Koalitionsausschuss:"Ritt auf der Rasierklinge"

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Rolf Mützenich, Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans kommen zu einem Treffen des Koalitionsausschusses in das Bundeskanzleramt. (Foto: dpa)
  • Die Ereignisse in Thüringen gefährden die Stabilität der großen Koalition in Berlin.
  • Die SPD fordert vor dem Koalitionsausschuss am Samstag vom Regierungspartner, sich klar von der AfD abzugrenzen.
  • Die Entlassung des Ostbeauftragen Hirte wird begrüßt - es gebe aber beim Treffen in Berlin weiter "Redebedarf".

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Am Samstagmorgen kurz vor 6 Uhr war Bundeskanzlerin Angela Merkel nach ihrer Angola-Reise wieder in Berlin gelandet. Gut vier Stunden später twitterte der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Christian Hirte (CDU), die Kanzlerin habe ihm in einem Gespräch mitgeteilt, dass er "nicht mehr Beauftragter der Bundesregierung für die Neuen Länder sein kann". Ihrer Anregung folgend, habe er daher um seine Entlassung gebeten. Das schnelle Handeln zeigt, wie stark die Ereignisse der vergangenen Tage in Thüringen die Stabilität der großen Koalition in Berlin gefährden.

Die Entlassung Hirtes hatte sich abgezeichnet. Und auch, dass die Sache noch vor Beginn des für Samstagmittag angesetzten Koalitionsausschusses erledigt sein würde. Für 13 Uhr hatten sich die Partei- und Koalitionsspitzen im Kanzleramt verabredet, um "jetzt mal unter Erwachsenen", wie es beim Koalitionspartner SPD hieß, Konsequenzen aus der Ministerpräsidentenwahl zu beraten. Wobei zu den Erwachsenen neben der Bundeskanzlerin ausdrücklich CSU-Chef Markus Söder zu zählen sei.

Kritik an Kramp-Karrenbauer

Die Kritik am Krisenmanagement von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer ist dabei unüberhörbar. Von ihrer "Autorität ist derzeit nicht viel zu erkennen", sagte Carsten Schneider, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, der Zeitung Die Welt. Aus dem Regierungslager der SPD hieß es, im Koalitionsausschuss müssten sich "alle in die Augen schauen" und klar benennen, welche Fehler gemacht worden seien und wie der Tabu-Bruch, sich mit den Stimmen der AfD Mehrheiten zu verschaffen, geheilt werden könnte. Insofern sei das Koalitionstreffen durchaus "ein Ritt auf der Rasierklinge".

Die SPD fordert vom Koalitionspartner, sich klar von der AfD abzugrenzen. Die Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans hatten der Kanzlerin schon am Donnerstag mitgeteilt, dass der Beauftragte der Bundesregierung nach seinen Glückwünschen für den mithilfe von CDU und AfD zum Ministerpräsidenten Thüringens gewählten FDP-Mann Thomas Kemmerich nicht mehr für den Koalitionspartner SPD spreche - und seine Ablösung gefordert. Damit dürften sie bei Merkel allerdings offene Türen eingerannt haben. Noch während ihrer Besuchsreise in Afrika hatte die Kanzlerin die Wahl in Thüringen als "unverzeihlichen Vorgang" bezeichnet, der rückgängig gemacht werden müsse. Die SPD-Chefin hat nun die Hirte-Entlassung am Samstag begrüßt, betonte aber, dass es "weiter Redebedarf" mit der CDU gebe.

Die Frage, wie stark nun die Koalition in Berlin wegen der Ereignisse in Thüringen gefährdet sei, wollte Merkel am Freitag vor ihrer Abreise nicht beantworten. Man werde im Koalitionsausschuss alles Nötige beraten, sagte sie noch in Luanda. Dass es schon vorab viel zu bereden gab, zeigt, dass bis zu Beginn des Treffens beinahe ununterbrochen telefoniert wurde sowie Textnachrichten hin und her gingen. Auch Merkel hatte seit der Wahl in Erfurt am vergangenen Mittwoch zahlreiche Kontakte mit der SPD-Parteispitze und Vizekanzler Olaf Scholz gehabt. Während Esken und Walter-Borjans in zahlreichen Interviews von einem Vertrauensverlust in den Koalitionspartner sprachen und die CDU aufforderten, aufzuklären, wer wann über die taktischen Planungen in Thüringen informiert gewesen war, hatte sich Scholz zurückgehalten.

Mit Blick auf das Treffen im Kanzleramt hieß es in der SPD, man müsse jetzt auch aufpassen, dass man sich nicht durch unnötige oder überzogene Forderungen zusätzlich in die Bredouille bringe. Entscheidend sei, dass der Koalitionspartner CDU klarmache, dass die Vorgänge in Thüringen ein "ernsthafter Unfall" gewesen seien.

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