Wirtschaft:Der Herrenslip als Krisensignal

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Bei guter Pflege halten Unterhosen viele Jahre, und das müssen sie auch. Denn nicht in jeder Lebenslage sind Männer dazu bereit, für neue Wäsche Geld auszugeben. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Was Schlüpfer-Verkaufszahlen über die Konjunktur verraten.

Von Claus Hulverscheidt

Unter den vielen Beweismitteln, auf die sich Konjunkturforscher bei ihrer Arbeit stützen, führt die Herrenunterhose heute ein eher trauriges Schattendasein. Das ist insofern erstaunlich, als der Schlüpfer lange Zeit einem Mann als Orientierungshilfe diente, der als wahrer Weltökonom, ja Prophet galt: der einstige US-Notenbankchef Alan Greenspan. Er war der Ansicht, dass der Unterhosenabsatz unabhängig vom Auf und Ab des Wirtschaftslebens konstant bleibt - es sei denn, die Herren halten die eigenen finanziellen Perspektiven plötzlich in großer Zahl für so düster, dass sie frei nach dem Motto "Sieht eh keiner" damit beginnen, an der Unterleibsbedeckung zu sparen. Dann, so Greenspan, stehe tatsächlich eine Rezession vor der Tür. Aus dem gleichen Grund verfolgte der kauzige Herr des Geldes auch den Absatz von Gipskartonplatten ganz genau.

Nun hat die Geschichte den Schönheitsfehler, dass Greenspans Wäscheschrank-und Baumarkt-Exegese just in dem Moment unterblieb, als man sie am dringendsten gebraucht hätte: vor Beginn der großen Bankenkrise 2008. Ja, mehr noch, der heute 96-Jährige gilt mittlerweile sogar als einer der Krisenverursacher, denn er trug mit zu niedrigen Leitzinsen zur Entstehung einer riesigen Spekulationsblase am Immobilienmarkt bei.

Das heißt aber noch nicht, dass seine hemdsärmelige Art der Konjunkturforschung nun grundlegend falsch gewesen wäre. Im Gegenteil, manch persönliches Erlebnis hinterlässt auch bei heutigen Notenbankern mehr Eindruck als alle Debatten über inverse Zinsstrukturkurven. So berichtete Christopher Waller, einer der Nachfolger Greenspans im Zentralbankvorstand, dieser Tage, es gelinge ihm einfach nicht, in Washington ein Haus zu kaufen, der Immobilienmarkt sei - erneut - "glühend heiß gelaufen". Dabei verdient Waller mehr als 200 000 Dollar im Jahr.

Herrenslips, Hauspreise, Gipskartonplatten: Schon immer haben Manager, Notenbanker, Politiker und Börsianer nach Fingerzeigen gesucht, die Aufschluss darüber geben, wie sich die Konjunktur wohl entwickeln wird. Manche etwa glauben, dass steigende Nutzerzahlen von Dating-Portalen auf eine Krise hindeuten: Wer arbeitslos ist oder Angst hat, es zu werden, so der Gedanke, hat mehr Zeit für und Bedarf nach Zweisamkeit. Leonard Lauder, Sohn der Kosmetik-Ikone Estée Lauder, schuf den "Lippenstift-Index", der besagt, dass der Lipgloss-Absatz zu Rezessionsbeginn steigt, weil Frauen auf teurere Schminkprodukte verzichten, dafür aber mehr günstigen Lippenstift auflegen.

Der Banker Andrew Lawrence glaubte gar, dass sich die Rezessionsgefahr an der Höhe neuer Wolkenkratzer ablesen lässt. Die Idee: Ein Höhenrausch am Bau ist das untrügliche Anzeichen einer Billigkredit- und Spekulationsphase - auf die fast immer ein wirtschaftlicher Absturz folgt. Tatsächlich wurden die höchsten Gebäude ihrer Zeit nicht selten genau dann fertig, wenn ein Land oder gar die Welt in die Rezession stürzte: das Empire State Building 1930, das World Trade Center 1973, das Burj Khalifa in Dubai 2009. Übrigens: Der Unterhosenabsatz in den USA ging zu Beginn der Weltfinanzkrise tatsächlich zurück. Ob es an der bevorstehenden Rezession lag oder doch eher daran, dass Männer vielleicht Ferkel sind, ist aber ungeklärt.

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