen Massengrab gestanden, im dem 119 Menschen begraben waren. Er habe mit dem Priester gesprochen, der die Gräueltaten mit erlebt habe. "Das ist alles in seiner Gemeinde passiert. Und dann macht man sich klar, die russischen Truppen waren hier, in diesem Vorort von Kiew."

In der Nacht im Hotel in Kiew sei er per App vor Raketenbeschuss gewarnt worden, doch die Menschen seien damit relativ gelassen umgegangen. "Dass man sich heute in Kiew wieder vergleichsweise sicher fühlt, das liegt an den Flugabwehrraketen", so der bayerische Landesbischof. "Man ist direkt damit konfrontiert, dass es eben nicht so einfach ist, sich kategorisch gegen Waffenlieferungen auszusprechen. Die Abwehrraketen schützen die Menschen in Kiew."

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Text: Sebastian Gierke, Visualisierung: Julian Hosse

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