In der vierköpfigen Spitze der Kohlekommission war Barbara Praetorius die einzige Frau, die einzige Wissenschaftlerin und die einzige engagierte Klimaschützerin. Mit dem Kompromiss zum Kohleausstieg ist sie fast vollends zufrieden - und staunt immer noch, dass er überhaupt zustande kam.
SZ: Frau Praetorius, als Sie am Freitag im Wirtschaftsministerium verhandelt haben, demonstrierten vor der Tür Tausende Schüler. Hat das irgendeinen Eindruck auf die Kommission gemacht?
Barbara Praetorius: Die waren ja nicht nur vor dem Wirtschaftsministerium, sondern sind von uns in die Kommission hereingebeten worden. Da kamen fünf Schüler und haben uns eine Petition überreicht. Und zwar zu einem wichtigen Zeitpunkt, nämlich als wir anfingen, die wirklichen Knackpunkte zu diskutieren. Die Schüler haben in der Kommission großen Eindruck gemacht, es gab viel Beifall. Diese Bewegung insgesamt ist sehr wichtig. Sie zeigt allen, wie wichtig klare Weichen für Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind.
Und könnten Sie das Ergebnis den Schülern nun guten Gewissens präsentieren?
Ja, kann ich. Ich würde ihnen sagen, dass das wirklich ein historischer Punkt ist: Wenn unsere Empfehlungen umgesetzt werden, ist das der Einstieg in den Ausstieg aus der klimaschädlichen Kohleverstromung. Und wir haben sehr verbindliche Vorschläge gemacht, wie die Klimaziele 2030 erreicht werden sollen. Ich bin nicht glücklich über das Ambitionsniveau, aber zufrieden mit dem Erreichten. Es ist ein Kompromiss, in dem alle berechtigten Sorgen ihren Niederschlag gefunden haben. Das macht ihn historisch.
Was hätten Sie den Schülern denn gerne präsentiert, in einer idealen Welt?
Das würde sich nicht sehr unterscheiden. Sicherlich ein etwas stärkerer Einstieg in den Klimaschutz am Anfang. Das wäre ohne große Auswirkungen auf Versorgungssicherheit und Preise möglich gewesen. Und für das Klima hätte es mehr gebracht. Aber das Ergebnis insgesamt ist ausgeglichen, darauf kommt es an. Der Klimaschutz steht vorne, keine Frage. Doch er muss eben auch gesellschaftlich mitgetragen werden. Und das ist gelungen.
Für den endgültigen Ausstieg hatten Umweltverbände 2030 gefordert. Jetzt ist es 2038. Sind sie damit einverstanden?
Aus Sicht des Klimaschutzes ist das unbefriedigend spät. Deshalb sagen wir auch: 2032 muss geprüft werden, ob Deutschland nicht doch schon 2035 das letzte Kohlekraftwerk abschalten kann.
Klimaforscher drängen darauf, die Erderwärmung bei 1,5 Grad Celsius zu stabilisieren. Reicht da dieser Ausstiegsplan?
Unser Auftrag hatte andere Zielgrößen, nämlich die deutschen Klimaziele. Und wir haben etliche Jahre durch Nichthandeln, durch Untätigkeit verloren. Auch diese Kommission hätte sehr viel früher eingesetzt werden sollen. Umso wichtiger ist es, dass Deutschland jetzt endlich handlungsfähig ist. Ohne erfolgreichen Abschluss hätten wir uns noch viel weiter von den notwendigen Schritten im Klimaschutz entfernt. Das Signal an die Welt ist, dass es uns gelingt, im gesellschaftlichen Konsens aus der Kohle auszusteigen. Das kann Vorbildcharakter bekommen. Wir können zwar nicht allein das Klima retten. Aber andere sehen, dass so ein Ausstieg machbar ist. Selbst in einem Land, das der Atomenergie den Rücken kehrt.
Wenn man Geld hat. War dieser Ausstieg nicht zu teuer, um andere anzuspornen?
Das kommt darauf an, welche Preisschilder man an diese Vorschläge heftet. Man kann genauso gut sagen: Die Kosten des Nichthandelns sind deutlich höher. Es geht hier darum, dass wir für die Zukunft vorbauen. Teurer ist es, wenn wir nichts tun und auf die nächsten Dürresommer oder Klimaflüchtlinge warten.
Die Wirtschaft warnt vor höheren Strompreisen, und Milliarden fließen in die betroffenen Regionen.
Die Regionen im Strukturwandel zu unterstützen, ist eine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit. Das steht völlig außer Frage. Und was die Strompreise angeht: Da muss natürlich der Ausbau der erneuerbaren Energien weitergehen. Wenn der wie geplant stattfindet, muss der Strom nicht teurer werden. Das ist eine Investition in die Zukunft, die sich mehr als rentiert.
Mitunter wurde mit ziemlich harten Bandagen gekämpft. Wie haben Sie die Arbeit an der Spitze der Kommission erlebt?
Das war ein sehr konstruktiver, respektvoller Umgang. Natürlich traf da eine unglaubliche Vielzahl von Interessen aufeinander. Deren Ausgleich ist ein Spagat, den man üben muss. Wenn jemand heute seinen Job verliert, ist das in höchstem Maße von Bedeutung. Man kann das schwer aufwiegen gegen Klimaschutz, der in 20 oder 30 Jahren dafür sorgt, dass wir dann noch eine gute Gesellschaft haben. Umso erstaunlicher ist es eigentlich, dass uns der Konsens letztlich gelungen ist.