Katja Kipping:Antrittsbesuch beim Kältebus

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Bis Februar Parteivorsitzende, jetzt Senatorin in Berlin: Katja Kipping, 43, bei ihrer Vereidigung im Abgeordnetenhaus. (Foto: dpa)

Katja Kipping war Vorsitzende der Linken, jetzt ist sie Sozialsenatorin in Berlin. Davon sollen sowohl sie als auch ihre Partei profitieren.

Von Boris Herrmann, Berlin

Dieser Tage wurden im Deutschen Bundestag drei besondere Reden hintereinander gehalten. Zwischen zwei SPD-Abgeordneten, die beide zum allerersten Mal in ihrem Leben ans Mikrofon im Plenarsaal traten, sprach eine Frau, die dort zum letzten Mal stand. In zwei sogenannte Jungfernreden eingerahmt, hielt die immer noch 43 Jahre junge Katja Kipping also ihre Abschiedsrede.

Die ehemalige Parteichefin der Linken scheidet nach 16 Jahren aus dem Bundestag aus, weil sie sich davon einen Karrieresprung verspricht. Sie wechselt zwar von der Bundespolitik in die Landespolitik, dafür aber von der Opposition in die Regierung. Kipping ist die neue Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales in Berlin.

Sie hat sich auf ihren neuen Job ein halbes Leben lang vorbereitet. Schon als Schülerin und Studentin in Dresden engagierte sich Kipping in Sozialprojekten und Bürgerinitiativen. Mal stritt sie für ein bedingungsloses Grundeinkommen, mal für die Umwelt, mal für bessere Zugverbindungen im sächsischen Regionalverkehr. Seit sie 2005 erstmals in den Bundestag gewählt wurde - für eine Partei, die damals noch PDS hieß - führte sie einen steten Kampf gegen Hartz IV. Sowohl ihre erste als auch ihre letzte Rede als Bundestagsabgeordnete handelten von der Würde der Unterbezahlten. Zum Abschied warf sie der Ampelkoalition vor, mit Einführung des Bürgergeldes das Hartz-IV-Problem lediglich umbenannt zu haben: "Neue Begriffe allein füllen keinen Kühlschrank", rief Kipping den Kollegen von SPD und Grünen zu, mit denen sie bis vor Kurzem noch zu gerne regiert hätte.

Für Sondierungen mit SPD und Grünen war sie gut vorbereitet

Das scheiterte nicht zuletzt am desolaten Ergebnis der Linken bei der Bundestagswahl. Kipping hat seit Jahren für ein Bündnis mit Rot-Grün auf Bundesebene geworben. Es ist kein Geheimnis, dass sie darin am liebsten das Arbeitsministerium von Hubertus Heil übernommen hätte. Für den Fall der Fälle hatte sie ein 120 Seiten dickes Sondierungspapier zum Bereich Arbeit und Soziales vorbereitet.

Nun macht sie das, was sie sich erträumt hat. Bloß halt eine Etage tiefer, im rot-grün-roten Berlin. Die Mühen der landespolitischen Ebene bieten ihr die Chance, sich in konkreter Politik zu profilieren. An ihrem ersten Abend als vereidigte Sozialsenatorin besuchte Kipping den Kältebus der Stadtmission. Während die neuen Mitglieder des Bundeskabinetts ihre Antrittsbesuche in aller Welt (oder zumindest in aller Republik) absolvieren, ging Kipping den Obdachlosen der Hauptstadt Guten Tag sagen.

Für die kriselnde Linke, die gerade bundesweit darum kämpft, überhaupt sichtbar zu bleiben, ist diese Personalie auch deshalb spektakulär, weil Katja Kipping in Berlin zumindest ansatzweise mit der Prominenz der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey mithalten kann. In den acht Jahren, in denen sie Parteivorsitzende war, konnte sie sich über mangelnde Außendarstellung jedenfalls nicht beschweren.

Auf ihrem Weg nach oben hat die Überzeugungsfeministin Kipping auch von strauchelnden Männern profitiert. In den Bundestag gelangte sie 2005 als sächsische Ersatz-Spitzenkandidatin für den "Tatort"-Darsteller Peter Sodann, der seine Bewerbung nach zwei Tagen wieder zurückgezogen hatte. Der Weg an die Spitze der Linken war 2012 für sie frei, nachdem sich die Gründungsväter Gregor Gysi und Oskar Lafontaine gegenseitig unschädlich gemacht hatten. Als Parteichefin verstrickte sie sich dann in Grabenkämpfe mit Sahra Wagenknecht, wie es Gysi und Lafontaine miteinander auch nicht besser hingekriegt hätten.

Selbst Parteikolleginnen, die mit ihr nicht in jeder Weltsicht übereinstimmen, beschreiben Kipping als akribische Arbeiterin mit preußischer Disziplin. Die wird sie auch brauchen für ihren Plan, im eher undisziplinierten Berlin aufzuzeigen, was mit ihr im Bund alles möglich gewesen wäre.

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