Geschichte wiederholt sich nicht, heißt es. Und doch gleichen sich die Bilder: Hochgerüstete Kämpfer ohne Hoheitszeichen stürmen öffentliche Gebäude. Sie hissen die russische Flagge. Außer einem Referendum, einer Volksabstimmung über die Unabhängigkeit der Region, stellen sie keine konkreten Forderungen. So geschehen am Wochenende in Städten der Donbass-Region wie Slawjansk und Kramatorsk im Osten der Ukraine. Die Ähnlichkeit zur Übernahme der ukrainischen Halbinsel Krim durch russische Separatisten ist frappierend. Wieder scheint es, als hätte die Übergangsregierung in Kiew, als hätte der Westen wenig entgegenzusetzen. Und doch gibt es große Unterschiede.
Will Russland einen weiteren Teil der Ukraine abspalten?
Zumindest der Westen ist sich da sicher und protestiert: Die Geschehnisse auf der Krim dürften sich nicht im Osten der Ukraine wiederholen, mahnt Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. "Das erneute Auftauchen von Männern mit speziellen russischen Waffen und identischen Uniformen ohne Abzeichen, wie sie während Russlands illegaler Besitzergreifung der Krim getragen wurden, ist eine sehr ernste Entwicklung", erklärte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. Der schwedische Außenminister Carl Bildt geht noch weiter, er schreibt auf Twitter: "Das wäre ohne Russland nicht passiert."
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Vor allem die identischen Sturmgewehre und Uniformen der prorussischen Kämpfer lassen Bildt vermuten, dass eindeutig Moskau hinter der Besetzung öffentlicher Gebäude steckt.
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Ähnliche Vorwürfe waren schon bei der Besetzung der Krim laut geworden. Westliche Journalisten wollen Ähnlichkeiten der Separatisten dort mit den Kämpfern in Slawjansk oder Kramatorsk ausgemacht haben:
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Russland bestreitet jedoch, mit den Vorgängen etwas zu tun zu haben. Bei den Angreifern handle es sich um "Bewohner des Südostens", die von der Politik Kiews "zur Verzweiflung getrieben" worden seien, sagt Außenminister Sergej Lawrow. Seine Kritiker sehen auch darin eine Parallele: Als die Krim besetzt wurde, sprach Lawrow von besorgten Bürgern, die öffentliche Gebäude und Kasernen besetzt hätten. Gegenüber westlichen Journalisten gaben sich diese aber durchaus als russische Soldaten zu erkennen.
Was die Donbass-Region von der Krim unterscheidet
Die Angliederung der Halbinsel an Russland war für Moskau aus mehreren Gründen relativ leicht zu bewerkstelligen: In Sewastopol, der größten Stadt auf der Krim, ist seit jeher die russische Schwarzmeerflotte stationiert, die militärische Präsenz war also gesichert. Zudem waren weite Teile der Krim-Bevölkerung für die Annexion, wie nicht nur das Referendum zeigte, bei dem 95 Prozent für die Vereinigung mit Russland stimmten, wenn auch unter dem Eindruck russischer Besatzungstruppen. Auch Meinungsumfragen gaben diese Stimmung wieder. Sie hat historische Gründe, nachzulesen in diesem SZ-Artikel.
In der Region rund um Donezk ist die Lage weniger eindeutig, erklärt etwa der Politikwissenschaftler Andreas Umland, Dozent an der Universität Kiew, im Interview mit dem Deutschlandfunk: "Da sind die ethnischen Russen eine Bevölkerungsminderheit, und auch die Unterstützung für Separatismus liegt dort unter 20 Prozent, beziehungsweise unter zehn Prozent. Deswegen sind die Chancen auf eine Abspaltung dort andere."
Die Ursprünge der Krise liegen auf dem Maidan, dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew. Dort begannen Ende des vergangenen Jahres friedliche Demonstranten, gegen ihren damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch zu protestieren. Der hatte eine vom Westen des Landes erhoffte Annäherung an die Europäische Union abrupt gestoppt - auch auf Druck von Moskau hin.
