Kanzlerin Merkel und die Wirtschaft:Erst denken, dann handeln

Lesezeit: 2 min

Freundlich, aber nicht anbiedernd: Anders als Bundespräsident Wulff legt die Kanzlerin im Umgang mit Wirtschaftsführern meist Wert auf Unabhängigkeit. Merkel hat ein recht sicheres Gespür dafür, was mit dem politischen Anstand vereinbar ist.

Nico Fried, Berlin

Was sagen? Oder nichts sagen? Am Montag in Pristina hätte Angela Merkel sich leicht verweigern können. Es gilt deutschen Politikern in der Regel als unschicklich, im Ausland zu innenpolitischen Vorgängen Stellung zu beziehen. Darauf hätte die Kanzlerin in ihrer Pressekonferenz mit dem kosovarischen Ministerpräsidenten verweisen können. Stattdessen entschuldigte sie sich bei ihm und sprach Bundespräsident Christian Wulff ihr "vollstes Vertrauen" aus.

Bundeskanzlerin Angela Merkel neigt nicht zur Kumpelhaftigkeit. (Foto: REUTERS)

Solche Worte werden von Merkel nicht dahingesagt. Sie wägt gründlich ab zwischen der Wirkung von Schweigen und Reden. Sagt sie etwas, dann könnte es aussehen, als müsse sie den Betroffenen stützen. Sagt sie nichts, könnte es aussehen, als gehe sie auf Distanz. Meistens hat sie nicht die Wahl zwischen richtig oder falsch, sondern nur zwischen kleinem und größerem Übel.

Die Kanzlerin tickt aber nicht nur so, wenn es um andere Politiker geht. Im Gespräch mit Journalisten sagt Merkel mehr als gelegentlich: "Dann schreiben Sie wieder, dass . . ." Oder: "Dann heißt es wieder, ich . . ." Sie selbst hat sich ein dickes Fell zugelegt, was Kritik betrifft. Das bedeutet aber nicht, dass Merkel weniger vorsichtig geworden wäre. Gerade in der diffusen Zone des politischen Anstands müssen viele Politiker sich im Nachhinein dem Vorwurf stellen: "So was tut man nicht!" Merkel hingegen gehört zu denen, die schon vorher ein relativ sicheres Gespür für die Frage haben: "Wie sähe das denn aus?"

Das ist offenkundig auch einer von vielen Unterschieden zwischen Merkel und Wulff. Merkel urlaubt seit Jahren in Bayreuth, auf Ischia oder in den Bergen. Manches spricht dafür, dass sie nicht einmal auf die Idee käme, sich bei Unternehmerfreunden zu erholen, allein schon, weil sie im Urlaub angeblich lieber ihre Ruhe hat. Der vor allem in ihrer Anfangszeit gelegentlich erhobene Vorwurf, ihr fehle die Nähe zur Wirtschaft und die Bekanntschaft mit deren Bossen, erweist sich nun als eher vorteilhaft.

Allerdings war Merkel auch nie Ministerpräsidentin oder auch nur Landespolitikerin. Das regionale Miteinander von Politik und Wirtschaft hat sie kaum erlebt, wie auch dabei entstehende Verbindungen und Versuchungen. Auch zur Kumpelhaftigkeit neigt Merkel nicht.

Freundlich, aber nicht anbiedernd

Es gibt wenige Momente in ihrer nun sechsjährigen Kanzlerschaft, in der Merkel in den Ruch einer zu großen Nähe zu Wirtschaftsführern kam. Der eine davon lag gleich an ihrem ersten Arbeitstag am 22. November 2005, als bei der Vereidigung Merkels zur Kanzlerin die Verlegerin Friede Springer auf der Zuschauertribüne im Bundestag saß und sich beim Verzehr von Keksen, die aus den Buchstaben C, D und U geformt waren, am Karrieresprung Merkels erfreute, mit der sie befreundet sein soll.

Ein zweiter solcher Moment war das Abendessen zu Ehren von Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann 2008. Diese Einladung aus Anlass seines 60. Geburtstags zog im Wahlkampf 2009 nachträglich große Aufmerksamkeit auf sich, weil Ackermann in einem Interview gesagt hatte, Merkel habe einmal "etwas für mich tun" wollen, und von einem "wunderschönen Abend" sprach. Zu Gast waren übrigens an diesem Abend Friede Springer, Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner und Bild-Chefredakteur Kai Dieckmann.

Gleichwohl genießt Merkel den Ruf relativ ausgeprägter Unabhängigkeit. Ihr Umgang mit Wirtschaftsdelegationen auf Auslandsreisen ist freundlich, aber nicht anbiedernd. Die Zeit für Hintergrundgespräche im Flugzeug oder abends im Hotel verteilt sie meist peinlich genau zu gleichen Teilen an Manager und Journalisten. Zudem ist auch ihr Draht zu wichtigen Gewerkschaften so gut, dass sich deren Vorsitzende sogar kurz vor der Bundestagswahl 2009 lächelnd für ein Gruppenbild im Kanzleramt ablichten ließen. Und im März 2010 gab es für den IG-Metall-Chef Berthold Huber auch ein Geburtstagsessen wie einst für Ackermann.

© SZ vom 21.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Öffentliche Auftritte des Ehepaars Wulff
:An seiner Seite

Christian Wulff ist kein Mann vieler Worte: Zu den Vorwürfen gegen ihn sagte er stets nur das Nötigste - und auch sonst hätte sich mancher mehr politische Teilhabe des Bundespräsidenten gewünscht. Der erste Mann im Staat ließ lieber Bilder sprechen, vor malerischer Kulisse, Ehefrau Bettina im Arm.

präsidialen Fotoalbum.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: