Kongo:Das Erbe des Blut-Königs

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Im belgischen Gent wurde am Dienstag eine beschmierte Büste von König Leopold II. vom Sockel genommen. Es ist nicht die erste. Die Kritik an dem früheren Monarchen, der die Menschen im Kongo um die Wende zum 20. Jahrhundert als Sklaven auspresste, wird immer lauter in Belgien. Nur Stunden zuvor hatte der amtierende König Philippe sein „tiefstes Bedauern“ für die Taten seines Landes zum Ausdruck gebracht. (Foto: AP)

In Belgien werden Statuen von König Leopold II. abgebaut. Im Kongo hingegen - eine Region, die schwer gelitten hat unter dem Kolonialherrscher - bleibt sein Abbild unbehelligt stehen. Aktuelle Kämpfe um Ressourcen beherrschen das Land.

Von Karoline Meta Beisel, Brüssel, und Bernd Dörries, Kapstadt

Man sieht Leopold II. nicht unbedingt an, dass er vor zehn Jahren noch einmal grundlegend renoviert wurde. Teile seines Bartes driften sehr ins Grünliche, auch sein Pferd hat eine eher ungesunde Farbe. Im Jahr 2010 hatte es die UN-Mission in der Demokratischen Republik Kongo für eine gute Idee gehalten, den belgischen König ein wenig aufzufrischen, der Statue des Massenmörders einen Frühjahrsputz zu gönnen.

Fast ein wenig trotzig sehen sie aus, Pferd und Reiter hoch oben in einem Park über Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo. Stehen dort unbehelligt, während in der ganzen Welt die Statuen und Gedenktafeln von Kolonialisten vom Sockel fallen, während in Belgien selbst viele Büsten und Denkmäler von Leopold II. zurückgebaut werden.

Es ist eine Entwicklung, die sich völlig abgekoppelt vom heutigen Kongo abspielt, dem Ort des Schreckens, den Leopold II. zwischen 1885 und 1908 zu seiner persönlichen Kolonie machte. In der Zeit wurde die Bevölkerung auf zehn Millionen halbiert; Plantagenarbeitern wurden Arme und Beine abgehackt, wenn sie nicht spurten. Dennoch sitzt der bronzene König auf seinem Pferd und schaut über Kinshasa, und kaum jemanden scheint es zu stören. Nicht mal zum 60. Jubiläum der Unabhängigkeit am Dienstag wurden Ross und Reiter genannt, geschweige denn als unerwünscht erklärt, während im belgischen Gent ein weiterer Leopold abmontiert wurde.

"Das ist eine belgische Angelegenheit, die uns nicht betrifft", sagt der Historiker

"Wenn sie in Belgien glauben, dass sie die Monumente zerstören müssen, nehmen wir das zur Kenntnis, (...) das ist aber eine belgische Angelegenheit, die uns nicht betrifft", sagt Isidore Ndaywel, einer der bekanntesten Historiker im Kongo. "Wir haben unsere eigenen Prioritäten im Moment." Die bestehen für Millionen Kongolesen jeden Tag darin, genug zum Essen zu verdienen. Die Unabhängigkeitsfeiern wurden abgesagt, um das Geld dem medizinischen Personal zu geben, das gerade Ebola besiegt hat und sich nun der Schlacht gegen Corona zuwendet. Ein anderer Teil des eingesparten Geldes gehe an die Soldaten, die im Osten des Landes versuchen sollen, so etwas wie Ordnung herzustellen. Was scheren die Leute da die Statuen im Park.

"Für uns reflektiert die Statue von Leopold eine Geschichte, eine Erinnerung. Sie ist eine Referenz für unsere Kinder", sagte Jose Batekele, der Direktor des Nationalmuseums, der Nachrichtenagentur AFP. Was denn die Geschichte ist, was die Referenz sein soll, sagte er nicht. Hinter seinem Museum lag viele Jahre lang die Statue von Henry Morton Stanley, der für den belgischen König den Kongo-Fluss erforschte, das Tor öffnete für die Ausbeutung. Seine Bronzestatue lag ein paar Meter hinter dem Museum, so als wüsste man nicht so recht, wohin mit der Geschichte. Drinnen konnte man traditionelle Masken bestaunen, Unverfängliches.

