Katalonien-Konflikt:Warum der Vorwurf der Rebellion so umstritten ist

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Separatisten auf der Anklagebank (von links): Die früheren katalanischen Minister Joaquim Forn und Raul Romeva sowie Ex-Vizeregierungschef Oriol Junqueras. (Foto: AFP)

In Madrid beginnt der Prozess gegen katalanische Separatisten. Wer sind die Angeklagten? Und warum spitzt sich die politische Lage in Spanien zu? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Barbara Galaktionow

Von diesem Dienstag an stehen zwölf führende Vertreter der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung in Madrid vor Gericht. Hunderte Zeugen sind geladen, darunter der frühere konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy, unter dessen Regierung der Konflikt mit Katalonien eskalierte. Der Prozess dürfte sich über mehrere Monate erstrecken.

Wie kam es zu dem Prozess?

Katalonien versucht schon seit mehr als einem Jahrzehnt, seine Rechte als autonome Region innerhalb Spaniens auszuweiten. Die konservative Regierung unter Ministerpräsident Mariano Rajoy in Madrid zeigte sich allerdings zu keinerlei Zugeständnissen bereit - die Fronten verhärteten sich. Am 1. Oktober 2017 ließ die katalanische Regierung unter Regionalpräsident Carles Puigdemont ein Unabhängigkeitsreferendum abhalten - obwohl das zuvor vom spanischen Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden war. Dabei sprachen sich 90 Prozent der Abstimmenden für die Abspaltung von Spanien aus, allerdings gaben nur 42 Prozent der Wahlberechtigten überhaupt ihre Stimme ab. In der Folge rief die Region Ende Oktober ihre Unabhängigkeit aus.

Die Zentralregierung in Madrid reagierte mit aller Schärfe: Sie setzte die katalanische Regierung ab und stellte die Region unter Zwangsverwaltung. Für den 21. Dezember 2017 setzte sie Neuwahlen in Katalonien an. Außerdem erließen die Strafverfolgungsbehörden unter anderem wegen des Vorwurfs der Rebellion Haftbefehl gegen Puigdemont und andere Mitglieder der abgesetzten Regionalregierung. Puigdemont setzte sich nach Belgien ab und entzog sich so einer Inhaftierung. Andere führende Separatisten wurden in den folgenden Tagen und Wochen in Untersuchungshaft genommen. Neun der Politiker und Aktivisten, die nun vor Gericht stehen, sind seit vielen Monaten inhaftiert.

Wer sind die Angeklagten?

Hauptangeklagter ist der frühere Vize-Regierungschef Oriol Junqueras, der Chef der Republikanischen Linken (ERC). Für ihn fordert die spanische Staatsanwaltschaft 25 Jahre Haft sowie eine ebenso lange Sperre, öffentliche Ämter zu bekleiden. Ihm wie fünf weiteren katalanischen Ex-Regierungsmitgliedern werden Rebellion und Veruntreuung vorgeworfen. Der Vorwurf der Rebellion bezieht sich dabei auf die Abhaltung des illegalen Unabhängigkeitsreferendums im Oktober 2017 und die anschließende Ausrufung der Unabhängigkeit. Der Untreue werden sie wegen der Verwendung öffentlicher Gelder zur Abhaltung des Referendums beschuldigt.

Dem schwerwiegenden Vorwurf der Rebellion sehen sich zudem die frühere Parlamentspräsidentin Carme Fordacell sowie Jordi Cuixart und Jordi Sànchez ausgesetzt, die Chefs der großen zivilgesellschaftlichen Separatisten-Organisationen Òmnium Cultural und Katalanischer Nationalkongress (ANC). Forcadell wird vorgeworfen, den Unabhängigkeitsprozess unterstützt zu haben, indem sie eine relevante Abstimmung im Parlament vorantrieb. Den "zwei Jordis" wird zur Last gelegt, Demonstranten bei der Blockade eines Regierungsgebäudes zu Gewalt gegen die Polizei angestachelt zu haben. Die katalanische Tageszeitung La Vanguardia konnte mittels eines Videos allerdings nachweisen, dass das Gegenteil richtig war.

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Rebellion wird insgesamt neun der zwölf Angeklagten vorgeworfen. Abgesehen von Junqueras drohen ihnen Haftstrafen von 16 oder 17 Jahren ( hier eine Übersicht über alle Anklagen und Strafforderungen bei El País).

Warum spielt Puigdemont in dem Verfahren keine Rolle?

Als früherer Regionalpräsident Kataloniens gilt Carles Puigdemont als der politisch Hauptverantwortliche für das Unabhängigkeitsreferendum und die anschließende Unabhängigkeitserklärung im Oktober 2017. Von dem jetzigen Verfahren bleibt Puigdemont dennoch verschont, weil die spanische Justiz keine Prozesse in Abwesenheit des Angeklagten führt.

