Eskalation im Osten der Ukraine:Vom Bürgerkrieg zum Krieg

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Zwischen Krasnij Liman und Slawjansk wurden Barrikaden errichtet und entzündet, professionell agierende Trupps haben Verwaltungsgebäude und Polizeistationen gestürmt. (Foto: dpa)

Erlebt die Ukraine einen Guerillakrieg oder eine verdeckte Invasion? Angesichts der Ereignisse im Donbass lässt es sich nicht schönreden: Russland ist derzeit Kriegstreiber, nicht Lösungssucher. Aber welche Rolle spielt die Regierung in Kiew?

Ein Kommentar von Cathrin Kahlweit

Nun herrscht Krieg in der Ostukraine. Man mag es Guerillakrieg nennen oder verdeckte Invasion. In Groß- und Kleinstädten des Donbass haben professionell agierende Trupps Verwaltungsgebäude, Polizeistationen, Geheimdienstbüros gestürmt.

Wer jetzt noch glaubt, dass hier allein unzufriedene ukrainische Einwohner ihrem Unmut über die neue Regierung und ihre schlechte Lage Luft machen, der sehe sich die Bilder an, die Kamerateams vom Sturm auf Kramatorsk oder Krasnij Liman gemacht haben: Soldaten ohne Hoheitsabzeichen rücken in Formation gegen verschreckte Polizisten vor, die Gebäude zu schützen versuchen. Wo es Gegenwehr gibt, wird geschossen; wer nicht flüchtet, wird mit Gewalt zur Seite geräumt. Das hat mit einer innerukrainischen Auseinandersetzung über lokale Autonomie, Föderalismus oder Zweisprachigkeit nichts mehr zu tun.

Die Rolle Russlands ist eindeutig, auch wenn das viele ungern hören und glauben mögen: Moskau rollt die Ukraine von Osten her auf. Fakten werden geschaffen, Chaos, Angst und Desinformation werden verbreitet, alles wie gehabt. Das Ziel der Aktion ist unklar, die Annexion des Donbass könnte politisch und ökonomisch mehr Nach- als Vorteile bringen. Aber offensichtlich verfolgt Wladimir Putin einen Masterplan, der sich erst vom Ende her erklärt.

Die Aussagen Lawrows klingen nach einem bösen Scherz

Moskau ist, das lässt sich nicht wegdeuten oder schönreden, derzeit Kriegstreiber, nicht Lösungssucher. Auch wenn der Oberzyniker Sergej Lawrow auf den Einsatz russischer Milizen mit dem Satz reagiert, den man auch für einen bösen Scherz halten könnte, wenn die Lage nicht so desaströs wäre: Die Regierung in Kiew zeige "ihre Unfähigkeit, die Verantwortung für das Schicksal des Landes zu übernehmen". Es gehört schon Chuzpe dazu, der Übergangsregierung, die durch die Ereignisse im Osten im Zustand permanenter Hysterie gehalten wird, die Schuld an den aktuellen Ereignissen zuzuschieben.

Andererseits: Welche Rolle spielt die Regierung in Kiew wirklich? Warum ließ der Innenminister das 48-Stunden-Ultimatum, das er am Dienstag über die Besetzer von Donezk und Lugansk verhängte, verstreichen? Wo war in den vergangenen Tagen und Wochen die Armee, wo die Miliz? Wo waren die zuständigen Lokalpolitiker und Gouverneure - so sie sich nicht auf die Seite der Separatisten geschlagen haben? Warum war der Premier bei seinem Besuch in Donezk am Donnerstag nicht bei jenem "Volk", das sich angeblich Putin als Präsidenten wünscht?

Viel zu spät ist ein Anti-Terror-Einsatz befohlen worden

Jetzt, viel zu spät, ist ein Anti-Terror-Einsatz befohlen worden, der mehr Chaos produziert als Ergebnisse. Zwar gibt es eine Reihe rationaler Gründe, warum Kiew so lange stillgehalten hat: Die Nationalgarde könnte sich auf Dauer als zu schwach, die Polizei als zu illoyal erweisen, um die Usurpatoren zu verjagen. Man will vermeiden, genau das Klischee zu erfüllen, das im Osten populär ist. Dort heißt es, in Kiew regierten Faschisten, die bedenkenlos auf das eigene Volk losgingen. Es ist Wahlkampf; keine Partei, kein Kandidat kann es sich leisten, die Stimmen des Ostens ganz zu verlieren, indem sie oder er die Pro-Europäer gegen die Pro-Russen ausspielt.

Aber vielleicht ist noch mehr dran am Versteckspiel der Macht. Ist es denkbar, dass die Regierung in Kiew einen Abfall der Ostukraine zur Not in Kauf nimmt, weil sich dann eine ethnisch und ideologisch homogenere Restukraine problemloser nach Westen orientieren könnte? Sollte dieses Szenario in einigen Köpfen spuken, dann hätte das bittere Konsequenzen. Weil die Sicherheitskräfte so lange so unsichtbar waren, haben immer mehr Bürger die Sache selbst in die Hand genommen und werfen sich jetzt den Separatisten entgegen. Damit aber droht, zu allem Überfluss, ein regionaler Bürgerkrieg.

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© SZ vom 14.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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