Korsika:Macron verspricht den Korsen Autonomie

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"Ich zähle auf euch, ihr könnt auf mich zählen", sagte Macron den korsischen Abgeordneten und der Parlamentspräsidentin Marie-Antoinette Maupertuis (li.). (Foto: Pascal Pochard-Casabianca/AFP)

In einer historischen Rede im korsischen Regionalparlament stellt Frankreichs Präsident der Insel einen eigenen Verfassungsartikel in Aussicht - und mehr Macht.

Von Oliver Meiler, Paris

In der politisch bewegten Geschichte Korsikas, in Frankreich auch unter der lieblichen Bezeichnung "Île de beauté" bekannt, Insel der Schönheit, beginnt ein neues Kapitel. In einer Rede an das Regionalparlament der Korsen sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, es sei Zeit, dass man den Mut aufbringe, "eine Autonomie Korsikas innerhalb der Republik" zu schaffen. "Das wird keine Autonomie gegen den Staat sein, keine Autonomie ohne den Staat, sondern eine Autonomie für die Korsen und im Rahmen der Republik", sagte er. Innerhalb dieser Leitplanken aber sollen die korsischen Behörden und das korsische Parlament eigene Kompetenzen erhalten dürfen. Wie weit diese Befugnisse exekutiv und gesetzgeberisch tatsächlich gehen würden, ist noch unklar.

Macron erwartet binnen sechs Monaten einen Vorschlag, der dann als Basis für eine mögliche Verfassungsänderung dienen soll. Er sei auch bereit, die "Einzigartigkeit" der Insel, ihrer Bewohner, ihrer Sprache und Kultur in seine Verfassungsreform aufzunehmen. Diese Anerkennung der kulturellen "Singularité", wie die Franzosen sagen, war den korsischen Nationalisten besonders wichtig - sie ist gewissermaßen der Boden all ihrer Forderungen. Frankreich ist ja ein außerordentlich zentralistisch organisiertes Staatsgebilde, da gehen die Einzigartigkeiten oftmals unter.

Der Tod des Mörders Yvan Colonna brachte den Prozess in Gang

Seit 2015 regieren moderate Nationalisten die Insel. Im Gegensatz zu den alten Kämpfern des Front de libération nationale corse, kurz FLNC, die in der Vergangenheit auch mit Gewalt eine politische Unabhängigkeit der Insel angestrebt haben, geben sich die gemäßigteren Nationalisten um ihren Chef Gilles Simeoni, den Präsidenten der korsischen Regionalverwaltung, mit einer Autonomie zufrieden. Im vergangenen Juli hatte die Assemblée de Corse einen Vorschlag für einen Autonomiestatus ausgearbeitet, der von allen Mitgliedern des Parlaments befürwortet wurde - außer von den Republikanern, die sich traditionell dagegen stemmen, den Zentralismus aufzuweichen. So schickten die Korsen am Ende zwei unterschiedliche Texte nach Paris.

Der Prozess, der nun zu diesem historischen Moment führte, wie Macron ihn nannte, begann in den Wirren vor eineinhalb Jahren. Im März 2022 gab es in Bastia Aufstände mit vielen Verletzten, die Polizei bekam die Situation nur mit viel Mühe unter Kontrolle. Ausgelöst hatte das Chaos der kontroverse Tod von Yvan Colonna. Der Schafhirte war eine berühmte Figur der korsischen Unabhängigkeitskämpfer, eine Ikone der Unbeugsamen, ein Maximalist. 1998 hatte er den damaligen Präfekten auf der Insel, Claude Érignac, ermordet und wurde dafür zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt, die er zuletzt im Gefängnis von Arles absaß. Ein Mithäftling griff ihn an, als er sich im Sportraum aufhielt, und würgte ihn minutenlang. Colonna wurde in ein Krankenhaus von Marseille gebracht, wo er drei Wochen später starb.

Die rote Linie für Paris: Korsika bleibt Teil der französischen Republik

Die Hintergründe der tödlichen Aggression blieben schleierhaft. Den Anhängern von Colonna gereichten die Fragen, die man sich zum Tod stellte, zum Anlass, gegen den Zentralstaat zu protestieren. Die Kundgebungen arteten aus. Die Regierung schickte Innenminister Gérald Darmanin auf die Insel, und der stellte nach Absprache mit Macron den Korsen eine Veränderung des institutionellen Status der Insel in Aussicht, um die Gemüter zu besänftigen - "bis hin zu einer Autonomie" würde man gehen, sagte er damals.

Danach trafen sich die Nationalisten alle sechs Wochen mit Unterhändlern der Regierung in Paris, um an den Konturen einer Autonomie zu arbeiten. Gestritten hat man sich offenbar zum Beispiel über die Frage, was mit den "politischen Häftlingen" passiert, wie die Korsen ihre inhaftierten Unabhängigkeitskämpfer nennen. Für Paris gab es vor allem eine rote Linie, die nicht überschritten werden durfte: Es soll auch in Zukunft nicht zwei Kategorien von Bürgern geben dürfen in Frankreich. Und, natürlich: Korsika bleibt ganz Teil der französischen Republik. Vom Inhalt der Verhandlungen drang jedoch nicht viel an die Öffentlichkeit.

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Was am Ende des Prozesses auch herauskommen wird, es muss dem Parlament vorgelegt werden. Bei Verfassungsänderungen hat der französische Senat ein Vetorecht. Und dieser Senat wird von der Rechten beherrscht. Geht ihnen die vorgeschlagene Autonomie für die Korsen zu weit, droht dem Vorhaben ein brüskes Ende. Macron hat aber auch in der Assemblée Nationale keine absolute Mehrheit. Er muss sich dort auf die Linke stützen können, um sein Versprechen zu halten. Seine Rede vor den korsischen Abgeordneten schloss der Präsident mit den Worten: "Ich zähle auf euch, ihr könnt auf mich zählen."

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