Nachdem Puigdemont sich ins Ausland abgesetzt hatte, versuchte die spanische Justiz zweimal, ihn mittels eines Europäischen Haftbefehls zu fassen zu kriegen. Sie zog diese jedoch jeweils zurück, als sich abzeichnete, dass die betreffenden europäischen Staaten - Belgien, wohin Puigdemont zunächst geflohen war, und Deutschland, wo er auf der Durchreise im April 2018 festgenommen worden war - nicht bereit sein würden, den Vorwurf der Rebellion als Auslieferungsgrund anzuerkennen. Puigdemont hätte dann zwar wegen anderer Verdachtsmomente ausgeliefert werden, aber in Spanien nicht mehr wegen des eigentlichen Hauptvorwurfs der Justiz belangt werden können. Und so kann der Katalane sich mittlerweile innerhalb Europas frei bewegen. Nur in Spanien würde Puigdemont wegen des dort immer noch geltenden nationalen Haftbefehls sofort verhaftet werden.

Ist die Anklage gerechtfertigt?

Die Anklage gegen die Separatisten ist heftig umstritten. Hierbei geht es vor allem um den Vorwurf der Rebellion. Nach Artikel 472 des Código Penal, des spanischen Strafrechts, machen sich unter anderem jene der rebeli ó n schuldig, die sich "gewaltsam und öffentlich erheben", um "die Unabhängigkeit eines Teils des nationalen Territoriums zu erklären". Den Aspekt der Gewalt bestreiten jedoch nicht nur die Separatisten selbst, auch viele juristische Experten sehen ihn als nicht erfüllt an.

Die Abogacía del Estado, ein dem Justizministerium unterstellter Rechtsdienst, der die Regierung berät, hält das Ausmaß der Gewalt nicht für ausreichend für die Rebellionsanklage. Er hat sich für den weniger schweren Vorwurf der sedici ó n, des Aufstands, ausgesprochen und damit auch für deutlich geringere Haftstrafen.

Mehr als 120 spanische Rechtsprofessoren wiesen hingegen in einem offenen Brief sowohl den Vorwurf der Rebellion als auch den des Aufstands zurück. Sie warnten vor einer "Banalisierung" dieser Straftatbestände. Zudem zweifelten sie die Verhältnismäßigkeit der geforderten, sehr hohen Haftstrafen an. Der spanische Verfassungsrechtler Joaquín Urias schrieb auf Twitter über die Anklage, sie sei ein "Irrsinn ohne vernünftige juristische Grundlage". Der spanische Verfassungsrechtler und frühere Parlamentarier Diego López Garrido, der den Rebellionsartikel 1995 überhaupt erst ins Strafgesetzbuch geschrieben hatte, betonte bereits Ende 2017, dass bei den Vorgängen in Katalonien das wesentliche Merkmal der Gewalt fehle.

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Auch außerhalb Spaniens wird der Anklagepunkt Rebellion angezweifelt. So weigerten sich Deutschland, Belgien, die Schweiz und Großbritannien, exilierte katalanische Separatisten auf Basis dieses Straftatbestands an Spanien auszuliefern.

Sollten die spanischen Gerichte die Angeklagten am Ende tatsächlich wegen Rebellion verurteilen, scheinen also gute Chancen zu bestehen, dass der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Entscheidung am Ende revidiert.

Wie ist die politische Gemengelage vor dem Prozess?

Im Zuge des unmittelbar bevorstehenden Prozesses gerät derzeit die spanische Zentralregierung massiv unter Druck. Seit dem Sturz des konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy (PP) Mitte vergangenen Jahres regiert in Madrid eine Minderheitsregierung unter der Führung von Sozialistenchef Pedro Sánchez (PSOE). Sie ist von den Stimmen der katalanischen Separatisten im nationalen Parlament abhängig.

Diese drohten Sánchez Anfang vergangener Woche mit der Ablehnung des Haushaltsentwurfs im Parlament, sollte die Regierung in Madrid nicht vor Prozessbeginn irgendein Zeichen zugunsten der Angeklagten senden. Dabei ist der Budgetentwurf für Barcelona vorteilhaft - er sieht unter anderem eine Erhöhung der Investionen in der Region von 13 auf 18 Prozent vor. Die Parlamentsabstimmung darüber steht am Mittwoch an, also einen Tag nach Eröffnung des Prozesses. Sollte die Sánchez-Regierung mit ihrem Budget scheitern, steht sie auf der Kippe.

Zeitgleich bringt sich auch die Opposition gegenüber Ministerpräsident Sánchez in Stellung. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Rajoy, der eine absolut kompromisslose Linie gegenüber den Unabhängigkeitsbefürwortern in Barcelona fuhr, zeigte sich Sánchez stets gesprächsbereit gegenüber den Separatisten. Sein Kurs wird sowohl von den Konservativen von der Volkspartei (PP) als auch von den liberalen Ciudadanos strikt abgelehnt. Besondere Empörung rief dann vergangene Woche die Ankündigung der Regierung hervor, sie wolle einen in seiner Rolle noch nicht näher bestimmten Vermittler in die Gespräche mit den separatistischen Parteien involvieren.

Die Volkspartei und die Ciudadanos riefen daraufhin zu einer Großdemonstration in Madrid auf - und scheuten sich nicht davor, dabei mit der ultrarechten Partei Vox gemeinsame Sache zu machen. Zehntausende Menschen demonstrierten am Sonntag für eine härtere Linie gegenüber Katalonien, gegen die Sánchez-Regierung und für Neuwahlen.

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