Russland empfindet die Westanbindung seines unmittelbaren Nachbarn als Bedrohung. Spätestens ein Beitritt der Ukraine zur Nato - nach Estland, Lettland, Litauen - würde das Machtgefüge in der Region deutlich zu seinen Ungunsten verändern. Ein weiterer Teil des ehemaligen Sowjetimperiums wäre verloren. Umfragen zufolge ist auch eine Mehrheit der Russen dieser Meinung.
Die Revolution in der Ukraine hat Putin nicht verhindern können, Janukowitsch wurde am 22. Februar 2014 als Präsident abgesetzt. Er und auch Moskau betrachten diesen Schritt als illegal. Weil die ukrainische Übergangsregierung zum Teil aus Angehörigen der rechtsnationalen Swoboda-Partei besteht, warnen russische Medien vor "Faschisten" in Kiew, die vor allem den "Russen" im Osten der Ukraine gefährlich würden. Damit sind nicht nur russische Staatsbürger gemeint, sondern auch ethnische Russen. Vor allem in der Donbass-Region rund um Donezk wird überwiegend Russisch gesprochen, dort hat auch die Partei von Janukowitsch ihre Machtbasis.
Experten halten das Vorgehen Moskaus - Propaganda und die Entsendung getarnter Spezialkräfte - für eine gezielte Destabilisierung der Ukraine. Auch militärische Interessen dürften dabei eine Rolle spielen: Die Donbass-Region gilt als das industrielle Herz der Ukraine, dort werden Rüstungsgüter und Produkte für die Weltraumfahrt hergestellt, von denen Russland zum Teil abhängig ist. "Sollte der Kreml eine Intervention in der Ukraine ernsthaft erwägen", schreibt die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, "wäre der Zugriff auf den Rüstungs- und Weltraumsektor ein wichtiges Argument dafür."
So reagiert Kiew: im Wahlkampf um Eintracht bemüht
Die Krise trifft die Ukraine mitten im Wahlkampf. Am 25. Mai soll ein neuer Präsident gewählt werden, als aussichtsreichste Kandidaten gelten der Süßwaren-Hersteller Petro Poroschenko, der in Umfragen vorne liegt und von Boxweltmeister Vitali Klitschko unterstützt wird, sowie die ehemalige Regierungschefin Julia Timoschenko. Der Übergangspremier Arseni Jazenjuk hat ein entsprechend schwaches Mandat, zumal er sich auf die Exekutive nicht verlassen kann. Die Loyalität der zuständigen Lokalpolitiker im Osten ist nicht zweifelsfrei gesichert, selbiges gilt für Armee, Polizei und Nationalgarde.
Zudem will Kiew den Russen keinen Vorwand liefern, den russischstämmigen Ukrainern zur Hilfe zu kommen. Wohl auch deshalb lief ein Ultimatum an die Besatzer, die öffentlichen Gebäude in der Donbass-Region zu räumen, ohne Folgen aus. Zugleich hält sich Kiew die Möglichkeit einer stärkeren Dezentralisierung der Macht offen, um die Lage zu beruhigen und den Regionen eine größere Mitsprache in der Hauptstadt zu ermöglichen. So ist wohl auch die Aussage des Übergangspräsidenten Alexander Turtschinow zu verstehen, der ein nationales Referendum über eine Umwandlung des Landes in eine Föderation für möglich hält - wohingegen die Russen Referenden nur in den separatistischen Regionen anstreben.
Konflikt in Ukraine:EU-Sanktionen gegen Russland werden ausgeweitet
Erstes Gespräch seit Ende März +++ USA bestätigen Kiew-Reise von CIA-Chef +++ EU-Liste der von Kontensperrungen und Einreiseverboten betroffenen Personen wird erweitert +++ Übergangspräsident Turtschinow befiehlt Anti-Terror-Einsatz in Ost-Ukraine +++ Kiew bittet UN um Hilfe +++
Was Europa tut: Sanktionen wären fällig, aber kommen sie auch?