Vielleicht hat man im Kongo manchmal auch einfach keine Lust mehr auf Dekolonialisierung, zumindest so eine, die nur an der Oberfläche kratzt, die ein paar Statuen umwirft und Straßen neu benennt. Hatte man ja alle schon mal. Als sich fünf Jahre nach der Unabhängigkeit Joseph-Désiré Mobutu an die Macht putschte, änderte er seinen französischen Namen in Mobutu Sese Seko und den des ganzen Landes in Zaïre. Er trug eine Leopardenfellmütze und sprach von afrikanischer "authenticité". Die sah dann so aus, dass er wie zuvor die Belgier das Land ausplünderte, sich einen riesigen Palast in den Dschungel bauen ließ und eine Landebahn für die Concorde. Für die meisten normalen Kongolesen änderte sich wenig bis nichts.

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Dabei ist es letztlich bis heute geblieben. Eine kleine Elite bereichert sich mit tatkräftiger Unterstützung internationaler Konzerne an den Bodenschätzen des Landes: Tantal und Wolfram für Handys, Kobalt für Elektro-Autobatterien. Ohne den Kongo läuft fast nichts. Nur für den Kongo läuft es schlecht, weil sich seit der Kolonialzeit an der Form der Ausbeutung wenig geändert hat. Die taz berichtete von einem Unternehmen namens AJN Resources, das seinen Hauptsitz in Kanada hat, an den Börsen von Frankfurt und Toronto gelistet wird - und das sich gerade unter dubiosen Umständen 13 Lizenzen gesichert habe, um auf 3801 Quadratkilometern Gold schürfen zu dürfen, mit einem geschätzten Wert von neun Milliarden Dollar. Dagegen regt sich viel Widerstand im Kongo, die Zivilgesellschaft protestiert.

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Es ist ein Protest, der die Bilderstürmer in Europa noch nicht wirklich erreicht hat. Die aber zumindest eines erreicht haben: eine Art schriftliche Zerknirschtheit des belgischen Königshauses, das sich bis heute nicht entschuldigt hat für die Verbrechen im Kongo. Nun schickte König Philippe dem kongolesischen Präsidenten Félix Tshisekedi zum 60. Jahrestag einen Brief mit dem "tiefsten Bedauern" über die Wunden der Vergangenheit: Damals seien "gewalttätige und grausame Taten begangen worden, die bis heute auf unserem gemeinsamen Gedächtnis" lasten.

Nach einer echten Entschuldigung klingt das nicht, aber für das belgische Königshaus ist schon dieses Bekenntnis ein großer Schritt: Lange hatte man sich in Belgien nur zögerlich mit der Vergangenheit auseinandergesetzt. Die Proteste nach dem Tod von George Floyd in den Vereinigten Staaten haben aber auch in Belgien eine Debatte ausgelöst über rassistische Strukturen in der Gesellschaft, und darüber, was die Kolonialgeschichte damit zu tun haben könnte. Erst vor zwei Wochen hat das Parlament beschlossen, eine Expertenkommission einzusetzen, um die Kolonialzeit aufzuarbeiten. Er unterstütze diese Anstrengungen, schreibt der König in seinem Brief: "Ich werde mich weiterhin gegen jede Form von Rassismus einsetzen."

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes wurde das französische Wort référence nicht mit dem korrekten Begriff Referenz übersetzt, sondern als Reverenz, das eine andere Bedeutung hat. Wir bitten um Entschuldigung für den Fehler und dadurch entstandene Fehlinterpretationen des Zitats.

© SZ vom 01.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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