Katholische Kirche in Deutschland:Mehr Kirchenaustritte als je zuvor

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So schön der Kölner Dom auch anzusehen ist: Das Erzbistum Köln ist nach Hamburg, Berlin und München-Freising Spitzenreiter bei der Austrittswelle. (Foto: Christoph Hardt/IMAGO/Future Image)

Gut eine halbe Million Mitglieder haben die Institution verlassen. Damit verstärkt sich der Trend der vergangenen Jahre. Als ein Grund gilt der Umgang mit Missbrauchsfällen.

Von Annette Zoch

Es sind dramatische Zahlen: Mehr als eine halbe Million Menschen sind im vergangenen Jahr aus der katholischen Kirche ausgetreten - so viele wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Insgesamt 522 821 Katholikinnen und Katholiken haben der Kirche im vergangenen Jahr den Rücken gekehrt, teilte die Deutsche Bischofskonferenz am Mittwoch in Bonn mit. Im bisherigen Rekordjahr 2021 waren es 359 338 Menschen.

Rechnet man Todesfälle mit dazu, hat die katholische Kirche deutschlandweit 763 000 Mitglieder verloren. Auf der Haben-Seite stehen rund 160 239 Eintritte durch Taufe, Übertritt oder Wiederaufnahme. Damit gehören noch 20,9 Millionen Menschen der katholischen Kirche an, das entspricht 24,8 Prozent der Bevölkerung.

(Foto: SZ-Grafik: Mainka; Quelle: Deutsche Bischofskonferenz)

Die Ursachen für den Exodus sind vielschichtig, sogenannte soziologische Megatrends wie Individualisierung und Säkularisierung gehen an der Kirche nicht spurlos vorbei. Auch die evangelischen Kirchen haben im vergangenen Jahr 380 000 Menschen verloren, der Glaube an einen Gott geht spürbar zurück. Große Institutionen verlieren insgesamt an Bindungskraft. Allerdings kommt speziell die katholische Kirche seit Jahren nicht aus den Negativschlagzeilen heraus - sie wirken wie ein Katalysator für die ohnehin schon abnehmende Kirchenbindung.

(Foto: SZ-Grafik: Mainka; Quelle: Deutsche Bischofskonferenz)

Bereits Anfang des Jahres 2022 hatte sich eine explosionsartige Zunahme der Austritte angedeutet, nachdem die Münchner Rechtsanwaltskanzlei Westpfahl, Spilker, Wastl das Missbrauchsgutachten für die Erzdiözese München und Freising veröffentlicht hatte. Das Gutachten warf Benedikt XVI. Fehlverhalten im Umgang mit Missbrauchstätern vor, der emeritierte Papst wiederum musste eine fehlerhafte Aussage korrigieren. In den Tagen nach der Vorstellung des Gutachtens verdoppelte sich alleine in der Stadt München die Anzahl der Austrittswilligen, insgesamt traten in München-Freising 49 000 Menschen aus.

Im Erzbistum Köln zeigt die anhaltende Vertrauenskrise Wirkung

Auf die Gesamtzahl der Mitglieder gerechnet sind die Erzbistümer Hamburg, Berlin und München-Freising die Spitzenreiter der Austrittswelle, hier traten jeweils mehr als drei Prozent der Mitglieder aus.

Der katholische Dauerkrisenherd Köln verlor 51 345 Mitglieder, das sind 2,84 Prozent der dortigen Katholiken. Die Vertrauenskrise in Köln, die sich an der Absage eines Missbrauchsgutachtens entzündete, dauert nun schon seit zweieinhalb Jahren an. Der Papst lässt das Rücktrittsgesuch von Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki seit mehr als einem Jahr unangetastet. Erst am Dienstag hatten Ermittler von Polizei und Staatsanwaltschaft die erzbischöfliche Residenz von Kardinal Rainer Maria Woelki durchsucht, weil gegen ihn wegen des Verdachts des Meineids ermittelt wird.

Woelki gehört - und das ist die dritte Großbaustelle der katholischen Kirche in Deutschland - zu einer kleinen Gruppe entschiedener Gegner der Kirchenreformdebatte "Synodaler Weg". Vergangene Woche hatte Woelki gemeinsam mit den Bischöfen von Regensburg, Passau und Eichstätt den Geldhahn zugedreht für eine Fortführung des Synodalen Wegs. Die Bischöfe halten die angestrebten Reformen - zum Beispiel zur Sexualmoral, zum Zölibat, für mehr Gewaltenteilung in der Kirche, mehr Verantwortung für Frauen - für teilweise unvereinbar mit der katholischen Lehre.

Auch die Blockade der Reformbewegung spielt eine Rolle

Bestärkt fühlen sie sich dabei aus Rom, dort sind die Kritiker des deutschen Synodalen Wegs zahlreich, bis hinauf zum Papst. Der Vatikan hat bislang jeden aus Deutschland geäußerten Reformvorschlag abgelehnt. Die Zahl der Austritte sei "ein Indiz für die vielen Zerreißproben und Spannungen, die wir derzeit durchleben", sagte der Würzburger Bischof Franz Jung als Reaktion auf die Zahlen und nannte auch die Spannungen "zwischen Rom und der Kirche in Deutschland, die sich bemüht um einen Weg der Erneuerung und immer wieder auch ein 'Nein' hört."

Auch in den Bistümern Passau, Regensburg und Eichstätt, deren Bischöfe zu den entschiedensten Kritikern des Synodalen Wegs gehören, sind die Austrittszahlen prozentual überdeutlich gestiegen: In Passau traten 9338 Menschen aus, das ist im Vergleich zum Vorjahr, in dem 5703 austraten, ein Plus von 63,7 Prozent. In Regensburg sind 23 868 Gläubige ausgetreten (plus 70,3 Prozent), in Eichstätt 8637 (plus 69,5 Prozent).

Und vermutlich ist der Exodus längst nicht vorbei: Laut des Bertelsmann-Religionsmonitors 2023 hat jedes vierte Kirchenmitglied - evangelisch wie katholisch - im vergangenen Jahr über einen Austritt nachgedacht. Bei den 16- bis 24-Jährigen zeigen sich sogar 41 Prozent fest entschlossen, die Kirche zu verlassen.

Der Limburger Bischof und Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, warnte vor Resignation und wandte sich an die Haupt- und Ehrenamtlichen in Pfarreien, Kitas, Schulen und Caritas: "Lassen Sie sich nicht entmutigen. Ich glaube, dass wir eine gute Botschaft haben, die unsere Gesellschaft dringend braucht und die zukunftsfähig ist."

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