Die Europäische Union hat Mitte März einen mehrstufigen Plan für Sanktionen gegen Russland verkündet. Mit wirtschaftlichen Strafmaßnahmen als dritter und finaler Stufe, für den Fall, dass die Russische Föderation "weitere Schritte zur Destabilisierung der Lage in der Ukraine" unternehme.
Ist dieser Fall jetzt eingetreten? Die Statements der Außenminister Steinmeier und Bildt lesen sich so. Kommen also die Wirtschaftssanktionen? Das ist noch unklar. Viele Politiker und Unternehmer in Deutschland und anderen europäischen Staaten sehen sie kritisch, weil sie auch die heimische Wirtschaft bremsen könnten. Vor allem Mittelständler äußerten sich besorgt - zuletzt etwa auf der Hannover-Messe.
Gibt es noch andere Möglichkeiten? Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler, zeigt einen diplomatischen Ausweg auf. "Es wäre von großer politischer Bedeutung", sagte er im Deutschlandradio Kultur, "wenn es mal eine russische Äußerung gäbe, dass man in keiner Weise vorhat, das Krimszenario fortzusetzen oder irgendwelche Referenden auch nur anzuerkennen."
Und die USA? Wasser auf die Mühlen der Obama-Kritiker
In der Krim-Krise hat Washington rasch die militärische Zusammenarbeit mit Russland beendet, Gespräche über engere Handelsbeziehungen auf Eis gelegt und gemeinsam mit den anderen führenden Industrienationen die Vorbereitungen für einen geplanten G-8-Gipfel im russischen Sotschi abgebrochen. Und nun?
US-Außenminister John Kerry warnt Moskau vor "weiteren Konsequenzen", ohne konkreter zu werden. Er entspricht damit ziemlich genau dem Bild, das die Republikaner von der Regierung Obama zeichnen. Der Präsident werde seiner Führungsrolle nicht gerecht, schimpft etwa John McCain immer wieder. Der Senator aus Arizona ist eine Art Handlungsreisender der Republikaner in angeblich von Obama vernachlässigten Regionen: Er tauchte in Syrien an der Seite der Rebellen auf, die gegen Assad kämpfen. Zuletzt zeigte er sich in Kiew an der Seite der Übergangsregierung. In beiden Fällen forderte er die Lieferung amerikanischer Waffen.
Konflikt in der Ukraine:Obama erwägt weitere Sanktionen gegen Russland
USA drohen mit Verschärfung der Sanktionen +++ "Hohe Einsatzbereitschaft": Nato legt Satellitenaufnahmen über russische Militärpräsenz vor +++ Russische Armee bezeichnet Bilder als veraltet - Firma widerspricht +++ G7 beraten in Washington +++
Die Sanktionen der EU gehen Falken wie McCain nicht weit genug. "Unsere europäischen Freunde dürfen nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner bestimmen", sagt er. Solange sich Obama am deutschen Ansatz der allmählichen Sanktionsverschärfung orientiere, "werden wir Putin nicht aufhalten".
Ohne Europa können die USA allerdings auch nicht viel erreichen: Sie sind wirtschaftlich längst nicht so wichtig für Russland wie dessen Nachbarstaaten, sie gehören nicht einmal zu den Top Ten der Handelspartner Moskaus. Die Sorgen der Europäer, Russland könne die Lieferung von Erdgas einstellen, können die Amerikaner auch nicht zerstreuen. Sie wären theoretisch vielleicht in der Lage, selbst als Energielieferant einzuspringen - doch praktisch sind sie davon noch weit entfernt.
Entsprechend gering sind die Hoffnungen der Europäer darauf, Obama werde die Krise schon lösen. "Wir dürfen nicht erwarten, dass es hier eine Lösung der Großmächte gibt", sagt etwa der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn. Am kommenden Donnerstag geht die Krisendiplomatie weiter: Auf einem Vierer-Gipfel in Genf sitzen erstmals Russland, die Ukraine, die USA und die Europäische Union an einem Tisch.